Die
Rapitalsanlcrge.
„Liebe Edith", sagte ich
zu meiner Frau. „die Mark
fällt wieder mal besinnungs-
los. DiePreise ziehen wieder
an. Ziehen an, wie man
törichterweise sagt; denn ich
wüßte nicht, was daran
eigentlich anziehend wäre.
Man protestiert überall
gegen die Teuerung, doch
diese läßt sich dadurch nicht
irre machen. Das einzige,
was noch hilft, ist sich recht-
zeitig einzudccken. Wir
müssen uns mit Konserven
versorgen, Heute, wo alles
spekuliert, sind Lorned Beef
und Bohnen mit Speck
sicherlich nicht das schlech-
teste Sxekulationsobjekt. In
der allgemeinen Umwertung
aller werte haben Fleisch-
büchsen ein weit höheres
Ansehen erlangt als preußi-
sche Konsols."
Diese materielle Argu-
nientation leuchtete meiner
Frau völlig ein. Am näch-
sten Tage tauschten wir
unsere Konsols gegen Lor-
ned Beef, Brechbohnen,
Gchsenmaulsalat und ähn-
liche wertvolle Spekulati-
onsobjekte um. Die platz-
frage machie allerdings in
unserer durch das Woh-
nungsamt wesentlich beein-
trächtigten Behausung große
Schwierigkeiten. Lin paar
tausend Mark Konsols
bringt man in jeder Rock-
tasche unter, bei Fleisch
jedoch ist das Volumen ein
nicht zu unterschätzender
Faktor. Ich entschloß mich
daher zu einem (Opfer nnd
zwar zu einem geistigen —
geistige (Opfer bringt nian
erfahrungsgemäß am leichtesten. Ich verkaufte den Inhalt meines
Bücherschrankes, um Platz zu schaffen für den Einzug des Fleisches,
lvenn nian vor der Wahl steht, hie Literatur, hie Lorned Beef, gibt
es keinen anderen Ausweg. Abgesehen davon, daß die Realisierung
der Literatur mich in den Stand setzte, noch einige Dutzend Fleisch-
büchsen mehr zu erwerben. Und als dann die Blechdosen hinter den
Glasscheiben in Reih und Glied standen, niachten sie auf jeden
Besucher den angenehmsten Eindruck, was nicht so sehr der Fall
gewesen, als meine Bibliothek bloß aus Büchern bestanden hatte.
Wir hatten zu dieser Zeit eine Mina, eine vorzügliche Mina,
die sich von allen sonstigen
Minen dadurch vorteilhaft
unterschied, daß sie alle jene
guten Eigenschaften besaß,
die Minen sonst nicht zu be-
sitzen pflegen. Sie war un-
geheuer fleißig, staubte und
wischte den ganzen Tag, am
liebsten staubte und wischte
sie in meiner Bibliothek.
Außerdem besaß sic eine
Eigenschaft, die heute dop-
pelt schätzenswert, sie aß sehr
wenig, aß sozusagen unter
dem,Existenzminimum, was
nicht nur uns, sondern auch
vielen anderen Herrschaften
sehr sympathisch ist. Und
dabei gedieh sie sichtlich.
Der Segen des Guten schien
auf ihr zu ruhen.
Uni so größer mußte also
unser Schmerz sein, als sie
uns ganz plötzlich kündigte.
Nichts vermochte sie zum
Bleiben zu bewegen, nicht
einmal die vereinte Ver-
zweiflung meiner Frau und
meiner selbst. Mit Tränen
auf Wangen und Bart
ließen wir sie ziehen, über-
zeugt, wir würden ihres-
gleichen nimmer sinden.
Wir fanden auch nicht.
Meine Frau entschloß sich
daruni, allein den Haushalt
zu führen. „Erleichtere Dir
die Sache", riet ich ihr wohl-
meinend, „nimm doch hie
und da eine Fleischbüchse
aus dem Bücherschrank! Da-
mit ist rasch gekocht und
auf ein paar Büchsen mehr
oder weniger in unserer
Spekulationsreserve konimt
es doch nicht an."
Sie tat, wie geraten.
Aber wer beschreibt unser Er-
staunen, als sie den Bücher-
schrank öffnete und ein paar
Büchsen herausnahm? Die
waren fein säuberlich erbrochen und ausgeleert I Was wir für Fleisch
in Blech gehalten, war nur noch Blech ohne Fleisch. Also darum hatte
Mina so fanatisch die Bibliothek abgestaubt! Wirklich, sie verstand sich
aufs Säubern! Nicht eine einzige Bohne hatte sie liegen lassen! Also
deshalb aß sic so vorbildlich unter dem Existenzminimum, weil sie das
Maximum aus dem Bücherschrank bezog. Also deshalb gedieh sic so
ausgezeichnet! Ja, der Segen des Guten ruhte wirklich auf ihr, der
Segen des guten, des ausgezeichneten Lorned Beef! Die ganze Kapi-
talsanlage hatte sie vertilgt! (D hätte ich doch meine Konsols behalten!
von denen wäre wenigstens auch sie nicht fett geworden. Norbert.
195
Rapitalsanlcrge.
„Liebe Edith", sagte ich
zu meiner Frau. „die Mark
fällt wieder mal besinnungs-
los. DiePreise ziehen wieder
an. Ziehen an, wie man
törichterweise sagt; denn ich
wüßte nicht, was daran
eigentlich anziehend wäre.
Man protestiert überall
gegen die Teuerung, doch
diese läßt sich dadurch nicht
irre machen. Das einzige,
was noch hilft, ist sich recht-
zeitig einzudccken. Wir
müssen uns mit Konserven
versorgen, Heute, wo alles
spekuliert, sind Lorned Beef
und Bohnen mit Speck
sicherlich nicht das schlech-
teste Sxekulationsobjekt. In
der allgemeinen Umwertung
aller werte haben Fleisch-
büchsen ein weit höheres
Ansehen erlangt als preußi-
sche Konsols."
Diese materielle Argu-
nientation leuchtete meiner
Frau völlig ein. Am näch-
sten Tage tauschten wir
unsere Konsols gegen Lor-
ned Beef, Brechbohnen,
Gchsenmaulsalat und ähn-
liche wertvolle Spekulati-
onsobjekte um. Die platz-
frage machie allerdings in
unserer durch das Woh-
nungsamt wesentlich beein-
trächtigten Behausung große
Schwierigkeiten. Lin paar
tausend Mark Konsols
bringt man in jeder Rock-
tasche unter, bei Fleisch
jedoch ist das Volumen ein
nicht zu unterschätzender
Faktor. Ich entschloß mich
daher zu einem (Opfer nnd
zwar zu einem geistigen —
geistige (Opfer bringt nian
erfahrungsgemäß am leichtesten. Ich verkaufte den Inhalt meines
Bücherschrankes, um Platz zu schaffen für den Einzug des Fleisches,
lvenn nian vor der Wahl steht, hie Literatur, hie Lorned Beef, gibt
es keinen anderen Ausweg. Abgesehen davon, daß die Realisierung
der Literatur mich in den Stand setzte, noch einige Dutzend Fleisch-
büchsen mehr zu erwerben. Und als dann die Blechdosen hinter den
Glasscheiben in Reih und Glied standen, niachten sie auf jeden
Besucher den angenehmsten Eindruck, was nicht so sehr der Fall
gewesen, als meine Bibliothek bloß aus Büchern bestanden hatte.
Wir hatten zu dieser Zeit eine Mina, eine vorzügliche Mina,
die sich von allen sonstigen
Minen dadurch vorteilhaft
unterschied, daß sie alle jene
guten Eigenschaften besaß,
die Minen sonst nicht zu be-
sitzen pflegen. Sie war un-
geheuer fleißig, staubte und
wischte den ganzen Tag, am
liebsten staubte und wischte
sie in meiner Bibliothek.
Außerdem besaß sic eine
Eigenschaft, die heute dop-
pelt schätzenswert, sie aß sehr
wenig, aß sozusagen unter
dem,Existenzminimum, was
nicht nur uns, sondern auch
vielen anderen Herrschaften
sehr sympathisch ist. Und
dabei gedieh sie sichtlich.
Der Segen des Guten schien
auf ihr zu ruhen.
Uni so größer mußte also
unser Schmerz sein, als sie
uns ganz plötzlich kündigte.
Nichts vermochte sie zum
Bleiben zu bewegen, nicht
einmal die vereinte Ver-
zweiflung meiner Frau und
meiner selbst. Mit Tränen
auf Wangen und Bart
ließen wir sie ziehen, über-
zeugt, wir würden ihres-
gleichen nimmer sinden.
Wir fanden auch nicht.
Meine Frau entschloß sich
daruni, allein den Haushalt
zu führen. „Erleichtere Dir
die Sache", riet ich ihr wohl-
meinend, „nimm doch hie
und da eine Fleischbüchse
aus dem Bücherschrank! Da-
mit ist rasch gekocht und
auf ein paar Büchsen mehr
oder weniger in unserer
Spekulationsreserve konimt
es doch nicht an."
Sie tat, wie geraten.
Aber wer beschreibt unser Er-
staunen, als sie den Bücher-
schrank öffnete und ein paar
Büchsen herausnahm? Die
waren fein säuberlich erbrochen und ausgeleert I Was wir für Fleisch
in Blech gehalten, war nur noch Blech ohne Fleisch. Also darum hatte
Mina so fanatisch die Bibliothek abgestaubt! Wirklich, sie verstand sich
aufs Säubern! Nicht eine einzige Bohne hatte sie liegen lassen! Also
deshalb aß sic so vorbildlich unter dem Existenzminimum, weil sie das
Maximum aus dem Bücherschrank bezog. Also deshalb gedieh sic so
ausgezeichnet! Ja, der Segen des Guten ruhte wirklich auf ihr, der
Segen des guten, des ausgezeichneten Lorned Beef! Die ganze Kapi-
talsanlage hatte sie vertilgt! (D hätte ich doch meine Konsols behalten!
von denen wäre wenigstens auch sie nicht fett geworden. Norbert.
195
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Lelia und Amarill"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1921
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3985, S. 195
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg