für mich?" — „(Scrttl1' stammelte Vita, die Füße ängstlich unter
dem Rocksaum bergend, wie ein kleiner, frierender Vogel. Scheu
blickte sie an sich herunter, ob auch kein verräterisches Schuhspitzchen
hervorlugte. — „Sie müssen meine Sammetpantoffeln gütigst ent-
schuldigen", sagte der Professor, ihren Blick mißdeutend. „St.Niklaus
hat mir nämlich meine Schuhe weggeholt — jedenfalls war er zu
Pferd oben, denn es polterte auf der Treppe, als ob er vierspännig
käme. Bin riesig neugierig, was ich in meinen Schuhen Schönes
finden werde."
Vita wurde plötzlich brennend rot.
Der Professor hatte den Zuckerstreuer ergriffen und drehte ihn
spielend hin und her.
„Nun fehlte nur noch, daß er ihn herunterfallen läßt", dachte
Vita, die mit zitternden Händen Tee eingoß. Und als habe der
Zuckerstreuer, mit der bekannten Bosheit der leblosen Dinge, nur
auf diese Suggestion gewartet, entschlüpfte er den spielenden Fingern,
machte einen kühnen Satz und verschwand nnt höhnischem Geklirr
unter dem Tisch.
„Bitte — lassen Sie mich", rief Vita, doch der höfliche Pro-
scssor bückte sich bereits. — „Aber nicht doch — ich werde mich
doch nicht von einer Dame beschämen lassen!"—: —
Vita zog verzweifelt den Rock noch tiefer herab.
„Wenn Sie einen Augenblick aufstehen wollten, gnädiges Fräu-
lein!" bat er. „Der Ausreißer liegt nämlich unter Ihrem Stuhl."
— „Ich — ich kann nicht — unmöglich I Hur sind beide Füße
eingeschlafenI" log Vita mit Todesverachtung. — „Aber da gibt
es ja gar kein besseres Mittel, als schnell aufzuspringen", ries der
Professor. „Ls kostet nur einen raschen Entschluß, warten Sie,
ich helfe Ihnen!" —
Er ergriff ihre beiden Hände und zog die angstvoll wider-
strebende mit eineni plötzlichen Ruck vom Stuhl. Zwei große braune
Schuhe polterten auf den Teppich. In demselben Augenblick fand
sich das tödlich erschrockene Mädchen an der Brust des Geliebten
wieder. Seine Arme hielten sie fest, fest umfangen und feine
Lippen lagen heiß auf ihren, zuckenden Mund.
„Du Einzige, Du Süße!" flüsterte er an ihrem Bhr. „Mein
tapferes, großherziges Mädchen! So schenkst Du Dich nur wirklich
— verstandest mein stummes werben —"
Frau ten Brinken, die ahnungslos zur Tür hereintrat, blieb
sprachlos stehen.
„Meine Braut!" rief der Professor strahlend.
Frau ten Brinken sah von einem zum andern. „Ja, die aller-
herzlichsten Glückwünsche, mein lieber Herr Professor — aber wie
ist denn das so plötzlich gekommen? Gestern hat doch nieniand die
leiseste Ahnung gehabt, und heute —" — „Heute ist St. Niklaus-
tag!" jauchzte der Professor. „Und nun sehen Sie doch, was er
mir bescherte. In meinen Schuhen fand ich - hier, mein ge-
liebtes Mädchen!"
Vita erglühte von neuem und öffnete schon den Mund, um die
Sache richtigzustellen — doch ein warnender Blick ihrer-Tante schloß
ihr den Mund. Diese Aufklärung hatte Zeit bis später, fand Frau
ten Brinken. Denn diesem schüchternen Menschen war alles zuzutrauen.
Sie reichte den beiden die Hände. „Na, da bedanken Sie sich
nur sehr herzlich bei dem heiligen Mann!" — sagte sie lachend.
