Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Eigentlich hat er recht.

Unser Freund Waldemar hat — was sein sanft klingender
Name gewiß nicht vermuten läßt — ein geradezu unheimliches
Temperament. Er ist immer überheizt, hat oft ein paar Atmo-
sphären zu viel. Er merkt's aber, konimt dann zu uns und lüftet
das Ventil.

Neulich kam er wieder, kochend, schnaubend. Teilnahmsvoll
fragten wir:- „was hat Dich denn wieder aus dem Häuschen ge-
bracht? Gewiß die Steuern!"

„Um Gottes willen nein, nein, nein," wehrte er mit vorge-
streckten Armen ab und ließ sich in den für solche Fälle bewährten
Klubsessel fallen.

Ich versuchte, ihn ab-
zulenken, der Abkühlung
halber: „Ei, was hast Du
da für schöne neue Schuhe?
was haben die gekostet?

Im Frieden —"

Waldemar fuhr auf,
wie von einem Ameisen-
haufen. „Im Frieden, im
Frieden!" hohnlachte er —

„da haben wir's ja wieder!

Das ist's ja, was mich all-
mählich rasend macht! Daß
man mit keinem Menschen
mehr drei Worte wechseln
kann, ohne daß es losgeht:
was kostet das? was hat's
vor dein Krieg gekostet?
was wird's übermorgen
kosten? Und Ihr steckt grade
so drin in dem erbärm-
lichen Sumpf und wollt
Luch keinen Zoll drüber
erheben. Könnt Ihr Euch
denn nicht aufraffen und
endlich mal 'nen Strich
machen! Don jetzt ab kostet
eben alles achtfach, zehn-
fach — ich weiß, was es
im Frieden gekostet hat —

Null anhängen und fertig! Und die Menschen sind alle zehnmal
dümmer, schlechter und gemeiner geworden, das muß inan auch
immer dazunehmen. Unabänderliche Tatsache. Nur nicht wundern!
Ja, das könnt Ihr: Hände in den Sack stecken, Mund aufsperren
und groß wundern!"

„Eigentlich hast Du recht — aber, aber . . ."

Waldemar ließ mich nicht ausreden. Ich wollte sagen, daß
wir uns beim Kopfrechnen anscheinend nicht so leicht tun wie er.
„Eigentlich!" schrie er, „da haben wir's wieder, und hinterdrein die
sechs Aber, die Luch als Bleigewichte wieder hereinziehen in den
Sumpf, die Euch im Halse steckcnbleiben und jeden Tatendrang

Der Herbst.

Oer Herbst geht durch die Länder
Mit nacktem braunem Fuß.
Armselig die Gewänder,
Zerschlissen Llock und Bänder
Und pilgersiill sein Gruß.

Und bringt sein Lied getragen
Oer Wind von Wald und Rain,
Kannst du es doch nicht sagen,
Ist's Jubeln oder Klagen,

Leid oder Glücklichsein.

erwürgen. Drum geht ja nichts vorwärts I wegen der ewigen drei-
tausend Aber, in der verfluchten Regenwurmperspektive werdet Ihr
zertreten und habt umsonst gelebt."

Waldemar wischte sich die Stirn; es war ihm schon leichter.
Er hatte schon eine Atmosphäre verdampft.

„Du bist wieder mal überarbeitet, überreizt," sprach ich pastoral
begütigend, „weißt Du was, fahren wir rasch ins Gcbirg, auf
irgend einen schönen Berg, wo Du weit und breit keinen Menschen
siehst — das wird Dich beruhigen!"

Er folgte. Line Stunde später saßen wir im Zug. Uns gegen-
über hatte ein behäbiger
Spießbürger Platz genom-
men. Nun zog er die Fahr-
karte aus der Tasche und
betrachtete sie mit sichtlichem
Mißfallen. Ich ahnte, was
im nächsten Moment kom-
men mußte: „Im Frieden
hat so a Billöt. . ."

Schon hatte ich aber
Waldemar auf die Platt-
form hiuausgeschoben. Der
ohrenbetäubende Lärm da
draußen mar die einzige
Sicherheit gegen Rückfälle.

Kaum angekommen,
liefen wir geradewegs —
nur lebhafteren Gruppen
im großen Bogen auswei-
chend — auf den nächsten
grünen Berg und ließen
uns auf der Kuppe erschöpft
nieder. Waldemar war
gleich wieder munter. Er
strahlte vor Glück: „Herr-
lich I — Endlich in reiner,
freier Atmosphäre! Die
Berge, die Täler so fried-
lich, so unbekümmert um
das, was uns sonst in die
Bhren gellt. Die Kühe
grasen so gemütlich, als gäb's keine Politik — ach, alles losgelöst
von Zeit und Arger."

Vinter uns hörte ich ein Schnauben, das näher kam, unheil-
kündend. Nun hatte er uns erreicht. Ein dicker Herr mit Voll-
mondsgesicht und zornig blitzenden Äuglein. Kaum hatte er Luft,
da ging's los: „So was Ausg'fchamt's! lviffen S', was f auf
der Alm da drunt' verlangen für a Glas Milli? . . ."

Waldemar war mit zugehaltenen Mhren aufgesprungen und
rannte wie wahnsinnig den Berg hinab; an der (Duelle holte ich
ihn ein, packte ihn und steckte seinen Kopf in den eiskalten Sprudel.

„Das kostet nichts," rief ich ihm zu; „höchstens 'nen Schnupfen."

w. 3-

Mit seiner dunklen Geigen
Weht er ein Lied zu Tal.
Oa ist es allen Zweigen,
Als spürten sie so eigen
Oen Frühling noch einmal.

Willibald Kram.

Srtjarf finD des Agitators Reben,
weil er Den Schnabel tüchtig weht,
kr weih nichts non der Arbeit flöten,
kr heht.

Ummer derselbe.

kr raucht die seltensten Importen,
hat alles, was es Teures gibt,
fllan trifft ihn an Sen kurusorten,
kr schiebt.

wenn irgendwo die Pferde rennen,
kr weih, auf welchen Saut er zielt.
Sie besten Tips, er muß sie kennen,
Er spielt.

kr tanzt in.atten 8ars und Dielen
Und ist im flirten sehr geübt,
flach ihm Sie fchönsten fllädchen schielen,
kr liebt.

wilip.

118
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Herbst"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Krain, Willibald
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3976, S. 118

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen