„Der Maler hat g'sagt, i’ hätt' an' Charakterkopf." — „Verzähl's nur net weiter, Sepp, sonst muaßt am End'
no' Luxussteuer zahlen!"
Befürcht» n g.
Der Mann mit dem schiefen Ropf.
Line merkwürdige Geschichte.
rüher, als ich noch jung war, Ranke für einen Hysteriker
und meinen freund, der Balladen dichtet, für einen Histo-
riker hielt, ging an meinem Fenster täglich ein Mann
vorüber mit einem geraden Kopf. Wie von einer höheren Einge-
bung ergriffen, konstatierte ich schon damals, daß der Mann einen
geraden Kopf hatte.
Er hieß Joachim Schnurrig, war Abonnent der Bibliothek
„was jeder wissen muß", studierte seit zwanzig Jahren ein Buch
„wie bekomme ich eine Frau", hatte auf dem rechten L>hr eine
zitternde Wipxwarze, die aber in seinem Paß ignoriert war mit
dem Gesamturteil: Nichts Besonderes.
Als ich nach Jahren meine Heimatstadt wiedersah, fand ich
den Mann wieder. Er hatte inzwischen einen ganz spezifischen
Beinamen erhalten, der ihn treffend kennzeichnete: Der angesehene
Bürger Joachim Schnurrig.
Ich hielt es für meine Pflicht, ihn auch anzusehen. Dabei
entdeckte ich, daß der Kopf des Mannes sich wie ein reifer Kürbis
zur Seite neigte, links-rückwärts, so daß die Wipxwarze mit den
noch übrigen Scheitelhaaren und der Nasenspitze in gleicher Höhe
stand. Das war entschieden merkwürdig, sonderbar, mirakelhaft,
mysteriös.
Fachleute, also Arzte und Kürbiszüchter, und Laien (auf deutsch
„Depx'n") stellten über die Ursache verschiedene Hypothesen auf.
Ein Spezialist für Kopfkrankhciten führte es auf eine irgendwie
bedingte einseitige Drehung des Kopfes zurück, ein über den Bezirk
hinaus berühmter Psychopath bezeichnete das Übel als den Aus-
druck einer seelischen Gleichgewichtsverlegung, die heilwütige
Spitaloberin Zimxfrieder prophezeite aus dem Urin eine baldige
Heirat.
Ich legte mir die Sache ganz einfach zurecht: Dem Mann war
infolge Vermehrung oder Veränderung seiner Gehirnsubstanz der
Kopf zu schwer geworden und er neigte sich zur Seite wie Melonen,
wenn sie sich zur Zeit der Reife mit Wasser füllen. Und —• da er
auf der linken Brustseite einen Grden trug — nach rückwärts.
Doch kaum war ich mit dem Aufstellcn dieser Mutmaßung
fertig, als ich ein weiteres Nachrückwärtsneigen bemerkte. Das
war wieder natürlich: die Gesichtsachse hatte sich verlegt und der
Mann mußte von allen vorübergehenden annehmen, sie sähen ihn
schief an. Alles weitere Neigen des Kopfes war eine verachtende,
abwendende Reaktion. Für einen angesehenen Mann Grund genug,
nachdenklich zu werden.
Und so wurde Joachim nachdenklich, soweit ihn seine Berufs-
angelegenheiten — er war Rechtspraktikant und kahlköpfig — dazu
kommen ließen. Dazu gesellte sich noch eine allmähliche Verlegung
des Gehirnzentrums von rechts nach links. Mit Schrecken bemerkte
Joachim diese radikale Schwenkung seines Innern, und seine bis-
herige Stetigkeit wurde von einer wilden, hastigen Unruhe verdrängt.
Das zeigte sich in dem seinem Milieu angepaßten Ausdruck. Er
inszenierte bei der Feuerschützenvereinigung, deren Ehrenmitglied
er war, eine Aufführung von Goethes „Laune des verliebten".
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no' Luxussteuer zahlen!"
Befürcht» n g.
Der Mann mit dem schiefen Ropf.
Line merkwürdige Geschichte.
rüher, als ich noch jung war, Ranke für einen Hysteriker
und meinen freund, der Balladen dichtet, für einen Histo-
riker hielt, ging an meinem Fenster täglich ein Mann
vorüber mit einem geraden Kopf. Wie von einer höheren Einge-
bung ergriffen, konstatierte ich schon damals, daß der Mann einen
geraden Kopf hatte.
Er hieß Joachim Schnurrig, war Abonnent der Bibliothek
„was jeder wissen muß", studierte seit zwanzig Jahren ein Buch
„wie bekomme ich eine Frau", hatte auf dem rechten L>hr eine
zitternde Wipxwarze, die aber in seinem Paß ignoriert war mit
dem Gesamturteil: Nichts Besonderes.
Als ich nach Jahren meine Heimatstadt wiedersah, fand ich
den Mann wieder. Er hatte inzwischen einen ganz spezifischen
Beinamen erhalten, der ihn treffend kennzeichnete: Der angesehene
Bürger Joachim Schnurrig.
Ich hielt es für meine Pflicht, ihn auch anzusehen. Dabei
entdeckte ich, daß der Kopf des Mannes sich wie ein reifer Kürbis
zur Seite neigte, links-rückwärts, so daß die Wipxwarze mit den
noch übrigen Scheitelhaaren und der Nasenspitze in gleicher Höhe
stand. Das war entschieden merkwürdig, sonderbar, mirakelhaft,
mysteriös.
Fachleute, also Arzte und Kürbiszüchter, und Laien (auf deutsch
„Depx'n") stellten über die Ursache verschiedene Hypothesen auf.
Ein Spezialist für Kopfkrankhciten führte es auf eine irgendwie
bedingte einseitige Drehung des Kopfes zurück, ein über den Bezirk
hinaus berühmter Psychopath bezeichnete das Übel als den Aus-
druck einer seelischen Gleichgewichtsverlegung, die heilwütige
Spitaloberin Zimxfrieder prophezeite aus dem Urin eine baldige
Heirat.
Ich legte mir die Sache ganz einfach zurecht: Dem Mann war
infolge Vermehrung oder Veränderung seiner Gehirnsubstanz der
Kopf zu schwer geworden und er neigte sich zur Seite wie Melonen,
wenn sie sich zur Zeit der Reife mit Wasser füllen. Und —• da er
auf der linken Brustseite einen Grden trug — nach rückwärts.
Doch kaum war ich mit dem Aufstellcn dieser Mutmaßung
fertig, als ich ein weiteres Nachrückwärtsneigen bemerkte. Das
war wieder natürlich: die Gesichtsachse hatte sich verlegt und der
Mann mußte von allen vorübergehenden annehmen, sie sähen ihn
schief an. Alles weitere Neigen des Kopfes war eine verachtende,
abwendende Reaktion. Für einen angesehenen Mann Grund genug,
nachdenklich zu werden.
Und so wurde Joachim nachdenklich, soweit ihn seine Berufs-
angelegenheiten — er war Rechtspraktikant und kahlköpfig — dazu
kommen ließen. Dazu gesellte sich noch eine allmähliche Verlegung
des Gehirnzentrums von rechts nach links. Mit Schrecken bemerkte
Joachim diese radikale Schwenkung seines Innern, und seine bis-
herige Stetigkeit wurde von einer wilden, hastigen Unruhe verdrängt.
Das zeigte sich in dem seinem Milieu angepaßten Ausdruck. Er
inszenierte bei der Feuerschützenvereinigung, deren Ehrenmitglied
er war, eine Aufführung von Goethes „Laune des verliebten".
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Befürchtung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1920
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 152.1920, Nr. 3908, S. 272
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg