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Ilbi» des I^achkwächliens.

tatst euch lagen, ich lieben Leutein,

Der vielgeliebte, teure Staat
Plant wieder mal ein Attentat
Auf eure wertgelchätzten Beuteln.

Bewahrt das Teuer und das Licht,

Damit der Staat das Geld nicht liecht!
Die Lwangsanleihen
Kann niemand freuen.

Bewahrt das Licht und auch das Teuer,
Mit 'm Geld i[t’s gar nicht mehr geheuer!
Cabt's fein im Dunkeln,

Da kann’s nicht funkeln.

Bewahrt das Teuer und das Licht,

Dal; euern Geldbeuteln nichts gelchiecht I

Willy.

J£ttfnttjnfmtng.

Jetzt rafft (ich ja die IDedizin
Mal auf zu neuen Sprüngen,

Denn |chon i(t der Derfuch gedieh »,
che Batte zu verjüngen!

Der Anfang freilich wirkt recht matt;
Ich bleibe noch pblegmati[cb:

Die Ratte, die vier Beine bat,
l(t mir böchtt untympathifcb!

Chirurgen schafft uns mal was llett’s
Und nehmt mich zum Berater:
Verjüngt die Raiten des Balletts
An unterm Stadttheater!

Bernhard Schäfer.

Schimmel

von Gskar Krott.

Ich saß i»i sausenden Zug. Das Land flog vorbei wie eine
große Fahne in goldgelber, kuxferbrauner und purpurner Para-
mentenstickerei. Die Telegraphendrähte stiegen aus und nieder wie
wogende Mellen. Das gleiche Drängende, Sinkende, Ewige. . .

Manchmal streute ein heimatloses Blatt zum offenen Fenster
herein, weinrot, oder ein goldner Ahornstern und fuhr nun mit,
weit, weit.

„Schimmel."

Das war ein Schrei, wie ihn nur Buben tun können. So
froh und voller Licht und Lust, Entdeckerfreude und Jubel.

Sie standen am anderen Fenster und alle drei machten die
gleiche Geste: Sie zogen die Innenseite des rechten Daumens an
der Unterlippe ab, wie die häßliche Spinnerin in der Fabel, die
davon eine kfängelixpe bekam, strichen dann den befeuchteten
Daumen anf die linke geballte Faust und klopften zweimal nach-
drücklich auf die gezeichnete Stelle.

„Gezählt", sagten sie dabei und ihre Augen lachten wie
draußen die kserbstsonne.

Ich sinnierte, welch' alter Mythos hier nachklang im Spiel
der Rinder, welcher Ritus hier weiterlebte, kam aber zu keinem
Ende. Das beste war wohl, ich fragte die Buben selber. Sie
rückten auch gleich an mich heran und mit der Sprache heraus.
Einer richtigen Bubensprache.

Das sei so: Sie zählten jeden Schimmel, der ihnen begegnete.
Apfelschimmel gälten nicht. Das Zählen geschehe mit der bewußten
Gebärde: Daumen ablecken, auf die Faust streichen und dann fest-
nageln, Faust auf Faust. Menn aber das Hundert voll wäre,
fänden sie etwas. Irgend etwas.

„Ia was denn?" - Der eine wünschte sich einen Kanarienvogel,
der andere hunderttausend Mark, der dritte ein Taschenmesser.

„Und Du?" fragte ich den vierten, der Toni hieß. Das war
ein schmächtiges Gesichtchen mit einem Paar großer Augen. Fast
die Augen einer Frau. Er wurde rot und sagte nichts. Strich
nur über seinen schäbigen Rock mit zarter Hand und drehte dann
seinen Hut. Die andern drei kicherten.

„Ra, was ist denn los?" fragte ich.

Da lachten sie: „Der. Der Toni. Bei dem werden's nie
hundert. Der verzählt sich immer. Bald nimmt er einen Apfel-
schimmel, bald übersieht er einen." Und dann . . .

Schon rief einer: „Schimmel".

Die andern zwei streckten die Köpfe; aber der Toni, um ja
nicht zu spät zu kommen, machte gleich seine Geste, voller Eifer
und ohne aufzusehen,: „Vierzehn!"

Gejohl und Geschrei: „Ls war ja gar kein Schimmel." Der
Toni schwieg und schaute unbeholfen. Dann traten zwei große
Tränen komisch-feierlich aus den frauenhaften Kinderaugen und
rollten schwerfällig über die schmalen Mangen. Und glänzten dann
auf seinem blauen Rock. Kein Schluchzen oder Meinen: nur zwei
einsame Tränen.

„Da wird nichts draus. Der sind't nichts. Der Lehrer sagt
auch immer, daß aus dem nichts wird. Ick Hab' schon zweiund-
siebzig ..."

So plauderten die Buben. Lachend, ohne zu ahnen, was sie
taten, wie kleine Kinder den Fliegen die Beine ausreißen.

Mehmütig schaute der Toni ins fliegende Land. Aber es kam
kein Schimmel mehr.

Ich ivollte ihm raten, er solle auf die Regierung gehen, ins
Kultusministerium, da hätte er bald hundert voll. Aber das hätte
er doch nicht verstanden und wer weiß, ob das die rechten Schimmel
sind. Apfelschimmel gelten ja auch nicht.

Er tat mir leid. Er würde nie was finden. Der Zug holperte
über die Mechsel, Häuser paradierten links und rechts.

Aussteigen. Alles aussteigen. . . Den Toni stieß einer an,
daß er anfschreckte: „Du, schau, daß Du rauskommst. Aber vergiß
Deinen Kopf nicht!"

Hilflos stand er auf dem Bahnsteig. — „Ich fand was. Ich
Hab' hundert voll", rief einer und lief fort.

Toni stand und sah ihm nach mit sehnsuchtgroßen Augen.

Leute trieben an ihm vorbei, Packträger schrien, Maschinen
pfiffe», keuchten, stöhnten.

Ich wollte schon gehen; da sah ich noch, wie sich der Toni
bückte, und als das Gesichtchen wieder auftauchte, leuchteten die
Augen tief drinnen und ein Schein überhuschte ihn. Froh und
voller Seligkeit. Und dann steckte er sich eine rote Rose ins i pf,
loch und ging leuchtend der Sperre zu.

Lang noch sah ich sie schimmern, bis das Glück um die Ecke
bog. Der Toni mit der großen roten Rose.

Mb der andere mit seinem vollen Hundert. . .?

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Lied des Nachtwächters"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3937, S. 10
 
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