Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mit bewiesen ift, daß jene Nummer 234 der
deutschen Literatur einen Stoß versetzte — einen
unheilbaren Stoß — einen Stoß, welcher der
riesigen Lesergemeinde meines Mandanten Un-
sägliches kostete und ihm selbst einen verdienst-
entgang von jährlich zehntausend . . . —"

„Bho l" sagte der Anwalt der Straßenbahn.

„Dieses Gho beweise auf der Gegenseite
eine beklagenswerte Litcraiurfremdheit —"

„Fremd sei lediglich der Name des in weitesten
Kreisen unbekannten verunglückten —"

„Als ob es keine Pseudonyme gäbe, und
die zehntausend Mark mal der wahrscheinlichen
-ebensdauer, die bei Gehirnerschütterungen ge-
rade infolge der eingetretenen Totalverblödung-"

„Bho!" rief der Mandant.

„Mensch," sagte Goldschmidt V im Gang,
„5ie haben mir auf ein haar das Konzept ver-
dorben."

„Erlauben Sic mal: Total verblödet —!"

„Seien Sie nicht blöd, die Entschädigung
hängt ab vom Grad der nachgewiesenen Ver-
blödung."

„Aber wenn ich's doch nicht bin, wenn ich
im Gegenteil in meiner letzten Arbeit als Frucht
der damaligen Idee — hier, lesen Sie doch selbst
mein Manuskript I"

Goldschmidt V las. Goldschmidt V kriegte
einen roten Kopf: „Ich lege mein Mandat
nieder —"

„Um Gottes willen, ist die Arbeit denn —"

„Gut ist sie, verdammt gut! wenn sie ge-
druckt wird, sind wir unten durch. Nur wenn
5ie einen Unsinn drucken lassen, können wir
gewinnen."

„hm, einen Unsinn? Ich will's mal ver-
suchen."

Er versuchte es eine Woche lang. Er hätte
nie gedacht, daß bewußter Unsinn solche Mühe
mache. Aber dann stand es im Blatt und Gold-
schmidt V las es schmunzelnd: „. . . ,— so daß
der Ubersinn der transzendentalen Herzwucht
jäh hineinsteilt in die roten Tanzspiralen der
vibrierenden Nachtseele — ‘, nicht übel, gar nicht
übel, ich schätze sechsundsechzigzweidrittel Prozent
geistige Erwerbsbeschränktheit — schade, schade,
aus neunzig Prozent sollten wir noch kommen."

Dann klingelte er seinen Ulandanten in dessen
Stammkaffeehaus an: „Ich gratuliere, aber wenn
Sie noch eine Idee verrückter —"

„Unmöglich, ich habe geschwitzt, mehr als
gut —"

„Das ist's ja, Unsinn darf nicht schwitzen,
echter Unsinn wird aus dem Ärmel geschüttelt,
am besten als Gedicht — Gedichte werden bei
Gericht von vornherein als Unsinn angesehen —
schütteln Sie, verehrter, Ihre Stammtischfreunde
werden Ihnen gerne schütteln helfen — Ihr Jjel
muß Blech sein, reines hundertprozentiges Blech,
dann haben wir gewonnen — gut Blech alle-
zeit, hipp, hipp, Hurra!"



Adrianis Freunde lachten, daß das Marmor-
lischchcn wackelte: „Ul. w.", sagten sie, „machen
wir, auf jede Nase trifft eine verszeile — hier
ist ein Bleistift — wie, kein Stück Papier ist
auszutreiben? — m. n., macht nichts, nehmen
wir die abgebrochene Marmorecke, Marmor-
manuskripte machen Eindruck bei der Redak-
tion der „Morgenröte" — Dicker, schieße los..!"

Sie schmissen, einer nach deni andern, ihre
Zeile:

Geschick.

Gehabt
„habe noch"

Einen Stern geseh'n
Fliegt im Abend
„Morgen"

Nur

Gb

Schon

Nicht besitzen
wie könnte ich
Und doch
Dennoch
Adria ui.

Als dieses Gedicht am Tage vor der Schluß-
verhandlung in der „lllorgcnröte" erschien, voll-
sührtc Goldschmidt V einen Indianertanz:
„Mensch," schrie er seinen Klienten an, „solcher
Mist war noch nicht da, wir setzen- hundert Pro-
zent, wir setzen hundertzehn Prozent durch!"

„Und ich soll in der Verhandlung —"
draußen bleiben! Ihr Gesicht ist zu ver-
nünftig — würde es verpatzen — Ihr Gedicht
genügt — ,Gb — schon', aus einem Wort zwei
Zeilen, wunderbar! — Glatte Paranoia samt
Dementia praecox! — Erwarten Sie mich am
Ausgang, das Urteil bring' ich mit!"

Adriani wartete lange. Richter kamen,
Rechtsanwälte gingen, Zeitungsverkäufer schrien
die „Morgenröte" witzig aus: „Immer jekauft,
'errfchaften, Iedicht von Adriani, jroßartiger
Mumpitz — eene „Morgenröte" jefällig, 'err l?"

Adriani lächelte, „hundert Prozent," mur-
melte er, „hundertzehn Prozent —"

Die Zeit verging. Adriani trat von einem
Bein aufs andre. Richter kamen, Rechtsanwälte
gingen, Zeitungsverkäufer schrien die „Abend-
röte" aus: „Immer jekauft, 'errfchaften — eene
„Abendröte" jefällig, 'err?"

Adriani zögerte.

großartige Jeschickjedichtjritik über Adri-
ani —"

Adriani stutzte. „Geben Sie!"

Er zahlte, nahm und las . . .

Im Lesen legte sich auf seine Schulter eine
schwere Hand, Goldschmidt Vs Hand. Und eine
düstre Stimme, Goldschmidt Vs Stimme, sagte
grabestief: „Ich muß Ihnen leider mitteilen —
das Urteil —*

„Ich weiß — da steht es in der „Abendröte" :
„Adrianis Gedicht .Geschick' bezeichnet einen
Markstein in der neuen deutschen Dichtkunst, zu
lichten höhen wird uns dieser Meister führen,
wer hätte gedacht —""

„Ja, wer hätte gedacht," nickte der Anwalt
elegisch, „und ich habe keinen Vorschuß.

Fritz Müller-j)artenkirchen.

35
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der gute Vogel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3940, S. 35
 
Annotationen