* Das Kchützenfesi mimiiAtiliitil *
(Forts. 2) Der Sommer war vergangen, auch der Herbst, und als
die Schützenbrüder während des Winters oft vom breiten, wind-
durchfegten Marktplatz aus in die stets warmgeheiztc Stube des
Ankerbräus traten, wo sie die langen Abende bei Kartenspiel
oder ortspolitischen Gesprächen verbrachten, indem der eine über
die unbestreutcn vereisten Wege, der andere über die schlechte
Straßenbeleuchtung, ein dritter über die hohen Umlagen wetterte,
fiel auch manchmal das scherzhafte Wort, ob wohl der Ankerwirt
m seinen hohen Fünfzigern auf den Mariahilfberg eine Wall-
fahrt gemacht hätte, weil seine Frau Therese, die nie Kinder
gehabt habe, noch in die Hoffnung gekommen fei. Peter Bickler,
der stets vergnügt
zwischen seinen
Gästen auf dem
Platz neben dem
breiten Ofen saß,
lächelte mit sei-
nen graublauen
Augen bei solchen
Äußerungen be-
sonders freund-
lich/ sein rotes
Gesicht bekam
einen deutlichen
Glanz,- er fuhr
mit der Hand
über die große
Glatze, als wollte
er sich nach ju-
gendlicherArt die
Hqare aus der
Stirn streichen,
faßte seinen nie-
deren breiten
Zinnkrug und
sagte, nachdem er
einen befriedi-
genden Schluck
genommen hatte:
„Später Segen, guter Segen." Überhaupt zeigte er, je näher
die Niederkunft seiner Frau rückte, ein fast kindlich heiteresWejen,
sagte zu jedem: „Vetter, wie geht es dir?" und dazu fügend:
„Wenn es dir so gut geht, Vetter, wie mir, so sek zufrieden."
Auch war er auffällig freigebig geworden, verabreichte gern
einem kleinen Handwerker oder einem Taglöhner, der bei ihm
einkehrte, kostenlos einen Liter Bier und stieß voll heiterster
Freundlichkeit mit ihm an, als ob cs sein bester Bruder wäre.
Besonders aber wurde die Ankerwirtin seit ihrer Schwanger-
schaft von ihrem Mann mit Liebkosungen und Geschenken ge-
radezu überhäuft, indem er ihr bald eine Brosche, bald den Stoff
zu einem Kleid, dann wieder ein besonders schön gebackenes
Hörnchen aus der Stadt oder ausnehmend saftigen Schweizer-
käse mitbrachte. Doch ging sic nur mehr selten in das
Gastzimmer und hielt sich meistens in der Küche auf, weil
sie, wie sie ihrem Gatten sagte, den derben Ulk der Gäste nicht
vertrage.
Die heitere Stimmung im Ankerbräu jedoch änderte sich sehr
bald, als das Kindlein, ein Knabe, geboren war. Denn dem
Wirt fiel es auf, wie ihn manche Leute, nachdem sic das Kind
gesehen hatten, auffällig betrachteten, als wollten sie seine Augen,
seine Nase und seinen Mund studieren. Auch war seine Frau
einmal ganz rot geworden, als ein aus Seelach hereingekom-
mener Bauer, der Butter und Eier für die Wirtschaft gebracht
hatte, in seiner bäuerlichen Geradheit sagte: „Wo habt Ihr denn
da Euer Gesicht
gehabt, Vetter?
Der kleine Peter
sieht ja ganz da-
neben." So be-
trachteten auch
der Zimmermei-
ster Klos, der
Spängler Stuß
und der Kauf-
mann Taler den
Knaben mit ganz
besonderer Auf-
merksamkeit, als
ihn ein Dienst-
mädchen im Kin-
derwagen gerade
durch die Markt-
straßc fuhr. Der
Zimmermeister
deutete mit heim-
licher List auf die
grünen Augen,
äußerte aber:
Wie der Junge
doch dem Anker-
wirt gleichsehe!
Stuß say auf
die wcgstehenden Ohren und sprach mit gleicher List: Er sei dem
alten Peter direkt aus der Nase geschnitten. Nur Taler schwieg
zunächst und fügte erst, nachdem die Magd mit dem Kind längst
außer Hörweite war, binzu: „Den Kopf laß ich mir abschnei-
den, wenn da iticht der Nepomuk der Bater ist." Gleichzeitig
ging es auch allen auf, es werde wohl damals geschehen sein,
als man dem Küfer die Scheibe hcrausgeschnitten und ihn in
die Kellerstube zur strickenden Ankerwirtin gedrängt habe.„Wenn
eben jemand den Hosenboden verliert," meinte Taler witzig,
„wird er schwankend wie ein Haus ohne Grundmauer und nie-
mand weiß, wohin er fällt." Doch ließen sich die Bürger vor
Bichler nicht das Geringste merken und bewahrten ihre Erkennt-
nis auch gegenüber allen Einwohnern von Bertolzhausen als
strenges Geheimnis. (Forts, folgt)
279
(Forts. 2) Der Sommer war vergangen, auch der Herbst, und als
die Schützenbrüder während des Winters oft vom breiten, wind-
durchfegten Marktplatz aus in die stets warmgeheiztc Stube des
Ankerbräus traten, wo sie die langen Abende bei Kartenspiel
oder ortspolitischen Gesprächen verbrachten, indem der eine über
die unbestreutcn vereisten Wege, der andere über die schlechte
Straßenbeleuchtung, ein dritter über die hohen Umlagen wetterte,
fiel auch manchmal das scherzhafte Wort, ob wohl der Ankerwirt
m seinen hohen Fünfzigern auf den Mariahilfberg eine Wall-
fahrt gemacht hätte, weil seine Frau Therese, die nie Kinder
gehabt habe, noch in die Hoffnung gekommen fei. Peter Bickler,
der stets vergnügt
zwischen seinen
Gästen auf dem
Platz neben dem
breiten Ofen saß,
lächelte mit sei-
nen graublauen
Augen bei solchen
Äußerungen be-
sonders freund-
lich/ sein rotes
Gesicht bekam
einen deutlichen
Glanz,- er fuhr
mit der Hand
über die große
Glatze, als wollte
er sich nach ju-
gendlicherArt die
Hqare aus der
Stirn streichen,
faßte seinen nie-
deren breiten
Zinnkrug und
sagte, nachdem er
einen befriedi-
genden Schluck
genommen hatte:
„Später Segen, guter Segen." Überhaupt zeigte er, je näher
die Niederkunft seiner Frau rückte, ein fast kindlich heiteresWejen,
sagte zu jedem: „Vetter, wie geht es dir?" und dazu fügend:
„Wenn es dir so gut geht, Vetter, wie mir, so sek zufrieden."
Auch war er auffällig freigebig geworden, verabreichte gern
einem kleinen Handwerker oder einem Taglöhner, der bei ihm
einkehrte, kostenlos einen Liter Bier und stieß voll heiterster
Freundlichkeit mit ihm an, als ob cs sein bester Bruder wäre.
Besonders aber wurde die Ankerwirtin seit ihrer Schwanger-
schaft von ihrem Mann mit Liebkosungen und Geschenken ge-
radezu überhäuft, indem er ihr bald eine Brosche, bald den Stoff
zu einem Kleid, dann wieder ein besonders schön gebackenes
Hörnchen aus der Stadt oder ausnehmend saftigen Schweizer-
käse mitbrachte. Doch ging sic nur mehr selten in das
Gastzimmer und hielt sich meistens in der Küche auf, weil
sie, wie sie ihrem Gatten sagte, den derben Ulk der Gäste nicht
vertrage.
Die heitere Stimmung im Ankerbräu jedoch änderte sich sehr
bald, als das Kindlein, ein Knabe, geboren war. Denn dem
Wirt fiel es auf, wie ihn manche Leute, nachdem sic das Kind
gesehen hatten, auffällig betrachteten, als wollten sie seine Augen,
seine Nase und seinen Mund studieren. Auch war seine Frau
einmal ganz rot geworden, als ein aus Seelach hereingekom-
mener Bauer, der Butter und Eier für die Wirtschaft gebracht
hatte, in seiner bäuerlichen Geradheit sagte: „Wo habt Ihr denn
da Euer Gesicht
gehabt, Vetter?
Der kleine Peter
sieht ja ganz da-
neben." So be-
trachteten auch
der Zimmermei-
ster Klos, der
Spängler Stuß
und der Kauf-
mann Taler den
Knaben mit ganz
besonderer Auf-
merksamkeit, als
ihn ein Dienst-
mädchen im Kin-
derwagen gerade
durch die Markt-
straßc fuhr. Der
Zimmermeister
deutete mit heim-
licher List auf die
grünen Augen,
äußerte aber:
Wie der Junge
doch dem Anker-
wirt gleichsehe!
Stuß say auf
die wcgstehenden Ohren und sprach mit gleicher List: Er sei dem
alten Peter direkt aus der Nase geschnitten. Nur Taler schwieg
zunächst und fügte erst, nachdem die Magd mit dem Kind längst
außer Hörweite war, binzu: „Den Kopf laß ich mir abschnei-
den, wenn da iticht der Nepomuk der Bater ist." Gleichzeitig
ging es auch allen auf, es werde wohl damals geschehen sein,
als man dem Küfer die Scheibe hcrausgeschnitten und ihn in
die Kellerstube zur strickenden Ankerwirtin gedrängt habe.„Wenn
eben jemand den Hosenboden verliert," meinte Taler witzig,
„wird er schwankend wie ein Haus ohne Grundmauer und nie-
mand weiß, wohin er fällt." Doch ließen sich die Bürger vor
Bichler nicht das Geringste merken und bewahrten ihre Erkennt-
nis auch gegenüber allen Einwohnern von Bertolzhausen als
strenges Geheimnis. (Forts, folgt)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Schützenfest"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 160.1924, Nr. 4117, S. 279
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg