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Der erfte Schultag

Von Richard Rietz

Warum kleine Mädels in die Schule müssen? Darum:

Es waren einmal ein Adam und eine Eva, die lebten im
Paradiese und aßen die größten Apfel, Birnen, Ananas und
gelbe Rüben dazu. Und cs kostete gar nickts. Dicht mal 'n Trink-
geld. Und sie hatten alle Tiere zum Spielen. Dicht bloß Hunde
rind bestenfalls ein Kätzchen, nein, auch Krokodile, Löwen, Aale,
Mücken und Schimpansen. Und wenn der Adam .Elefant!'
pfiff, dann kam der und spielte mit seinem Rüssel Dakuum-
reiniger und nahm allen Staub voin Paradies-Bett, wcnn's
Überhaupts damals einen
Staub gegeben hat. Und
weder der Adam noch die
Eva brauchten in die
Schul' zu gehen. Und
waren trotzdem gescheit
genug.

Aber, nein! Gar nicht
gescheit waren die beiden.

Kreuz-dumm waren sie,
zwei rechte Schafe. Alle
Tiere spielten mit ihnen,
alle lieben, braven, folg-
samen Tiere. Und auch
öerStorch. Und Versagte,
er werde ihnen mal viele,
viele Kinder bringen. Alle
Wocheneins. Aber— was
tat die dumme Eva? Sic
ließ Storch Storch sein und spielte - mit der bösen Schlange.
Und Frau Schlange sagte: Was seid ihr doch für dumme Leut'.
Ihr seid nun schon so groß, und dabei könnt ihr weder schreiben,
noch lesen, noch rechnen. Dicht mal das kleine Einmaleins. Und
überhaupt auch die kleinen Buchstaben nicht. Wo doch das i und
das n und das m so leicht ist. Ich werd' euch was sagen: Ge-
scheit sein, das ist die einfachste Sache vom Paradies. Ibr brauckt
bloß einen Apfel zu essen dort.. von dem Baum, den der liebe
Gott verboten hat und — ihr seid nicht nur gescheit, sondern
sogar siebengescheit!

Da dachte die Eva: „Ja mci... wenn der liebe Gott es doch
eigens verboten hat.. Aber dann dachte sie: .Hm... gcrad
weil er s verboten hat, wird's sicherwunder — wunderschön sein.'
Und schwapps! hatte sie den Apfel und, ohne ihn zu schälen, aß
sie ihn. Bis auf den Griebsch. Den brachte sie dem Adam. Und
nun war sie plötzlich furchtbar gescheit geworden. Weil sic docb
fast den ganzen Apfel aufgeputzt hatte. Und der Adam aucb.
Aber der war nicht ganz so gescheit. Denn er hatte ja bloß den
Griebsch abbekommcn. Und deswegen sind die Mutkls klüger als
die Datls.

Aber wie sie fertig waren, öa ist der liebe Gott dahergekom-
men und war furchtbar bös Gerad geschaut hakt' er vor Zorn.
Und geschimpft: »Ihr Frechdachse, ihr zwideren! Ist denn so
etwas erhört? Was wißt's nun setzt, wenn ihr schon lesen und
schreiben könnt? Gar nichts wißt's ihr. Denn es fehlt doch noch
Religion und Fleiß und Turnen. Und französische Grammatik
und die griechischen Derben auf mi! Und weil ihr eucb gar so
gern plagen wollt, drum macht's, daß ihr aus meinem Paradies
nauskommt's. Und von jetzt ab wird ricktig in die Schul'
'gangen. Jawohl, ihr beide müht eucb aus eure alten Tage ins

Pult hinhockcn und daheim brav Aufgaben machen. Im Schweiße
eures Angesichts sollt ihr gescheit werden. Dur damit ihr ein-
sehen lernt, wie dumm das ihr wart! Und wenn der Storch
eucb ein Kindelc bringt, dann muß das auch in die Schul'. Zwar
noch nicht gleich, aber sobald es sechs Zahr ist.'

Das hat der liebe Gott gesagt. Und darum müssen die kleinen
Mädels, wenn sie sechs Jahre alt sind, in die Schul'!

.Darum also', sagt die kleine Marion, die brav zugchört hat.
„Weißt,ick könnt' mich furchtbar ärgern über die dumme Eva, die!'

Aber, cs wär' verlo-
rene Zeit, wollt' man sich
heute noch über die Frau
Eva grämen. Da ist cs
schon besser, man freut
sich auf die Schule. Denn
wenn man sich auch nicht
freute — hinein muß man
doch. Und, was man muß,
daö soll man gern. Dann
wird das Leben viel lu-
stiger.

Und auch die Schule.
Da sind ja so viele Kin-
der. Und man lernt Briefe
schreiben, Ladenschildcr
lesen und ausrechncn, in
wie vielen Tagen Weih-
nachten ist.

.Docb acht Tag', dann muß ich in die grauölige Schul", sagt
die Marion. .Hätk' ich nicht schon bei'm Storch Schulgehen
können? Dacka wär' icb jetzt schon g'schcit g'nug und bräuchl'
nir mehr lernen auch.'

.Aber, dann hätt'st doch keinen Schulranzen bekommen, du
dummes Kind!'

.Hm', macht die Marion. Denn der Schulranzen, der ist
freilich eine Sache für sich. Und sic holt ihn wieder inal her.
Zum zehntcnmal an diesem Tage. Und packt die Schiefertafel
heraus und die Fibel und das Kästchen mit den Griffeln und
Stiften. Und packt alles wieder zusammen und trägt den Ranzen
im Zimmer spaziere». Und rastet schließlich und schaut ihre
Mutter an, die vorm Dähtlsch sitzt und der das Herz schwer
ist. Diel mehr noch als der Marion. Und alles wegen der

erfüll'!

Die Muttl zeigt nicht, wie arg ibr zumute ist. Denn sie denkt
sich: Dun ist die schöne Zeit aus. Dun gehört mein Kind nimmer
mir allein. Und natürlich auch dem Ball. Dun kommen die
Fremden. Und das Leben komint, und das Leben ist kein Para-
dies, sondern es ist oft recht bös mit den Kindern und bringt
ihnen scbeußlicbe Sachen bei. Und da fällt ihr ein, daß die Marion
allabendlich betet: .Ich bin klein, mein Herz ist rein.' Und
sie sicht nun das Leben, daö tausend Hände hat, die Seelen an
sicb zu reißen und sie gemein zu macken, und tausend böse Lok-
kungen: die der Gier und des Eigennutzes und der Bosheit.
Und ... ist's wahr oder nicht? — ich glaub', der Muttl kommen
da ein paar salzige Tränen ins Aug' ...

Die Marion fltzt indessen mit ihrem Schulranzen auf dem
Sofa. Und ganz langsam sagt sie: .Ich werd'fei'viel Zeitlang
nach ruck baden ... in der Schul' . . .' Und sofort darauf:

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der erste Schultag"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Maier, Johann Baptist
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4138, S. 606
 
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