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AUFCEJTÖStRTVöN ALICE
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9. Ober Die Kunst, ohne Geld reich zu sein.
Mein Freund Haulick also wünschte mich in wichtiger An-
gelegenheit zu sprechen. Das Wort wichtig bezieht jedermann
zuerst auf sicb. Darum bleibt es immer eine Geschicklichkeit, sich
auf diefe Weise anzumelden. Erst wenn cs zu spät ist, fällt dem
andern ein, daß auch der andere nur ein Mensch ist, also mit
wichtig nur eine eigne Angelegenheit bezeichnen kann.
Mein Freund Haulick jedoch ist eine Ausnahme dieser Regel.
Die wichtigen Angelegenheiten, in denen er kommt, sind für
niemanden wichtig.
Meistens handelt cs sich um eine große Erfindung, die Haulick
gemacht hat. Die sich aber bei näherer Beschreibung als längst
dagewesen erweist. Sich meistens sogar schon als untauglich
überlebt hat.
Dafür kann Haulick nichts. Er hat in vergangenen fahren
soviel Unfreundliches erlebt, daß cs ihm nicht zu verargen ist,
wenn er nichts wissen will von dem, was früher geschehen ist.
Haulick hatte einst ein Tcppichgeschäft, eine wunderhübsche
Frau und einen tüchtigen Kompagnon.
Sein Geschäft florierte. Seine Ehe war glücklich. Eein.Kom-
pagnon eifrig. Eines Tages waren alle drei fort. Das heißt die
Teppiche, die Frau und der Kompagnon. Bach Rußland, wo
man damals jemanden ebensowenig verfolgen konnte, wie wenn
er in den Krater des Vesuvs gesprungen wäre.
Haulick bemühte sich auch gar nicht. Zuerst sprach er noch
manchmal von den Teppichen. Es waren alles echte, erlesene
Muster gewesen. Er meinte, man könne solche Stoffstückc lieb-
gcwinnen wie ein Blumenbeet.
Von der Frau und dem Kompagnon sprach er nur einmal.
Er sagte: „Ihr gönne ich das Glück, und ihn beneide ich nicht."
Seine Züge trugen das Lächeln der Herzlichkeit.
Eine Ehe ist doch eine mystische Sache. Jeder hätte HaulickS
Ehe für eine der seltenen glücklichen Ehen gehalten, die sich keiner
aus eigener Erfahrung vorzustellcn vermag.
Dabei entsinne ich mich, welch seltene Logik meine Frau bei
diesem Vorfall bewies. Weil Haulick keine Verzweiflung dar-
über zeigte, daß ihm seine Gattin davongelaufcn war, meinte
meine liebe Frau einen neuen Beweis dafür zu haben, daß wir
Männer schon als untreu aus die Welt kommen.
Haulick brachte diese einschneidende Veränderung jedenfalls
dazu, das Rezept des Reichtums ohne Geld aufS Erstaunlichste
zu vervollkommnen.
Zuerst halfen ihm besagte Bichterflndungen über die Einsam-
keit seines veränderten Lebens hinweg. Sic ließen ihn alle übrigen
Gedanken und die verschiedenen Arten des körperlichen Appetits
vergessen. Daß sie sich als untauglich erwiesen, verdroß Haulick
keineswegs. Im Gegenteil, er kam sogar dahin, die verlorene
Mühe unter Einnahmen buchen zu können. Er berechnete sich
die eventuellen Ausgaben für die Gänge zu Behörden, die An-
fragen und Honorare für Patentanwälte, Begutachter, Sachver-
ständige so hoch, die mögliche Bezahlung für die Erfindung, falls
es eine Erfindung gewesen wäre, dagegen so gering (denn alle
großen Erfinder waren von der Welt betrogen worden), daß er
schließlich noch eine sehr hübsche Summe als Gewinn buchen
konnte, indem er etwaige Ausgaben und mögliche Einnahmen
voneinander abstrahierte. So brachte ihm der zusammenlegbare
Regenschirm mehrere tausend Mark. Der Zahnstocher im Blei-
stift wenigstens fünfhundert. Das Zigarrenetui als Mausefalle
nicht weniger.
Trotzdem konnte Haulick in dieser Welt der Realitäten von
diesen Einnahmen nicht leben.
Ein Verwandter, der Spitzcnfabrikant Sparscld, stellte ihn
in seiner Fabrik aus einen Vertrauensposten. Gegen ein mini-
males Gehalt. Aus Wohltätigkeit. Diese soll bekanntlich heimlich
ausgeübt werden. Bicht ohne Grund. Bei Licht besehen, würde
die meiste Wohltätigkeit wie Egoismus und Eigennutz auösehen.
Haulick hatte somit einen Vertrauensposten gegen ein Lehr-
lingsgcbalt. Der glückliche Reiche aber war darüber weder be-
drückt noch beleidigt.
Bicht nur das. Er hielt sich für Sparfclds Wohltäter. Er
hatte Sparscld eine nützliche Erfindung gratis überlassen. Einen
Schutz gegen Diebstahl.
Sparfeld wurde nämlich viel bestohlen. Er Hatte viele weib-
liche Angestellte, und Spitzen und Frauen wollen zusammen sein
wie Frühling und Veilchen.
Haulick ließ nun eine große Kiste mit Spitzenrestrn und Muster-
stückchen in einer dunkeln Ecke aufstellen. Diese wurde wöchentlich
nachgefüllt wie der Gcldsack eines Kalifen. Biemand schien zu
merken, daß ihr Bestand täglich sank wie die Wasserflut eines
Sees im Sommer. Diebsgelüste aber, Putzsucht, Klcptoinanie
und sonstige Langfingcranscchtungen konnten sich hier ungehemmt
stillen. Die kostbaren Stoffe waren geschützt, gerettet.
Täglich rechnete sich Haulick aus, wieviel Sparscld hätte ge-
stohlen werden können. Er buchte den Betrag sorgsam in sein
Taschenkontobuch, das er stets bei sich trug. Wöchentlich addierte
er die Beträge zusammen. Es ist eine unerhörte Summe, die
auf diese Weise monatlich hcrauskoinmt und die nach HaulickS
Rcchensystem und Lebensanschauung Sparscld von ihm geschenkt
erhält.
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist die Goldmark nicht wert. Trotz
der großen Summen in seinem Taschenkontobuch ist Haulick nicht
zu stolz, mich die kleinsten Beträge zu sparen. Oder, wie er sagt,
„zu verdienen". Denn „gespart ist verdient" lautet sein Wahl-
spruch.
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9. Ober Die Kunst, ohne Geld reich zu sein.
Mein Freund Haulick also wünschte mich in wichtiger An-
gelegenheit zu sprechen. Das Wort wichtig bezieht jedermann
zuerst auf sicb. Darum bleibt es immer eine Geschicklichkeit, sich
auf diefe Weise anzumelden. Erst wenn cs zu spät ist, fällt dem
andern ein, daß auch der andere nur ein Mensch ist, also mit
wichtig nur eine eigne Angelegenheit bezeichnen kann.
Mein Freund Haulick jedoch ist eine Ausnahme dieser Regel.
Die wichtigen Angelegenheiten, in denen er kommt, sind für
niemanden wichtig.
Meistens handelt cs sich um eine große Erfindung, die Haulick
gemacht hat. Die sich aber bei näherer Beschreibung als längst
dagewesen erweist. Sich meistens sogar schon als untauglich
überlebt hat.
Dafür kann Haulick nichts. Er hat in vergangenen fahren
soviel Unfreundliches erlebt, daß cs ihm nicht zu verargen ist,
wenn er nichts wissen will von dem, was früher geschehen ist.
Haulick hatte einst ein Tcppichgeschäft, eine wunderhübsche
Frau und einen tüchtigen Kompagnon.
Sein Geschäft florierte. Seine Ehe war glücklich. Eein.Kom-
pagnon eifrig. Eines Tages waren alle drei fort. Das heißt die
Teppiche, die Frau und der Kompagnon. Bach Rußland, wo
man damals jemanden ebensowenig verfolgen konnte, wie wenn
er in den Krater des Vesuvs gesprungen wäre.
Haulick bemühte sich auch gar nicht. Zuerst sprach er noch
manchmal von den Teppichen. Es waren alles echte, erlesene
Muster gewesen. Er meinte, man könne solche Stoffstückc lieb-
gcwinnen wie ein Blumenbeet.
Von der Frau und dem Kompagnon sprach er nur einmal.
Er sagte: „Ihr gönne ich das Glück, und ihn beneide ich nicht."
Seine Züge trugen das Lächeln der Herzlichkeit.
Eine Ehe ist doch eine mystische Sache. Jeder hätte HaulickS
Ehe für eine der seltenen glücklichen Ehen gehalten, die sich keiner
aus eigener Erfahrung vorzustellcn vermag.
Dabei entsinne ich mich, welch seltene Logik meine Frau bei
diesem Vorfall bewies. Weil Haulick keine Verzweiflung dar-
über zeigte, daß ihm seine Gattin davongelaufcn war, meinte
meine liebe Frau einen neuen Beweis dafür zu haben, daß wir
Männer schon als untreu aus die Welt kommen.
Haulick brachte diese einschneidende Veränderung jedenfalls
dazu, das Rezept des Reichtums ohne Geld aufS Erstaunlichste
zu vervollkommnen.
Zuerst halfen ihm besagte Bichterflndungen über die Einsam-
keit seines veränderten Lebens hinweg. Sic ließen ihn alle übrigen
Gedanken und die verschiedenen Arten des körperlichen Appetits
vergessen. Daß sie sich als untauglich erwiesen, verdroß Haulick
keineswegs. Im Gegenteil, er kam sogar dahin, die verlorene
Mühe unter Einnahmen buchen zu können. Er berechnete sich
die eventuellen Ausgaben für die Gänge zu Behörden, die An-
fragen und Honorare für Patentanwälte, Begutachter, Sachver-
ständige so hoch, die mögliche Bezahlung für die Erfindung, falls
es eine Erfindung gewesen wäre, dagegen so gering (denn alle
großen Erfinder waren von der Welt betrogen worden), daß er
schließlich noch eine sehr hübsche Summe als Gewinn buchen
konnte, indem er etwaige Ausgaben und mögliche Einnahmen
voneinander abstrahierte. So brachte ihm der zusammenlegbare
Regenschirm mehrere tausend Mark. Der Zahnstocher im Blei-
stift wenigstens fünfhundert. Das Zigarrenetui als Mausefalle
nicht weniger.
Trotzdem konnte Haulick in dieser Welt der Realitäten von
diesen Einnahmen nicht leben.
Ein Verwandter, der Spitzcnfabrikant Sparscld, stellte ihn
in seiner Fabrik aus einen Vertrauensposten. Gegen ein mini-
males Gehalt. Aus Wohltätigkeit. Diese soll bekanntlich heimlich
ausgeübt werden. Bicht ohne Grund. Bei Licht besehen, würde
die meiste Wohltätigkeit wie Egoismus und Eigennutz auösehen.
Haulick hatte somit einen Vertrauensposten gegen ein Lehr-
lingsgcbalt. Der glückliche Reiche aber war darüber weder be-
drückt noch beleidigt.
Bicht nur das. Er hielt sich für Sparfclds Wohltäter. Er
hatte Sparscld eine nützliche Erfindung gratis überlassen. Einen
Schutz gegen Diebstahl.
Sparfeld wurde nämlich viel bestohlen. Er Hatte viele weib-
liche Angestellte, und Spitzen und Frauen wollen zusammen sein
wie Frühling und Veilchen.
Haulick ließ nun eine große Kiste mit Spitzenrestrn und Muster-
stückchen in einer dunkeln Ecke aufstellen. Diese wurde wöchentlich
nachgefüllt wie der Gcldsack eines Kalifen. Biemand schien zu
merken, daß ihr Bestand täglich sank wie die Wasserflut eines
Sees im Sommer. Diebsgelüste aber, Putzsucht, Klcptoinanie
und sonstige Langfingcranscchtungen konnten sich hier ungehemmt
stillen. Die kostbaren Stoffe waren geschützt, gerettet.
Täglich rechnete sich Haulick aus, wieviel Sparscld hätte ge-
stohlen werden können. Er buchte den Betrag sorgsam in sein
Taschenkontobuch, das er stets bei sich trug. Wöchentlich addierte
er die Beträge zusammen. Es ist eine unerhörte Summe, die
auf diese Weise monatlich hcrauskoinmt und die nach HaulickS
Rcchensystem und Lebensanschauung Sparscld von ihm geschenkt
erhält.
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist die Goldmark nicht wert. Trotz
der großen Summen in seinem Taschenkontobuch ist Haulick nicht
zu stolz, mich die kleinsten Beträge zu sparen. Oder, wie er sagt,
„zu verdienen". Denn „gespart ist verdient" lautet sein Wahl-
spruch.
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