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„Hausfrau," flehte ich und legte ein Kilogramm Schmalz in
meine Stimme, „Hausfrau, bitt' schön! Räumen Sie nicht auf!
IM? lese die Bücher weder nach der Dicke noch nach der Größe
und schreibe nicht nach dem papierformat." Rührender kann kein
liebender eine spröde Geliebte um Lrhörung betteln.

Die Hausfrau hob beteuernd die Hände gen Himmel und sagte:
"IM, was glaub'n S denn! Ich Hab' noch nie kein Stück! an
Dhrem Schreibtisch nicht angerührt, Id; Hab doch noch nie nur ein
^lattl verrückt, ich lass' doch alles liegen, wie's liegt!" — Da
wußte ich: „verspielt!" Ich ging in die Kirche und opferte dem
heiligen Antonius, dem Schutzpatron für verlorene und verlegte
Jachen, eine zweipfündige Kerze, auf daß er die Hausfrau erleuchte.

Als ich heimkam, standen die Bücher nach Dicke und Grötze
geordnet und so weiter. Die Hausfrau ging mir erst etwas schuld-
bewußt ans dem weg; denn es entfuhr inir eine sieben Meter
lange Verwünschung. Dann aber sagte sie freundlich: „Es schaut
gleich netter aus, wenn ein bißchen abgestaubt ist." — Mein Blick
war Klage und Anklage, vermischt mit Verzweiflung. Dann ging
resigniert daran, meine Schreibtischstellung auszubauen.

Die Hausfrau sagte lächelnd: „©■ mein Gott, „Sorten ging s
schlecht, wenn man nicht ein bißchen Brdnung hielte." Ich griff
lud; dem papiermesser. Sie enteilte. Nach einem c!.ag fand ich mich
wieder in meinen, Kram zurecht. — Iä; kaufte nun einen Apparat
mit Fangeisen und Schreckschüssen, stellte ihn auf den Schreibtisch und

schrieb dazu: „Mbachtl Legbüchsen I I" — Und ging dann mit einem
Gefühl der Sicherheit fort. Als ich heimkam, standen die Bücher wieder
nach Größe und Dicke geordnet. Die Hausfrau trug die Hand in einer
Mullbinde und sagte freundlich: „Die Mausfalle habe ich in den Keller
gestellt, wo sie hingehört, und auf den, Tisch habe iä; ein bißchen abgc-
staubt." Jetzt knirschte ich aber hörbar mit den Zähnen. Verzweifelnd
machte ich wieder eine ordentliche Unordnung zurecht und zog dann
einen elektrisch geladenen Stachcldraht um den Schreibtisch. — So!

Als ich heimkam, standen die Bücher wieder nack; Größe und
Dicke geordnet und der Monteur mit Guni>nihandsd}uhen und Draht-
sä;ere räumte die letzten verhaue weg. — „Iä; weiß," sagte iä; mit
Grabcsstimine zur Hausfrau: „Sie haben nur abgestaubt." — Als
td; allein war, hing ich mich mit der Krawatte am Fensterriegcl auf.
Es muß alles ein Ende haben. — Mein Krieg war verspielt. —

Da ich — in tiefer Ghnmacht befindlich — abgeschnitten wurde
und wieder erwachte, galt mein erster Blick den, Schreibtisd;. Die
Büd;er standen nach Größe und Dicke geordnet, die Krawatte lag
in der Krawattcnsd;ad}tel und die Hausfrau stand mit den, Staub-
wedel da und staubte die nad; dem Format geordneten Maiinskript-
blätter ab. Dann sagte sie freundlich: „Id; habe Sie vom Feustcr-
riegel wcggeholt. Id; habe nichts angerührt. Nur der Vrdnung
wegen. Es sieht ein bißchen netter aus, wenn nian im Bett stirbt.
Ich habe den Fensterflügel nur ein bißchen abgestaubt." — Meine
Hoffnung ist ein Jenseits, in dem nid;t abgestaubt wird.

Julius Kreis.


Da merk ich erst deutlich, wie verlassen ich bin-"

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e*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Da merk ich erst deutlich, wie verlassen ich bin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kirchner, Eugen
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3941, S. 43
 
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