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den stehengebliebenen Zug aus und war wohlig erfüllt davon, ein
humorvoller Mann zu fein: „Müaff'n ma eahna schiab'n hclfa! Wart'
nia halt, bis uns der Wind wieder weitertreibt I Steht vielleicht a
Kuah im Gleis?" — lind jedesmal sah er triumphierend um sich und
freute sich seines Publikums, wenn einer aus Gefälligkeit grinste,

Lin junges Fräulein, dem der junge Mann im Nebenabteil,
der das Fenster so auf- und niederklappte, ein freundliches Interesse
abgewann, stand auf und klappte auch ihrerseits das Fenster herab
und zeigte allerhand Wohlgewachsenheit dabei. Der beiden Köpfe
begegneten sich außerhalb des Wagens, schielten sich aus den Augen-
winkeln in regelmäßigen Abständen an. Jüngling und Jungfrau
wiegten sich in dem unerwarteten amouröfen Abenteuer und hatten
beide ein bißchen Angst vor ihrer Abenteuercourage, zumal der
Jüngling; denn er trug eine Brille und wußte bei allem guten
willen nie, wie man anfangen sollte.

Der perr mit der grünen Weste umsprühte indessen den Zug
noch immer mit seinem Witz und seiner Laune und allmählich
steckte sein Beispiel die ledernsten und langweiligsten Fahrgäste an
und jedes gab sich rechtschaffen Mühe, der Bahn eins mit attischem
Salz zu versetzen: „pü!-— Kimint er heut' net, kimmt er morg'nl —
Immer langsam voran I" — Und sogar ganz bescheidene Naturen,
wie der alte Amtsdiätar pimbserl freuten sich, einmal der Staats-
autorität, von der der Zug doch ein kleines Stück war, mit pohn
begegnen zu können, Auch er erlaubte sich zu bemerken, daß man
vielleicht schieben solle — hä, hä l

Der perr mit der Reisemütze nnd der angekohlten Zigarre
hatte bis jetzt geschwiegen und nur von Zeit zu Zeit einen bösen
Blick zum Fenster hinausgetan. Nun aber hielt er es an der Zeit,
sich vernehmen zu lassen, Lr sah aus die Uhr und sagte mit fettigem
Zorn: „Schweinerei so was! Schweinereil Das liegt natürlich am
ganzen schlampigen Betrieb. Ls sei eine Schweinerei. Diese Fahrerei
sei geradezu skandalös und es sei eine Schweinerei nnd nur bei
uns möglich,"

Und der perr der Lcke gab ihm melancholisch recht und bohrte
längst wieder in der Rase,

Das xräraffaelitische Fräulein rutschte nervös auf dem Körper-
teil, der bei andern Leuten auch die dritte wagenklaffe polstert,
hin und her und blätterte erregt in einer theosophischen Zeitung
„Die Wiedergeburt" und zischte fiebrig tsztsztsztsztsz. , .

Indessen war ein perr, der in Parföngks und Toiletteartikeln
reiste und auch sonst einen sehr schneidigen Lindruck hinterließ, aus
die Plattform getreten, hatte mit Feldherrnblick die Situation
überschaut und storchte dann den Bahndamm entlang, herrisch,
ganz blonde Bestie, obwohl er schwärzliche paare hatte, die pände
in den Posentaschen,

„pör'n Se mal, Schaffner!" rief er den Zug entlang, „das
is aba nu doch skandalös, wa kriechen ja den Anschluß in München
nich meah, wat is denn nn eijentlich los?"

Alle Fahrgäste im Wagen drängten sich angenehm durchschauert
vor so viel kühnem Mannesmut ans Fenster und die Tatsache, daß
er Publikum sah, veranlaßte den Pertreter von Schulzes Erben,
das Letzte an Forschheit herzugeben. Und er stelzte wie ein Torero
auf die Lokomotive „Amalia" zu, die asthmatisch pustend immer
neue Dampfwolken auspluderte und am ganzen Leibe schwitzte.
Aber der Lokomotivführer schenkte dem Vertreter von Schulzes
Erben nicht einmal einen Blick und trank gleichmütig aus dem
Maßkrug. Der Pelzer spie ihm dicht an den Schuhen vorbei und
der Schaffner war nirgends zu erblicken. Da zog sich der Pionier
der Erkenntnis wieder zurück und rief ein ums anderemal: „Un-
glaublich! Zustände hier! Nu warten wa schon ne jeschlachene
Stunde! , ,,"

Der perr in der grünen weste hörte den draußen krakeelen
und war voll Feindseligkeit; denn der perr am Bahndamm hatte
das Publikum von den Witzen abgelenkt. Lr sagte deshalb ver-
ächtlich grollend: „Der werd's na' glei' Ham da drauß' mit sein'
G'schroamaul! Der is uns no' abganga."

Aber nur wenige hörten auf ihn. Alles drängte an Fenster
und Türen und reckte die pälse nach der Lokomotive. Doch „Amalia"
pfiff ein- übers anderemal auf alle Interessenten und heulte aus
reiner Lust am Spektakulum auf. Keine Menschenseele vom Zugs-
wärterpersonal ließ sich blicken. Der Schaffner schien irgendwo auf
der Strecke verloren gegangen zu sein, vielleicht war er in einen
Briefkasten gefallen oder er hatte sich in spiritistischer Sitzung mit
dem Postschaffner entmaterialisiert.

Dadurch mutig gemacht, daß er nicht um die Wege war,
schrieen mit einem Male alle nach dem Schaffner und der perr
von Schulzes Erben, der als erster sozusagen auf die Schanzen
gesprungen, erlebte seine große Genugtuung. Nur der perr mit
der grünen Weste war still geworden, weil sich niemand mehr um
ihn kümmerte und skalpierte mit der Verbitterung des Kaltgestellten
einen Wurstzipfel.

Der Jüngling und die Jungfrau indes hatten endlich die
Brücke zu einander geschlagen, indem beide, heilfroh über diese
Möglichkeit der Verständigung, sich gegenseitig versicherten, es sei
wirklich ein Skandal, und schmiegten sich in berechtigter Empörung
gemeinsamer Interessen enger aneinander, wie es ein glücklicher
Zufall bei bewegten volksaufläufen zwanglos mit sich bringt.

Auf einmal hörte man in weiter Ferne von der Lokomotive
her einige kurze Rufe und Pfiffe, die wagen schaukelten vor und
zurück, dann schien die „Amalia" noch — sentimentalen Blicks —
von einer schönen Aussicht Abschied zu nehmen und zuckelte dann
rack-tack tack — rack — tacktack wieder vorwärts, wie jemand,
der nach eineni kleinen Nickerchen am Weg erfrischt wieder auf
sein Ziel lospendelt, Eile mit weile.

Die Fahrgäste sanken entspannt ans ihre Plätze zurück, schälten
Eier, überschlugen im Schmöker die Reisebeschreibung und dösten
wieder sachte vor sich hin, gewiegt vom Rhythmus der rollenden
Räder und selbst der perr in der Ecke, der grüblerisch in der Nase
bohrt, wird es nie ergründen, warum der Zug märchenhaft und
geheimnisvoll auf offener Strecke hielt, — Noch schauert mir die
paut, von angenehmer Romantik überrieselt, so oft ich an den
geheimnisvollen Zugsaufenthalt denke, dessen mystischen Schleier

keine pand heben konnte,---Ja, es ist zuweilen etwas

unsagbar Stimmungsvolles um einen ungeregelten Eisenbahn-
verkehr ! Julius Arois,

Deine ölumen.

Deine Blumen blühen wieder,
glühen, wie he dich erfreut,
fehlt auch deine Hand, die zarte,

Die he liebend oft betreut.

Und das muh mich wunder nehmen,
Dah sie so in glüte steh'n —

Jrtj verstand ja nie, du weiht es,
stecht mit Blumen umzugeh'n!

Denn auch du warst eine Blume —
Oie mir wohl der Bartuer nahm,
weil ich sie ins Dunkel stellte,
wo sie schwer jum Blühen kam ,..

Blühst du herrlich nun im Lichte?
Sei versöhnlich, hör' mein fleh'n!
sich verstand ja nie, du weiht es,
stecht mit Blumen umzugeh'n ,,,
0emh, Schäfer,

Natur und Kino.

Somm erfrischlcr (soeben auf dem Gipfel des Monte Rosa
angekommen): „Janz nett, beinahe wie im Kino!"

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so-
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