„Denn ohne seine Hilfe wäret ihr beide vielleicht nie zusammen-
gekommen. Jetzt aber — schnell! macht, daß ihr beide in einen,
präsentableren Zustand konimt — damit ich nachher beim Frühstück
die anderen mit einem tadellosen Brautpaar überraschen kann."
Die neue Zeit.
„Sic dürfen nicht mehr so viel trinken — Sie ninten Ihren Nieren eine zu große Arbeit zu. . ." —
„Ach was! 's Privatisieren hat jetzt aufg'hört. Was glauben S' denn, Herr Doktor! I' muß arbeiten — alles muß
arbeiten — da sollen meine Nieren nur aa' arbeiten!"
zu ftsJüttjtiUn.
€(ine Krankheit kann leicht — äoch kann sie auch [chwer [ein.
Mer der Mensch — er kann fern und doch nicht weit her [ein.
€in Plan kann gelingen — doch kann er auch [chiek geh'u.
Aber der Men[ch — er kann hoch [ein und dennoch [ehr tief steh',,.
6in Laden kann leer — doch er kann auch voll Kunde» [ein.
Liber der Mensch — er kann frei und dennoch gebunden [ein.
eine 7Ia[che kann voll — doch [ie kann auch geleert [ein.
Liber ein Doktor kann teuer und dennoch nichts wert [ein.
Das stier, es kann kalt — doch kann es auch warm [ein.
Liber der Men[ch — er kann reich und doch unläglich arm [ein.
Die Geduld, [ie kann lang [ein — doch kann [ie auch reisten.
Liber der IDen[ch — er kann Ahne haben und doch nicht; zu beisten.
flbasver.
N e »e Bezeichn n n g.
„Wie es scheint, haben Sie in Ihrer Klasse eine ganze Anzahl
sehr begabter junger Leute?" — „O ja, es sind darunter mehrere
ganz patente, latente Talente!"
Dilemma.
„Was lachst Du denn so gräßlich?" — „Die Fliege kitzelt
mich so, die ich in der Hand habe." — „So laß sie doch los!"
— „Dann erwisch' ich sie ja nimmer."
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dem Rocksaum bergend, wie ein kleiner, frierender Vogel. Scheu
blickte sie an sich herunter, ob auch kein verräterisches Schuhspitzchen
hervorlugte. — „Sie müssen meine Sammetpantoffeln gütigst ent-
schuldigen", sagte der Professor, ihren Blick mißdeutend. „St.Niklaus
hat mir nämlich meine Schuhe weggeholt — jedenfalls war er zu
Pferd oben, denn es polterte auf der Treppe, als ob er vierspännig
käme. Bin riesig neugierig, was ich in meinen Schuhen Schönes
finden werde."
Vita wurde plötzlich brennend rot.
Der Professor hatte den Zuckerstreuer ergriffen und drehte ihn
spielend hin und her.
„Nun fehlte nur noch, daß er ihn herunterfallen läßt", dachte
Vita, die mit zitternden Händen Tee eingoß. Und als habe der
Zuckerstreuer, mit der bekannten Bosheit der leblosen Dinge, nur
auf diese Suggestion gewartet, entschlüpfte er den spielenden Fingern,
machte einen kühnen Satz und verschwand nnt höhnischem Geklirr
unter dem Tisch.
„Bitte — lassen Sie mich", rief Vita, doch der höfliche Pro-
scssor bückte sich bereits. — „Aber nicht doch — ich werde mich
doch nicht von einer Dame beschämen lassen!"—: —
Vita zog verzweifelt den Rock noch tiefer herab.
„Wenn Sie einen Augenblick aufstehen wollten, gnädiges Fräu-
lein!" bat er. „Der Ausreißer liegt nämlich unter Ihrem Stuhl."
— „Ich — ich kann nicht — unmöglich I Hur sind beide Füße
eingeschlafenI" log Vita mit Todesverachtung. — „Aber da gibt
es ja gar kein besseres Mittel, als schnell aufzuspringen", ries der
Professor. „Ls kostet nur einen raschen Entschluß, warten Sie,
ich helfe Ihnen!" —
Er ergriff ihre beiden Hände und zog die angstvoll wider-
strebende mit eineni plötzlichen Ruck vom Stuhl. Zwei große braune
Schuhe polterten auf den Teppich. In demselben Augenblick fand
sich das tödlich erschrockene Mädchen an der Brust des Geliebten
wieder. Seine Arme hielten sie fest, fest umfangen und feine
Lippen lagen heiß auf ihren, zuckenden Mund.
„Du Einzige, Du Süße!" flüsterte er an ihrem Bhr. „Mein
tapferes, großherziges Mädchen! So schenkst Du Dich nur wirklich
— verstandest mein stummes werben —"
Frau ten Brinken, die ahnungslos zur Tür hereintrat, blieb
sprachlos stehen.
„Meine Braut!" rief der Professor strahlend.
Frau ten Brinken sah von einem zum andern. „Ja, die aller-
herzlichsten Glückwünsche, mein lieber Herr Professor — aber wie
ist denn das so plötzlich gekommen? Gestern hat doch nieniand die
leiseste Ahnung gehabt, und heute —" — „Heute ist St. Niklaus-
tag!" jauchzte der Professor. „Und nun sehen Sie doch, was er
mir bescherte. In meinen Schuhen fand ich - hier, mein ge-
liebtes Mädchen!"
Vita erglühte von neuem und öffnete schon den Mund, um die
Sache richtigzustellen — doch ein warnender Blick ihrer-Tante schloß
ihr den Mund. Diese Aufklärung hatte Zeit bis später, fand Frau
ten Brinken. Denn diesem schüchternen Menschen war alles zuzutrauen.
Sie reichte den beiden die Hände. „Na, da bedanken Sie sich
nur sehr herzlich bei dem heiligen Mann!" — sagte sie lachend.
„Denn ohne seine Hilfe wäret ihr beide vielleicht nie zusammen-
gekommen. Jetzt aber — schnell! macht, daß ihr beide in einen,
präsentableren Zustand konimt — damit ich nachher beim Frühstück
die anderen mit einem tadellosen Brautpaar überraschen kann."
Die neue Zeit.
„Sic dürfen nicht mehr so viel trinken — Sie ninten Ihren Nieren eine zu große Arbeit zu. . ." —
„Ach was! 's Privatisieren hat jetzt aufg'hört. Was glauben S' denn, Herr Doktor! I' muß arbeiten — alles muß
arbeiten — da sollen meine Nieren nur aa' arbeiten!"
zu ftsJüttjtiUn.
€(ine Krankheit kann leicht — äoch kann sie auch [chwer [ein.
Mer der Mensch — er kann fern und doch nicht weit her [ein.
€in Plan kann gelingen — doch kann er auch [chiek geh'u.
Aber der Men[ch — er kann hoch [ein und dennoch [ehr tief steh',,.
6in Laden kann leer — doch er kann auch voll Kunde» [ein.
Liber der Mensch — er kann frei und dennoch gebunden [ein.
eine 7Ia[che kann voll — doch [ie kann auch geleert [ein.
Liber ein Doktor kann teuer und dennoch nichts wert [ein.
Das stier, es kann kalt — doch kann es auch warm [ein.
Liber der Men[ch — er kann reich und doch unläglich arm [ein.
Die Geduld, [ie kann lang [ein — doch kann [ie auch reisten.
Liber der IDen[ch — er kann Ahne haben und doch nicht; zu beisten.
flbasver.
N e »e Bezeichn n n g.
„Wie es scheint, haben Sie in Ihrer Klasse eine ganze Anzahl
sehr begabter junger Leute?" — „O ja, es sind darunter mehrere
ganz patente, latente Talente!"
Dilemma.
„Was lachst Du denn so gräßlich?" — „Die Fliege kitzelt
mich so, die ich in der Hand habe." — „So laß sie doch los!"
— „Dann erwisch' ich sie ja nimmer."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Dilemma"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1919
Entstehungsdatum (normiert)
1914 - 1924
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 151.1919, Nr. 3880, S. 273
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg