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frei war. <£r hörte Gläserklirren und fröhliche stimmen. Drunten unter-
hielten sich die Herren weiter, während sich die Prinzessin mit ihren Damen
bereits zurückgezogen hatte. Der Dichter dachte etwas, das ausgesprochen
eine Majestätsbeleidigung gewesen wäre. Dann holte er sein Büchlein
hervor, und da er nichts anderes zu tun hatte, begann er zu dichten. Und
weil gerade eine wunderschöne, silberhelle Mondnacht war, und die Blumen
sehnsüchtig dufteten, die Nachtigallen aber pflichtschuldigst schluchzten, wurde
es natürlich ein Liebesgedicht. Er wußte eigentlich selbst nicht recht, wem
es galt. Durch die vornehme Gesellschaft, mit der er unter einem Dache
weilte, erhoben, nannte er das einfache, kleine Mädel, dem sonst seine Lieder
galten, diesmal „Frau Königin". Ls wurde ein sehr schönes Gedicht. Als
er es beendigt hatte, legte er sich beruhigt schlafen. Am nächsten Morgen
erwartete ihn ein großes Glück, Während er noch schlief, hatte sich die
ganze vornehme Gesellschaft bereits auf den Weg gemacht. Nun hatte der
Wirt wieder Zeit, sich um den einfachen Gast zu bekümmern. Lr entschädigte
sich beim Frühstück für das elende Nachtessen und verließ dann den Brt.

* *

Hundert Jahre waren seit diesen! Tage vergangen. Die Prinzessin
war natürlich längst zu ihren hohen Ahnen berufen worden und auch der

Überall ließ er sich die Bücher zeigen, in welche die Fremden ihre
Namen geschrieben hatten. Der Platz, wo der Name des Dichters
wohl gestanden hatte, war meistens leer. Irgendein Autographen-
sainniler hatte sich das Blatt wohl angeeignet. Hingegen fand er
in einem Buche einen anderen Namen. Ihre Hoheit, die Prinzessin
Maria von Altringen. — Lr wollte das Buch wieder zuschlagen,
als ihn ein Gedanke packte. Vhne Zweifel, die Prinzessin und der
Dichter hatten in derselben Nacht unter diesen! Dache geweilt. In
ebenderselben Nacht, da das berühmte Liebeslied des Dichters
entstanden war!

Lr wußte sich nicht zu fassen vor Freude über die Entdeckung.
Gleich schrieb er einen langen Aufsatz, in dem cs unter andern!
hieß: . . . und so ist es erwiesen, daß jenes berühmte Liebeslied nicht,
wie bisher angenommen, Friederike Meier, einem bekanntlich geistig
ziemlich inferioren Mädchen gilt, sondern einer weit vornehmeren,
höher stehenden Persönlichkeit, ihrer Hoheit der Prinzessin Maria
von Altringen. Darauf deutet auch eine Stelle des Gedichtes, in der
er die Geliebte mit „Frau Königin I" anspricht. Lr bedient sich da
ein wenig dichterischer Freiheit, da das Haus der Altringen nur
fürstlichen, nicht aber königlichen Geblütes ist und Prinzessin Maria

Dichter war nicht mehr. Seine Werke aber lebten. Und während
der Name der Prinzessin nur von den ausführlichsten Chronisten
erwähnt wurde, gab es kaum eine deutsche Stadt, die kein Denk-
mal von dem Dichter besaß. An seinem Todestage zogen die Schul-
kinder weiße Kleider an, putzten sich die Nasen und brachten Blumen
zu seinen! Denkmal, während der Herr Lehrer eine gefühlvolle
Nede hielt. Und die Kinder waren einesteils erfreut, weil sic
nicht in die Schule zu gehen brauchten, andernteils aber Ärgerten
sie sich, weil der Dichter soviel Gedichte geschrieben hatte, die sie
auswendig lernen mußten. Ls gab ganze Stöße von Werken über
den Dichter. Die Literarhistoriker hatten bereits erforscht, wieviel
Stunden im Tage er gearbeitet und wieviel er geschlafen, daß er
junge Lrbscn sehr gerne gegessen und blonde Frauen mit braunen
Augen ani meisten bewundert hatte. Ä, sie wußten alles, die
Herren Forscher. Kein Geheimnis hatte der tote Dichter mehr vor
ihnen. Sie wußten mehr von seinem Leben, als er selbst gewußt
hatte. Und einmal machte sich solch ein hochgelehrter Herr auf eine
Fußreift. Er nahm denselben Weg, den einst der Dichter genommen
hatte. In denselben Gasthöfen, soweit sie noch bestanden, kehrte
er ein. Lr dachte nur an ihn und hoffte im Geheinien, doch noch
etwas Neues im Leben des vollständig Erforschten zu entdecken.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Literaturgeschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kirchner, Eugen
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3968, S. 52

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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