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Sie kamen zum Stadtteile, wo nur die ganz Armen wohnten, vor
einer £jütte saß ein schlecht gekleideter Mensch. Der grüßte nicht
und wich nicht zur Seite, als die vornehme Gesellschaft an ihm
vorüberschritt. Lr saß in der Sonne und lächelte still vor sich hin.
„Erkennst Du nicht die ehrfurchtgebietende Gestalt des hohen
Kalifen?" flüsterte ihm einer aus dem Gefolge zu. Doch der
Mann schien nicht zu hören. Lr lächelte weiter.

„Hoher Kalif, er muß taub fein I" meinte der Höfling.

„Nein, er ist stumm, denn er grüßte nicht I" meinte ein anderer.

Lin Dritter sah ihm in die glanzlosen Augen. „Lr ist blind I"
sprach er.

Sie standen alle um den Mann, der sie nicht beachtete. Lr
hatte eine Schnur grober Tonperlen in der Hand und ließ sie
durch die Finger gleiten. Sein Lächeln ähnelte nicht dem verzerrten
Grinsen eines Toren. Auch dem ein wenig verächtlichen, entsagungs-
vollen Lächeln eines weisen schien es nicht gleich. Er lächelte, wie
ein frommer Sohn Mohammeds lächeln müßte, der nicht daran
denkt, daß fein Nachbar um zwei Kamele mehr in seiner Herde
hat und daß die Kinder seines Bruders stärker und sein Weib
schöner sei. wie ein Kind lächelte er.

Line Frau stürzte aus der Hütte und warf sich vor dem Kalifen
nieder, „verzeih meinem unglücklichen Sohn I" rief sie, „daß er nicht
in den Staub niedersinkt vor Dir. Sein blindes Auge kann Deine
Schönheit nicht feh'n. — vergib ihm, daß er Deinen Ruhm nicht
preist! — Sein Mund ist stumm und sein Ghr konnte auch nichts
von Deinen Taten hören — er ist taub! Drei Söhne habe ich.
Lr ist der Jüngste und er war der Schönste, der Beste und Klügste
unter ihnen. Da ging er eines Tages in den Wald. Lin Un-
wetter brach los. Lin Baum stürzte vom Blitze getroffen halb
auf ihn. Lr verlor vor Schreck Gehör, Gesicht und die Sprache
seines Mundes."

Alle schwiegen von Mitleid erfüllt. Nur der Krüppel spielte
weiter mit seinen Perlen und freute sich ihrer Glätte.

Lndlich sprach der Kalif: „wahrlich, noch nie sah ich einen
Menschen, der so elend war wie Dein Sohn. Und doch lächelt er.
— Und es ist nicht das Lächeln eines Irren!"

„Nein, hoher Fürst, er ist nicht irre — er lächelt immer. Und
nie noch habe ich einen Laut von ihm vernommen, der darauf
deuten könnte, daß er unzufrieden wäre mit seinem Leben. Lr ist
der Froheste, Heiterste unter meinen Söhnen. Lr tastet sich selbst
an den Platz, den die Sonne bescheint. Lr spürt sie und dann
bleibt er sitzen in ihren Strahlen, hält seine Perlen und ist
glücklich!"

„Hört Ihr das stolze Wort: Glück?" rief der Kalif, „wie
lange schon forschen wir nach dem Rätsel, das dieses Wort
bedeutet! Und dieser Krüppel kennt die Lösung! Der bringt
zusammen, was dem Reichsten, dem weisesten nicht gelingt: Lr
ist glücklich I — welch' Wunder des Himmels! G, wenn dieser
Mann noch sehen, hören und sprechen könnte! Der ganzen
Welt wäre geholfen! wie glücklich wäre er! Und alle, die sein
Glück sehen würden, sollten sich ihrer eigenen Unzufriedenheit
schämen. Zehn Beutel Goldes dem Arzte, der ihn heilt. Nur
einen wahrhaft Glücklichen im Lande und alle werden ihm gleich
werden!"

Die Ärzte hörten von dem versprechen des Kalifen. Sie
nahmen sich Halefs, des Krüppels, an, versuchten ihre Kunst an
ihm. Und siehe, es gelang!

Als Gmar eines Morgens erwachte, hörte er Menschenstimmen
in die Stille dringen, die ihn bisher umgeben hatten. Seine Brüder
stritten miteinander, wüste Schimpfworte hörte er. Erschreckt
öffnete er die Augen und — er sah. Sah, wie der Jüngere den

Älteren bei den Haaren gefaßt hatte und ihn mit Leibeskräften
daran zerrte, während der andere versuchte, ihn mit den Füßen
zu stoßen. Gmar sprang auf und wollte die beiden trennen. Lr
wußte nicht, daß dieser brüderliche Zwist jeden Morgen stattfand
und daß die beiden Gegner gleich darauf die besten Freunde waren.
Heute aber sollte es anders kommen. Die Gegenwart des Dritten
erregte die zwei noch mehr. Und zum Unglück hatte Gmar auch
die Sprache wieder gewonnen. Lr gab dem jüngeren Bruder im
Streite recht. Da wandte sich der mit neuem Mut in den Kampf
und der Ältere teilte in der Wut noch festere Hiebe aus. Schließlich
einigten sich die beiden Gegner und .stürzten mit vereinten Kräften
auf Gmar los, der jetzt kein Krüppel mehr war und auf den sie
demgemäß keine Rücksicht mehr nehmen mußten.

Als der Kalif mit all feinen weisen kam, um sich an dem
Anblick des glücklichsten Mannes in seinem Reiche zu weiden, traf
er ihn an der Schwelle sitzend und sich den schmerzenden Rücken
reibend. Mißmutig sah er den Ankommenden in den prächtigen
Kleidern entgegen.

„wie glücklich mußt Du jetzt sein!" sprach ihn der Herrscher
an. Da lachte Gmar wütend auf und eine Flut von Klagen und
Anschuldigungen ergoß sich auf das Haupt des Fürsten, daß der
sich schleunigst mit all seinen weisen entfernte.

„Also habe ich mich auch in diesem Menschen getäuscht," sprach
der Kalif traurig. „Hat auch der nicht das seltene Talent zum
Glücklichsein I wieviel hat er gewonnen und wie hat er es mir
gedankt?!" Die anderen weisen mischten sich ins Gespräch und
sagten gar gelehrte Dinge über die Ligenart des Menschen, das
Glück nicht zu ertragen. Sie alle waren ärgerlich und dachten an
die zehn Beutel Goldes, die der Arzt bekommen hatte, wahrlich,
zehn Beutel Goldes waren zuviel bezahlt für einen Unzufriedenen
mehr im Lande!

„Das Glück hat ihn habgierig und unzufrieden gemacht",
meinte der eine.

„Lr wünscht sich Gold", der zweite.

So sprachen sie weiter und waren alle voll Groll über die
Undankbarkeit des Krüppels.

Nur der Mann, den der Kalif immer für den weisesten unter
seinen weisen gehalten hatte, ging daneben her und schwieg.

„warum sprichst Du nicht?" fragte ihn der Fürst, „warum läßt
Du allein die Blume Deines Geistes nicht leuchten?"

Der weise sprach nachdenklich: „vielleicht tust Du dem Manne
unrecht, hoher Kalif, vielleicht ist er gar nicht so undankbar, wie
wir alle meinen!"

Die andern fuhren ihm empört in die Rede, doch der Fürst
winkte ihnen zu schweigen und bat den weisen, fortzufahren. Und
der fragte: „Sahst Du schon einmal in Deinem Leben einen wahr-
haft glücklichen Mann?"

„Nein!" antwortete der, „außer diesem Krüppel, den ich
noch glücklicher machen wollte und der es mit schnödem Undank
lohnt!"

„Ja, Fürst, Du handeltest edel an ihm! Allah wird es Dir
lohnen! Du machtest ihn sehend, hörend, Du gabst ihm die Sprache
— aber siehe, vielleicht muß man blind, stumm und taub sein,
um auf dieser Welt glücklich zu sein. — Ls ist wohl nicht Undank-
barkeit, er kann nichts dafür!"

Alle schwiegen, von dem neuen Gedanken betroffen. Lndlich
sprach der Kalif: „vielleicht sagtest Du jetzt die größte Weisheit,
mein Freund. Aber wir wollen diesen Ausspruch doch nicht im
Goldenen Buche aufzeichnen, wie wir es sonst tun — denn es gibt
Weisheiten, die nur für uns Weife sind und von denen das Volk
besser nichts erfährt." yella £?ofman„.

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