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Im alten Zimmer.

Gestern abend hatte er zum erstenmal wieder in seinem Knaben-
zimmer geschlafen. Gewöhnlich fuhr er alle Vierteljahr zu den
Eltern, kehrte aber abends immer wieder nach seinem gut anderthalb
stunden Lisenbahnsahrt cntferten Grt zurück oder benutzte doch den
Nachtschnellzug, bis zu dessen Abfahrt er bei ihnen oder dem einen
oder anderen Freunde in der Vaterstadt aussaß. Gestern aber war
er, da er ins Theater gegangen und zu müde war, den späteren
Zug zu benutzen, die Nacht über dort geblieben, und die llluttcr
hatte ihm sein altes Zimmer zurechtgemacht.

Ls schlug zwölf, als sie sich wie all' die Jahre früher mit
einem Kuß über ihn beugte. Das verz klopfte ihm bis zum Halse,
als er in ihr gealtertes Gesicht sah, in dem nur noch der Ausdruck
gesammelter stiller Güte lag. Lr hörte, wie sie leise die drei
Stufen zum Flur hinausschritt. Sie schloß nicht zu, sie wußte, dah-
er das nie gern gehabt hatte. Lin dünner, in Dunkelheit aus-
laufender Lichtschein rann unter der Tür her und siel dann zur
Lrde, wo er ganz erlosch. Das Holz der Diele zog sich wieder
gerade und wurde still. Sie ging in ihre Kammer am Lnde des
Flurs. Lin seiner Geruch Kerzenfeuer schwelte noch. Wenig später
klopfte der Vater in der neben seinem Zimmer liegenden Küche
die Pfeife aus. Die Asche stäubte —
er glaubte es zu hören, wie sie in
den Kohlenkasten siel — das Rohr
klang an der Messingstange des
Gfens wider, dann schlug es dumpf
an die wand, an der es, so lange
er denken konnte, gehangen hatte.

Die Filzpantoffeln, die er immer
trug, glitten leise — dann ging
noch einmal und ungeschickt ae-
dämxft die Tür. Lr war alb
vier hatte er bis zu seinem
zwanzigsten Jahre geschlafen. Die
paar Ferienwochen im Sommer,
die er meist bei einem Gnkel aus
dem Lande zugebracht, und die
eine oder andere Nacht aus mehr-
tägigen Wanderungen ausgenom-
men. vier hatte er seine Vo-
kabeln gelernt und sich mit all'
den mathematischen Lehrsätzen oft
gequält, Hier hatte er seine frühen
Verse geschrieben, die Klassiker

verschlungen und Philosophie getrieben. Das stieg nun wieder auf.
Zehn Jahre waren darüber hingegangcn. Lr war wann geworden,
hatte geheiratet, genug zu leben, und dennoch trank er den Duft
des armen Mannes durstig in sich ein. von der Garderobe hinter
dem Bett her spürte er wieder den trockenen Hauch der Sonntags-
kleider des Vaters, den Dunst der billigen Zigarren, von denen er
gewöhnlich eine für den weg zur Fabrik am lllontagmorgen zu-
rückgelaffcn hatte. Die alte Bettstadt knarrte, so oft er sich um-
kehrte. Die wand zur Linken, an der nebenan der Herd stand, wurde
kälter. Die aufgesprungene Tapete raschelte. Dann fiel schräg von
gegenüber Licht und er sah den rotgrünen Papierfächer an dem
Balken, der zur Decke ging, das bunte Nippzeug neben dem blau-
samlcncn Photographiealbum aus der gclbgcstrichcnen Kommode
und glaubte sogar den seinen Riß in deni gehäkelten, kleinmustrigen
Überzug zu erkennen, den er einst mit seiner Zigarre hincinge-
gcbrannt hatte. Dann wurde es wieder dunkel. Aber stärker hob
sich draußen das lockend süße Brausen der Märzlüfte, das in alle
Poren drang und auch aus dem Schacht des Treppenhauses zu ihm
herausquoll. Die Kraft berstender Flüsse hämmerte darin und der
gelbe Honigruch der stäubenden weiden schwoll hindurch. Junge,

nasse, aufgetane Lrde atmete ins
Geschwätz frohvergnügtcr Stare
auf grünmosigen Giebelfirsten,
Sterne zuckten für Sekunden aus.
Der Mond lag böse und erregt
hinter einem Hügel schwarzer
Wolken und das kleine Fenster
zerrte in den Angeln. Nun wir-
belte von der Straße scharfer Staub
trommelnd dagegen, bis plötzlich
Regen cinsetzlc und die irre»
Stimmen sacht cinschläferte. Dann
aber sang wieder der wind seine
klagende Kantilenc in die tiefe,
bange Nacht.

Nach einem solchen Abend war
sie zu ihni ins Zimmer gekommen.
Sie wollte für den Bruder, mit
dem zusammen er die prima be-
suchte, ein Buch hole». Lr hatte
über seiner Arbeit gehockt, und da
sic, weil die Mutter ausgcgangen
war, auf ihrKlopfen an der Stuben

Das Hexenei.

legen: dazu:

»Vorbei ist's mit dem Eiersegen." »Du alte faule Henne du!"

Sie kommt darauf am Zaun vorbei Da freut fie.sich und fängt gleich an ilnd spricht, das Ei hätt' sie gelegt-

Und findet dort ein fremdes Ei. Zu brüten und belügt den Mann Oer Hahn vernimmt cs tiefbewegt.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Hexenei"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Rübner, Kurt
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 158.1923, Nr. 4047, S. 58

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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