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Die Amsel.

(Turdus merula.)

<£s lag in der Luft:

Seit zwei Monaten war kein neuer Verein
mehr gegründet worden, obwohl sich in der
Zwischenzeit die Einwohnerschaft um min-
destens drei Köpfe vermehrt hatte. Drum
stand eines Abends im Lokalblatt:

Diejenigen, welche Naturfreunde find, oder
solche, wo es werden wollen, mögen sich . • .

Linfinden natürlich. Und sie fanden sich
ein: Drei, fünf, sechs.

Nur? Das Inserat war auch nur 5x7.

Ich war selbstverständlich auch dabei,
weil ich zu denjenigen gehöre, welche. . .

Aber ich täuschte mich. Es wurde mir
nämlich schon in den ersten fünf Minuten
klar gemacht, daß ich zu den andern gehörte:
Solche, wo es werden wollen.

Ls fehlten nämlich die primitivsten Vor-
aussetzungen zu einem Naturfreund.

Der Herr Notariatssekretär lvinslfeld
fragte n,ich gleich, wieviele Staubgefäße
Aegopodium podagraria aus der 5. Ordnung,
Familie 2? habe.

worauf id) ihm versicherte, ich fei selbst-
verständlich für Ruhe und Ordnung.

Lr wiederholte: Familie 2?!

Id; erschrak und multiplizierte das Exi-
stenzminimum mit 2 7.

„Armer Vater", murmelte ich bcileidigt.

Aber er ließ nicht nach: podagraria . . .

Ich schüttelte das Haupt: was denken
Sie. Ich und Podagra?

Jetzt erst gab er nach und man schritt
über mich und meine Unwissenheit zur Tages-
ordnung.

Der Lebkuchenbäcker und Zivilzoologe
Lechner erklärte die Unterscheidung der neun
braunen Frösche Deutschlands, was nur bei
Beobachtung ihrer Zahustellung möglich sei.

Also für Damen überhaupt nicht, was
mich in meinem Grundsatz, das^ Frauen-
studium abzulehnen, bestärkte.

Als man auf die Kröten zu sprechen
kam, wagte ich einzuwerfen, ob Kröte und
Protz das gleiche seien, worauf man mir
erkürte, in der wissenschaftlichen Zoologie
gebe es keinen Protz Überhaupts nicht, son-
dern nur buko vulgaris.

Das werde ich mir merken.

Meine Frage, ob bomo sapiens und domo
vulgaris wenigstens das gleiche sei, wurde
mit dem Bescheid erledigt, daß im Rund der
Naturfreunde solche, wo es erst werden
wollen, Überhaupts nur zuzuhören und nicht
den Ernst der Arbeit durch magere Witze zu
stören hätten.

protz —■ Kröte — bufo vulgaris — Buffo
— Büffel —

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Mein Lhef wird Augen machen.

Hoiuo vulgaris, dachte ich und saugte ver-
legen an meiner Pfeife.-

Zwischen der dritten und fünften Halbe
kam man auf die Vögel. Jeder hatte einen
daheim im Käfig und nannte ihn mit dem
botanischen Namen. Der meine muß erst
einen bekommen. Etwa: Avis Waldema-
riensis, Ordnung der Schwimmvögel mit ge-
stutzten Flügeln, vollkommen unmusikalisch,
singt aber doch vom bis zum 3. jedes
Monats. Oder so. Dann wurde beschlossen,
bei nächster Gelegenheit einen Ausflug zu
machen, eine Nachtigall schlagen zu hören,
einen Kuckuck zu sehen und beim Neuwirt
in vorderding einzukehren.

Die Amsel — richtig.

Der Herr Notariatssekretär zog ein Blätt-
chen aus der Tasche: Nach Kosmos, Jahr-
gang \y\ 2, 5. Heft, Seite (pagina, sagte er)
231, habe Dr. Soundso folgenden Amselruf
gehört. Dabei zeichnete er:




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worauf der Lebkuchenbäcker sein Notizbuch
zog und die Melodie unter dem Datum des
Tages registrierte.

„Sie wiff'n ja, Herr Sekretär, es ist
z'weg'n. . ." Dabei deutete er auf seine
deutlich sichtbare Kopfhaut. Lr meinte aber
offenbar sein Gedächtnis.

„Sehen Sie, Herr Lechner", sagte der
Sekretär, „bis heut' Hab' ich noch keine Anise!
so schlagen hören. Aber in diesem Früh-
jahr . . ."

Id) vergaß die Sache, bis mir vor einigen
Tagen der l)erv Sekretär auf der Straße
begegnete: „Hör'n S' nur, Herr Waldemar,
hör'n S' nur-

Id) hörte nur: Auf der Galgcnleit'n,
bei der neugestrichnen Bank nach der Ell-
bad)er Seite zu, sei er heut' mittag gesessen
und habe sid) voll und ganz der Natur hin-
gegeben und ganz zufällig Hab' er sein
Notizbuch gezogen und die Stelle gefunden
mit dem Amselmotiv, und dann Hab' er's
vor sid) hingepfiffen und — — —"

„Denk'n S’ Ihnen meine Freid, wie da
auf einmal eine Amsel über mir zu pfeifen
anfangt, ganz genau die gleiche Melodie!
Denk'n S' Ihnen eine rid)tige turdus merula.
Und id; pfeif' wieder und die Anisel wieder
und wieder ich. Ich sag' Ihnen: Sie können
Ihnen meine Freid nicht vorstellen. Am An-
fang hat sie ein klein'- bißl falsd) 'xfiff'n,
aber dann — id; sag' Ihnen: wie g'schmicrt
ist's 'gangen und id; Hab' nimmer aufhörcn
können I Schier eine Stund lang."

„Und Sie haben f nicht g'seh'n", wagte
id) zu zweifeln.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Amsel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3963, S. 10
 
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