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München liege ? In meiner Angst wußte ich immer nur das

Wort Karbonade zu wiederholen.

Um so erfreulicher erschien der Morgen. Es leuchtete sogar

die Sonne zum Fenster herein.

Auch meine Frau war voll Mut. Sie fragte bellst unser
Mädchen, ob sie auch Geräusche gehört habe, gestern in der
Nacht? Gewisper und Gepispcr und Ähnliches?

Nell! wurde karottcnrot. Wie nur die Unschuld erröten kann,
erklärte mir später meine Frau. Nicht ohne Heftigkeit fragte
Nelli zurück, ob die gnädige Frau mit dieser merkwürdigen
Frage an ihre Mädchenehre tippen wolle. Solche armen Ge-
schöpfe sind eben von Jugend an gewohnt, sich gegen Ungerechtig-
keit wehren zu müssen, erklärte mir ebenfalls später meine Frau.
Also Nelli hatte nichts Gcspensterhaftiges gemerkt. Sie grinste
sogar, als meine Frau auf ihre dreimalige Versicherung hin
sagte, daß sic dies immerhin recht beruhige.

Bei Anbruch der Nacht jedoch begann es wieder zu spuken.
Wenn man cs spuken nennen will, daß man erst leise Tritte
vernahm, daß dann plötzlich die Zimmcrklingcln läuteten, die
elektrischen Lampen im Zimmer mehrmals aufflackcrtcn und
wieder erloschen und dann wieder friedlichste Stille ekntrat.

„Was tun?' flüsterte meine Frau.

Ich flüsterte zurück, nirgends steht geschrieben, daß man Ge-
spenstern entgegen zu gehen braucht. Ebensowenig brauch' ich
sie zu stören, wenn cs ihnen Spaß macht, in meiner Küche
herumspukcn zu wollen. Man soll niemanden in seiner Berufs-
tätigkeit hindern. Außerdem glaube ich nicht an Gespenster. Ich
rührte mich also nicht. Und auch draußen blieb cs still.

Doch wiederholten sich die Vorkommnisse mehrere Abende

hintereinander.

Das Wunderbarste an allem war eigentlich, daß Nelli noch
immer nicht daö Geringste bemerkt haben wollte. Doch hielt sic
cs für möglich, daß wir Mäuse haben könnten, die die elektrischen
Drähte berührten im Laufen und Huschen. Sie stellte auf jeden
Fall eine Falle auf. Fetzt erst war meine gute liebe Frau wirk-
lich beunruhigt. Vor Mäusen hatte sie eine fürcktcrlichc Angst.

Um sic zu beruhigen, fragte ich sie, ob cs ihr nicht wahrschein-
licher und üblicher vorkommc, daß es ein Elektrotechniker wäre,
der die elektrischen Drähte berührte. Ob cs ihr vielleicht auch
ausgefallen sei, daß der junge Mann, der auffallend häufig
unjer Telephon revidieren gekommen, einen fabelhaft blonden
und kühnen Schnurrbart besessen und daß Nelli und er flch
vielleicht abends etwas zusammen zu erzählen hätten, wozu sie
am Tage nickt Zeit gefunden? Und diesen Spuk erfunden hät-
ten, um das Kommen und Gehen des fabelhast blonden und

kühnen Schnurrbarts unhörbar zu machen?

Meine Frau war empört. Nicht über Nelli. Aber über mich.
Daß meine Phantasie immer nock auf solchen Abwegen schweife.
In meinen Fahren. Am bellen Morgen. Es wäre zum Sckä-
men und zum Lacken gleichzeitig. Nelli wäre die Unschuld selber.
Neulich erst hätte sic gesagt, sic graue sich vor Männern wie

vor Wanzen.

In der Nackt jedock spukte es wieder. Am andern Morgen

aber war eine Maus in der Falle.

Meine liebe Frau schauderte und wollte, daß Nelli den Gegen-
sland dcö Grauens sofort entferne. Ich sah jedoch genau in die
Falle hinein. Begegnungen mit toten Mäusen halte ick für un-
gefährlicher als solcke mit lebendigen Elektrotechnikern. Die
arme Maus hier war schon seit einigen Tagen verschieden. Sic
hatte sozusagen die Falle erst tot betreten. Genau wie ich ver-
mutete. In jedcin von uns steckt ein Detektiv. Er muß nur ge-

weckt werden. Wahrscheinlich ist diese Gabe die Wurzel alles
Klatsches. Denn der Mensch bringt alle guten wie schlechten
Eigenschaften fix und fertig mit auf die Welt.

Wie ein gewiegter Detektiv behielt ich meine Entdeckung für
mich selbst.

Ich sagte nur zu Nelli. „Die Maus ist aber sehr tot."

Wahrscheinlich war auch das schon zuviel. Nelli war tags-
über mürrisch.

Meine liebe Frau setzte sich zu mir. An einem Topflappen
strickend, klagte sie mir besorgt, sie fürchte, Nelli werde uns
verlassen. Das propre Mädchen werde nicht in einem Haus-
halt bleiben wollen, wo es Mäuse gäbe. Meine liebe Frau
klagte weiter, wie schwierig und ungesund es für uns sein
würde, uns wieder an jemanden Fremden gewöhnen zu müssen.
Sie zählte Ncllis Vorzüge auf. Unter anderem war Nelli das
erste Mädchen in unserm Haushalt, das keine Liebesgeschichten
hatte. Diese „Unappetitlichkeiten", wie meine liebe Frau die
Empfindung nannte, die alle Dichter besingen, war das einzige,
das sie bei keinem Mädchen dulden würde, nicht einmal bei Nelli.

Ich schwieg, wie ein Detektiv. Meine liebe Frau schlug mir
nun vor, Nelli ein kleines Trinkgeld zukommen zu lassen für
die Maus. Und ihr auch eine geringe Lohnerhöhung zuzusagen
für die kommenden Monate.

Ich lachte auf. Ich freue mich immer, wenn andern etwas
Angenehmes geschieht. Meine Frau fand also nichts Verwun-
derliches an meinem Gelächter.

Mit geöffnetem Portemonnaie und dem verlegnen Lächeln,
das aus der Fungmädchenzeit im Netz ihrer Alterszüge hängen
geblieben, ging sie zu Nelli.

Dieses Lächeln bindet mich fester an meine liebe Frau als der
Ehering, den die Jahre schmal und dünn geschliffen haben. Die-
ses Läckeln mahnt mich an die Zeit, wo silbernes Haar goldblond
gewesen. Ich sage mir dann, daß auf dem langen, stillen Weg, der
es bleichte, jeder Schritt nur Fürsorge für mich gewesen. Oft ge-
nug gleichgültig von mir hingenommen und ohne Dank. Denn ich
bin kein Engel. Ick möchte cs nicht einmal gewesen sein. Offen-
gestanden auch im Fenseits keiner werden. Ich halte es geradezu
für unnatürlich von einem Normalmenschen, sich große, lange
Flügel zu wünschen. Gleichviel, ob hierorts oder jenseits.

Fedenfalls hatte mich das Lächeln meiner Frau wieder ge-
mahnt, ihr treu zur Seite zu stehen. Die Nelli mußte uns er-
halten bleiben, koste es auch ein Opfer.

Vor allen Dingen mußte ich meine Weisheit für mich be-
halten. In einer glücklichen Ehe muß man verstehen, wenn es
sein muß, einen Elektrotechniker für eine Maus zu halten.

Ick grübelte. Ich fand einen Ausweg. Indem ich mir sagte,
jeder Ausweg ist auch ein Eingang.

Ich ließ noch am gleichen Tag das Fenster von Nellis Kammer,
das nach der Hoftreppe hinausgeht, also nicht viel Licht gibt,
genügend verbreitern. Zwei Maurer vermochten gleichzeitig
hincinzusteigcn, so breit wurde die Öffnung. Damit die brave
Nelli nun Licht und Helligkeit in ihrer Kammer hatte. Daß sie
sich heimischer und behaglicher bei uns fühlen konnte. Auch
meine Frau war überzeugt davon, daß das breite Fenster auf
Ncllis Gemüt glückliche Einwirkung haben müsse.

Sic war ganz gerührt über mich. Obwohl sie nicht aber-
gläubig ist, glaubt meine liebe Frau doch, daß sich jede gute Tat
belohnt. Und sie triumphiert wieder einmal, darin recht zu
haben. Denn von diesem Tage an spukt cs nicht mehr bei

uns.Ich werde unterbrochen. Mein Freund Haulick

läßt sick in wichtiger Angelegenheit melden. (Forts, folgt)

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