Wams gesteckt hatte, am Morgen immer so viel Dukaten wieder,
um von neuem ohne Sorgen leben zu können. Aber der Glanz
des Goldes stahl sich dem Prinzen ins Herz und weckte darin die
Begierde, mehr zu besitzen, als der Beutel für eines Tages Be-
dürfnis ihm gab. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Zwar wurden
seine klugen, die nun bei Tag und Nacht nur die schimmernden
Schätze vor sich sahen, stumpf gegen die Schönheit der Welt, durch
die er reiste, und sein Herz ward hart gegen die Bettler, die ani
Wegrand um sein Mitleid flehten, zwar fühlte er sich um nichts
glücklicher als damals, da der wundersame Beutel ihm nur das
stets Nötige gespendet hatte, und Leid und Schmerz konnte das
Gold nicht stillen; aber die Truhe, die im Kutschensitz verwahrt
lag, füllte sich, und bald brauchte er hochbepackte Wagen, um all'
die goldene Last mit sich zu führen.
Der Prinz, der die Pfeife gewählt hatte, schritt munter für-
baß und blies in den sonnigen Tag hinein. Die Pfeife tönte
lustige weisen, und das Herz war ihm so froh, daß er über seine
Brüder lachte, die nach dem nüchternen Beutel und der einfältigen
wage gelangt hatten. „Dem Leichtsinn gehört die Weltl" sang
er, und die Lieder, die er xsiff, wurden von Tag zu Tag ausge-
lassener. Einst traf er vor einem Städtlcin einen wagen fahrender
Leute und ein schönes Kind im bunten Kleid, das vor dem Spiegel
saß und sich schminkte. „Spiel'mir zum Tanz l" rief es, und schon
drehte es sich nach seiner Melodie. Da faßte er es um die Hüfte
und schwang sich mit ihm, und immer toller und freier wurde
Ton und Tanz. Es zog mit ihm, und viele andere paare voll
Übermut und keckem Sinn schloffen sich ihnen an. wohl schien es
dem Prinzen oft, als leuchte die Sonne nimmer so hell und
sängen die Vögel minder froh als früher, und oft erschrak er
über sein Widerbild, wenn es mit bleichen Wangen und tiefen
Augen aus dem Spiegel sah; aber dann griff er auf's neue zur
Pfeife, und Lachen und laute Scherze umflatterten den Zug, der
taumelnd dahintanzte.
Mit stiller Freude wandelte der dritte Königssohn, und die
Wage blinkte in seiner Hand. Er schritt mit sehenden Augen und
warmem Herzen durch's Menschenland. Erst einsam und sinnend,
dann froh und stark, denn zwei schritten ihm zur Seite, ein Freund
und eine Frau, von den anderen erntete er für Güte Undank,
der siel schwer lastend in die wage; aber der Prinz pflückte ein
Blümlein vom Wegrand und legte es lächelnd in die andere
Schale, und siehe, sie sank und hielt der Last in der anderen das
Gleichgewicht. Betrug und Arglist trafen ihn, und Enttäuschung
und Leid drückten die übervolle Schale; da hielt der Prinz die
Wage der Sonne entgegen, oder ins gefurchte Antlitz eines Bett-
lers, dem er wohlgetan, oder vor ein Kinderauge; und es fiel ein
Sonnenstrahl, ein dankbarer Blick, ein unschuldvolles Leuchten in
die andre Schale, die wogen Leid und Arglist auf, als wär's
flüchtige Spreu. Doch schwankte die wage gar zu wild, zwei
Gewichte brachten sie immer zur Ruh': ein Freundeswort und
ein Hauch der Liebe.
Lines Abends trat ein dunkler Schatten in des Prinzen weg
und heftete einen schwarz wehenden Flor an seine wage, daß die
Schale zitternd zu Boden fuhr. Da hob sie der Königssohn hoch
empor zum dämmernden Himmel, an dem ein großer, schöner
Stern niild leuchtend heraufzog; aus der rätselvollen Ferne träu-
felte tröstlicher Schimmer, und ruhig schwebte im Gleichgewicht
die wage.
So schritten sie zu Dreien, stark und zuversichtlich, und von
der goldenen wage fiel ein funkelndes Leuchten auf ihre heiter
lächelnden Züge.
* *
Die drei Jahre waren um. Fanfaren erklangen im Schloß-
hof. Das Volk erwartete die Prinzen zurück.
Der alte König aber lag in der Gruft; ein hoher, marmorner
Grabstein war vor dieser in die Mauer eingelassen, und von deui
Stein schaute des Königs Bild ernst und gütig in den Schloßhof.
Neben dem Denkmal stand unter einem Baldachin der Thron,
drauf lagen des Königs Purxurmantel, Szepter und Krone.
Fast zur nämlichen Zeit ward Räderknarren und übermütig
lustige Musik in der Ferne hörbar. Staub wirbelte auf, und eine
lange Kette- von Lastwagen kam auf der Landstraße daher; unter
den Wagendecken hervor funkelte und gleißte es, daß den Schauen-
den vor Glanz die Augen übergingen. An der Spitze ritt der
Prinz, der mit dem Lederbeutel in die Welt gezogen war. von
der andern Seite her nahte ein Zug nach Tanzweise einherschrei-
tender Gesellen und Mädchen, und der sie führte, war der Prinz,
der sich die hellklingende Pfeife ausbedungen hatte, während ihr
Gefolge vor dem Tore zurückblieb, betraten die beiden Prinzen
den Schloßhof und schritten durch die harrende Menge bis vor
den Thron.
Der mit dem Lederbeutel hob die Hand nach der Krone:
„Wer", sprach er, „wäre ihrer würdiger als ich? Überfluß soll
herrschen in meinem Land. Es lebe das Gold!" Da klang es
wie ein schwerer Seufzer aus der Gruft und über den Schloßhof
71
9*
um von neuem ohne Sorgen leben zu können. Aber der Glanz
des Goldes stahl sich dem Prinzen ins Herz und weckte darin die
Begierde, mehr zu besitzen, als der Beutel für eines Tages Be-
dürfnis ihm gab. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Zwar wurden
seine klugen, die nun bei Tag und Nacht nur die schimmernden
Schätze vor sich sahen, stumpf gegen die Schönheit der Welt, durch
die er reiste, und sein Herz ward hart gegen die Bettler, die ani
Wegrand um sein Mitleid flehten, zwar fühlte er sich um nichts
glücklicher als damals, da der wundersame Beutel ihm nur das
stets Nötige gespendet hatte, und Leid und Schmerz konnte das
Gold nicht stillen; aber die Truhe, die im Kutschensitz verwahrt
lag, füllte sich, und bald brauchte er hochbepackte Wagen, um all'
die goldene Last mit sich zu führen.
Der Prinz, der die Pfeife gewählt hatte, schritt munter für-
baß und blies in den sonnigen Tag hinein. Die Pfeife tönte
lustige weisen, und das Herz war ihm so froh, daß er über seine
Brüder lachte, die nach dem nüchternen Beutel und der einfältigen
wage gelangt hatten. „Dem Leichtsinn gehört die Weltl" sang
er, und die Lieder, die er xsiff, wurden von Tag zu Tag ausge-
lassener. Einst traf er vor einem Städtlcin einen wagen fahrender
Leute und ein schönes Kind im bunten Kleid, das vor dem Spiegel
saß und sich schminkte. „Spiel'mir zum Tanz l" rief es, und schon
drehte es sich nach seiner Melodie. Da faßte er es um die Hüfte
und schwang sich mit ihm, und immer toller und freier wurde
Ton und Tanz. Es zog mit ihm, und viele andere paare voll
Übermut und keckem Sinn schloffen sich ihnen an. wohl schien es
dem Prinzen oft, als leuchte die Sonne nimmer so hell und
sängen die Vögel minder froh als früher, und oft erschrak er
über sein Widerbild, wenn es mit bleichen Wangen und tiefen
Augen aus dem Spiegel sah; aber dann griff er auf's neue zur
Pfeife, und Lachen und laute Scherze umflatterten den Zug, der
taumelnd dahintanzte.
Mit stiller Freude wandelte der dritte Königssohn, und die
Wage blinkte in seiner Hand. Er schritt mit sehenden Augen und
warmem Herzen durch's Menschenland. Erst einsam und sinnend,
dann froh und stark, denn zwei schritten ihm zur Seite, ein Freund
und eine Frau, von den anderen erntete er für Güte Undank,
der siel schwer lastend in die wage; aber der Prinz pflückte ein
Blümlein vom Wegrand und legte es lächelnd in die andere
Schale, und siehe, sie sank und hielt der Last in der anderen das
Gleichgewicht. Betrug und Arglist trafen ihn, und Enttäuschung
und Leid drückten die übervolle Schale; da hielt der Prinz die
Wage der Sonne entgegen, oder ins gefurchte Antlitz eines Bett-
lers, dem er wohlgetan, oder vor ein Kinderauge; und es fiel ein
Sonnenstrahl, ein dankbarer Blick, ein unschuldvolles Leuchten in
die andre Schale, die wogen Leid und Arglist auf, als wär's
flüchtige Spreu. Doch schwankte die wage gar zu wild, zwei
Gewichte brachten sie immer zur Ruh': ein Freundeswort und
ein Hauch der Liebe.
Lines Abends trat ein dunkler Schatten in des Prinzen weg
und heftete einen schwarz wehenden Flor an seine wage, daß die
Schale zitternd zu Boden fuhr. Da hob sie der Königssohn hoch
empor zum dämmernden Himmel, an dem ein großer, schöner
Stern niild leuchtend heraufzog; aus der rätselvollen Ferne träu-
felte tröstlicher Schimmer, und ruhig schwebte im Gleichgewicht
die wage.
So schritten sie zu Dreien, stark und zuversichtlich, und von
der goldenen wage fiel ein funkelndes Leuchten auf ihre heiter
lächelnden Züge.
* *
Die drei Jahre waren um. Fanfaren erklangen im Schloß-
hof. Das Volk erwartete die Prinzen zurück.
Der alte König aber lag in der Gruft; ein hoher, marmorner
Grabstein war vor dieser in die Mauer eingelassen, und von deui
Stein schaute des Königs Bild ernst und gütig in den Schloßhof.
Neben dem Denkmal stand unter einem Baldachin der Thron,
drauf lagen des Königs Purxurmantel, Szepter und Krone.
Fast zur nämlichen Zeit ward Räderknarren und übermütig
lustige Musik in der Ferne hörbar. Staub wirbelte auf, und eine
lange Kette- von Lastwagen kam auf der Landstraße daher; unter
den Wagendecken hervor funkelte und gleißte es, daß den Schauen-
den vor Glanz die Augen übergingen. An der Spitze ritt der
Prinz, der mit dem Lederbeutel in die Welt gezogen war. von
der andern Seite her nahte ein Zug nach Tanzweise einherschrei-
tender Gesellen und Mädchen, und der sie führte, war der Prinz,
der sich die hellklingende Pfeife ausbedungen hatte, während ihr
Gefolge vor dem Tore zurückblieb, betraten die beiden Prinzen
den Schloßhof und schritten durch die harrende Menge bis vor
den Thron.
Der mit dem Lederbeutel hob die Hand nach der Krone:
„Wer", sprach er, „wäre ihrer würdiger als ich? Überfluß soll
herrschen in meinem Land. Es lebe das Gold!" Da klang es
wie ein schwerer Seufzer aus der Gruft und über den Schloßhof
71
9*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die goldene Wage"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3970, S. 71
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg