Schicksal ihres Zopfes habe ich meiner Frau bis jetzt natürlich
noch nichts gesagt — um Himmels willen I
* , *
*
Heureka I Nun hat doch das Schicksal ein Einsehen gehabt
und — doch ich will lieber der Reihe nach erzählen.
Der Zopf war also verschwunden. Aber heute morgen, am
Sonntag, noch in aller
Frühe, kommt die Frau
Studienrat Lehmann an-
geheult. Das ist näm-
lich die beste Freundin
von meiner Frau. Schon
draußen vor der Tür
Hab' ich sie schreien
Horen: „Ich lass' mich
scheiden I B. ich Un-
glückliche — mein Mann
betrügt mich!"
Erst nach drei Tas-
sen Bohnenkaffee wa-
ren ihre Nerven soweit
beruhigt, daß sie ihr
Herz ausschütten konnte:
„Mein Mann hat ein
Verhältnis —■ ich bin
schmählich hintergangen
— ogottogottogott I"
„Haben Sie denn
einen Beweis dafür?"
fragt meine Frau.
„Freilich Hab' ich
einen I" schluchzt Frau
Lehmann, öffnet ihre
Handtasche und zieht —
ich denke, mich rührt
der Schlag I — zieht
den Zopf meiner Frau
hervor.
„Den Hab'ich heute
morgen in einem Buche
gefunden, das auf sei-
nem Schreibtisch lag —
huhuhu!"
Die Ärmste schluchzte
bitterlich und meine Frau
war käsebleich gewor-
den. Jetzt ließ sich die
Katastrophe doch nicht
mehr abwenden. Wenn
das Glück einer Ehe
auf dem Spiele steht,
bleibt in so einem Falle
doch nichts andres üb-
rig. als Farbe zu be-
kennen. nicht wahr? Ich gab mir also einen moralischen Ruck
und sagte: „Gnädige Frau — Ihr Gatte ist unschuldig. Der Zopf
gehört mir."
Sie fragte, ob ich sie in ihrem Leid auch noch verspotten wolle.
„Nicht im entferntesten", antwortete ich. „Den Zopf haben
Sie doch im sechsten Band eines Werkes über „Die Sozialisierung
des Ameisenstaates" gefunden? Sehen Sie! Und dieses Buch habe
ich zuletzt gelesen, vorgestern abend war ich gerade auf der hundert-
vierundachtzigsten Seite. Dort Hab' ich abgebrochen, und weil ich
kein Lesezeichen zur Hand hatte, da Hab' ich. sehen Sie, das war
freilich unüberlegt von mir. da Hab' ich den falschen Zopf von — von
unserer Mina in das Buch gelegt. Und am nächsten Morgen hat
dieses Nilnozeros das Buch mitsamt dem Zopf nach der Bibliothek
zurückgebracht. So ist
cs tatsächlich gewesen."
Da war die Frau
Lehmann so glücklich,
wie ich noch selten einen
Menschen gesehen habe.
Sie ist meiner Frau um
den Hals gefallen und
hat gelacht und mir hat
sie den Zopf zurück-
gegeben und dann ist
sic nach Hause geeilt zu
ihrem Mann. Ich aber,
ich habe dagesessen wie
eilt Pfannkuchen, in den
man versehentlich statt
Backpulver Zenient ge-
schüttet hat.
Und dann ist meine
Frau wiedergekommen.
(!) weh, Hab'ich gedacht,
jetzt gcht's los! Aber
meine Frau hat ganz
leise gesprochen und ihr
Ton ist von einer Herz-
lichkeit gewesen, daß der
Pfannkuchen gleich mäch-
tig hochging.
„Adolf." hat sie ge-
sagt. „das werd' ich Dir
nie vergessen, daß Du
mich aus dieser Situ-
ationbefreithast! wenn
die Lehmannen geahnt
hätte, daß cs mein Zopf
war! — Aber, wie mag
er bloß in das Buch
gckomnien sein?"
*3«," sag' ich und
sehe sie ganz scharf an,
„wie mag der bloß da
hineingekommen sein?"
„Adolf!" schreit sie.
„Du glaubst doch nicht
etwa-ich schwöre
Dir: ich bin unschuldig!"
„So? wirklich?
Iulchen! Iulchen!"
„Adolf, Du mußt mir glauben! Ls ist Tücke des Objekts. Ver-
hängnis. ein Fall höherer Gewalt! Du mußt es glauben!"
„Na ja." Hab' ich da gesagt, „ich will Dir glauben: es muß
wirklich höhere Gewalt gewesen sein! Nun wollen wir aber gar
nicht mehr davon reden."
Ich Hab' meiner Frau den vermißten Zopf zurückgegeben und
werde künftig nur noch Krawatten als Lesezeichen benutzen.
Die M a s s c II s c» d II II g.
Kausmannslehrling (beim Bricsmarkenanlecken).: ..O daß ich tausend
Zungen hätte!"
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noch nichts gesagt — um Himmels willen I
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Heureka I Nun hat doch das Schicksal ein Einsehen gehabt
und — doch ich will lieber der Reihe nach erzählen.
Der Zopf war also verschwunden. Aber heute morgen, am
Sonntag, noch in aller
Frühe, kommt die Frau
Studienrat Lehmann an-
geheult. Das ist näm-
lich die beste Freundin
von meiner Frau. Schon
draußen vor der Tür
Hab' ich sie schreien
Horen: „Ich lass' mich
scheiden I B. ich Un-
glückliche — mein Mann
betrügt mich!"
Erst nach drei Tas-
sen Bohnenkaffee wa-
ren ihre Nerven soweit
beruhigt, daß sie ihr
Herz ausschütten konnte:
„Mein Mann hat ein
Verhältnis —■ ich bin
schmählich hintergangen
— ogottogottogott I"
„Haben Sie denn
einen Beweis dafür?"
fragt meine Frau.
„Freilich Hab' ich
einen I" schluchzt Frau
Lehmann, öffnet ihre
Handtasche und zieht —
ich denke, mich rührt
der Schlag I — zieht
den Zopf meiner Frau
hervor.
„Den Hab'ich heute
morgen in einem Buche
gefunden, das auf sei-
nem Schreibtisch lag —
huhuhu!"
Die Ärmste schluchzte
bitterlich und meine Frau
war käsebleich gewor-
den. Jetzt ließ sich die
Katastrophe doch nicht
mehr abwenden. Wenn
das Glück einer Ehe
auf dem Spiele steht,
bleibt in so einem Falle
doch nichts andres üb-
rig. als Farbe zu be-
kennen. nicht wahr? Ich gab mir also einen moralischen Ruck
und sagte: „Gnädige Frau — Ihr Gatte ist unschuldig. Der Zopf
gehört mir."
Sie fragte, ob ich sie in ihrem Leid auch noch verspotten wolle.
„Nicht im entferntesten", antwortete ich. „Den Zopf haben
Sie doch im sechsten Band eines Werkes über „Die Sozialisierung
des Ameisenstaates" gefunden? Sehen Sie! Und dieses Buch habe
ich zuletzt gelesen, vorgestern abend war ich gerade auf der hundert-
vierundachtzigsten Seite. Dort Hab' ich abgebrochen, und weil ich
kein Lesezeichen zur Hand hatte, da Hab' ich. sehen Sie, das war
freilich unüberlegt von mir. da Hab' ich den falschen Zopf von — von
unserer Mina in das Buch gelegt. Und am nächsten Morgen hat
dieses Nilnozeros das Buch mitsamt dem Zopf nach der Bibliothek
zurückgebracht. So ist
cs tatsächlich gewesen."
Da war die Frau
Lehmann so glücklich,
wie ich noch selten einen
Menschen gesehen habe.
Sie ist meiner Frau um
den Hals gefallen und
hat gelacht und mir hat
sie den Zopf zurück-
gegeben und dann ist
sic nach Hause geeilt zu
ihrem Mann. Ich aber,
ich habe dagesessen wie
eilt Pfannkuchen, in den
man versehentlich statt
Backpulver Zenient ge-
schüttet hat.
Und dann ist meine
Frau wiedergekommen.
(!) weh, Hab'ich gedacht,
jetzt gcht's los! Aber
meine Frau hat ganz
leise gesprochen und ihr
Ton ist von einer Herz-
lichkeit gewesen, daß der
Pfannkuchen gleich mäch-
tig hochging.
„Adolf." hat sie ge-
sagt. „das werd' ich Dir
nie vergessen, daß Du
mich aus dieser Situ-
ationbefreithast! wenn
die Lehmannen geahnt
hätte, daß cs mein Zopf
war! — Aber, wie mag
er bloß in das Buch
gckomnien sein?"
*3«," sag' ich und
sehe sie ganz scharf an,
„wie mag der bloß da
hineingekommen sein?"
„Adolf!" schreit sie.
„Du glaubst doch nicht
etwa-ich schwöre
Dir: ich bin unschuldig!"
„So? wirklich?
Iulchen! Iulchen!"
„Adolf, Du mußt mir glauben! Ls ist Tücke des Objekts. Ver-
hängnis. ein Fall höherer Gewalt! Du mußt es glauben!"
„Na ja." Hab' ich da gesagt, „ich will Dir glauben: es muß
wirklich höhere Gewalt gewesen sein! Nun wollen wir aber gar
nicht mehr davon reden."
Ich Hab' meiner Frau den vermißten Zopf zurückgegeben und
werde künftig nur noch Krawatten als Lesezeichen benutzen.
Die M a s s c II s c» d II II g.
Kausmannslehrling (beim Bricsmarkenanlecken).: ..O daß ich tausend
Zungen hätte!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Massensendung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3953, S. 139
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg