Triumph der Siiisamkeil * Bon Km! Härtens
Als Anführer einer lustigen Studentenschar, die eine flüchtige
Katze verfolgt, ist Schorschel Nöckerath am Fenster der tugend-
samen Jungfer Annemarie angelangt.
(Schluß) Sie stieß einen durchdringenden Kreischer aus und entfloh,
die Tür hinter sich zuschlagend, nach dem Korridor, dann stracks über
den Flur hinüber zur Frau Oberstcuerkontrolleur, die ihrer vor Angst
und Scham fast vergehenden jungen Freundin für den Nest der Nacht
mitfühlend Obdach gewährte.
Unterdessen hatte sich Schorschel überzeugt, daß er hinsichtlich der
Katze auf falscher Fährte
war. Mit einem kühnen Satz
sprang er zurück aus den
Gartenkies und beklagte sich
heftig, daß Fräulein Anne-
marie ihn überhaupt nicht
habe zuWorte kommen lassen.
Alsdann zog die Gesellschaft,
einen wilden Chorus anstim-
mend, zu einem letzten Trunk
nach seiner Bude. —
Die Kunde von dem skan-
dalösen Vorfall verbreitete
sich schon am nächsten Tage
wie ein Lauffeuer durch die
Stadt. Auch der Name des
Hauptmissetäters war sofort
bekannt. Während die ersten
Kreise — eben jene, ln denen
die weiße Annemarie die
Damen manikürte — in hel-
ler Entrüstung auflodertcn,
machten sich die sogenannten
.Vorurteilsfreien" die Auf-
fassung der Studenten zu
eigen, daß es ja nur auf die
Verfolgung einer bösartigen
Katze abgesehen gewesen sei.
Die verfolgte Unschuld selbst aber verlangte unerbittlich nach Genug-
tuung. Sie erhob gegen den Or. Georg Nöckcrath Klage wegen Be-
leidigung. Alle ehrbaren Frauen wünschten ihr besten Erfolg und
unterstützten sie eifrig mit Ratschlägen.
Beim Sühnctermin vor dem städtischen Friedensrichter trat Schor-
schel zum erstenmal in seiner ganzen stattlichen Länge dem Opfer seiner
Zügellosigkeit gegenüber. Feindselig, doch nicht ohne eine gewisse Neu-
gier, musterte Fräulein Annemarie den gefährlichen Burschen. Der
lachte sie ganz unbefangen an, leugnete jede üble Absicht, bestand aber
auf einem Urteil des Schöffengerichts.
.Schauen Sic, Fräulein Annemarie,"sagte er zu ihr beim Hinaus-
gehen schlau und gemütlich, .solch ein fideler Skandalprozeß wird für
uns beide seine Früchte tragen. Die Zahl meiner Patientinnen hak sich,
seit Ihre Klage bekannt geworden ist, schon beträchtlich gehoben. Und
Ihr eigener Kundenkreis wird sich sicher auch erweitert haben." So
war es in der Tat. Die Damen der Gesellschaft rissen sich jetzt geradezu
um die Dienste der weißen Jungfrau,- jede wollte vertraulich von ihr
erfahren, wie sich das Ungeheuerliche im einzelnen abgespielt habe.
Zu dem Klagetermin war der Gerichtssaal von Zuhörern und
namentlich Zuhörerinnen dicht gedrängt. Bei der Beweisaufnahme
kam freilich nicht viel heraus,- es handelte sich eben nur daruin, ob
das Attentat der weißen Katze oder der weißen Annemarie gegolten
habe. Beide Parteien ließen eine stattliche Schar von Leumundszeugen
aufmarschicren, durch deren Mund der menschliche Wert und Ruf der '
Klägerin wie des Beklagten im glänzendsten Licht erschien. Insbeson-
dere die seraphischen Eigen-
schaften von Fräulein Anne-
marie wurden enthusiastisch
hervorgehoben. Der Ruhm
ihrer Reinheit und Seelen-
größe hatte den Gipfelpunkt
erreicht. Streng,doch frei von
jeder Maßlosigkeit, griff sie
das Benehmen ihres Geg-
ners an.Dieser hinwiederum
verteidigte sich gewandt und
ritterlich. Von einer tiefer-
gehendenAntipathie zwischen
den beiden war nichts zu
spüren,- ein letzter Rest von
Abneigung verschwand noch
im Laufe der Verhandlung.
Or. Georg Nöckerath ward
von den Richtern für schuldig
befunden und zu zehn Mark
Geldstrafe verurteilt. Beim
Abschiedsgruße blinzelte er
die weiße Annemarie ver-
schmitzt an: .Ich lege natür-
lich Berufung ein. Auf Wie-
dersehen, liebes Fräulein, bei
der nächsten Instanz!"
Vor dem Landgericht das
gleiche Bild eines gefesselten Auditoriums, bestehend aus den beiden
Parteien der weißen Katze und der weißen Jungfrau. Alle Gemüter
hatten sich inzwischen beruhigt,- nur eine Sensation von milder .Heiter-
keit war zurückgeblieben. Man plauderte angeregt und scherzte schelmisch
über diese cause celebre und ihre dadurch zu Wohlstand gelangten
Helden. Diesmal kam es, da der Prozeß schlechterdings nicht weiter
zu treiben war, wirklich zu einem Vergleich.
Der Beklagte leistete in aller Form willig Abbitte und verpflichtete
sich, eine Ehrenerklärung zu veröffentlichen. Daß mittlerweile schon
außergerichtliche, mehr oder minder intime Vcrgleichsverhandlungen
stattgefunden hatten, wurde erst dadurch bekannt, daß unmittelbar neben
der gedruckten Ehrenerklärung die Anzeige erschien, in der Klägerin
und Beklagter ihre soeben stattgefundene Verlobung erklärten. Die
Damen der ersten Kreise meinten, daß dies allerdings die beste Sühne
wäre, fanden diesen Herzensbund sogar nicht einmal unstandesgemäß
und gaben ihren Segen dazu.
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Als Anführer einer lustigen Studentenschar, die eine flüchtige
Katze verfolgt, ist Schorschel Nöckerath am Fenster der tugend-
samen Jungfer Annemarie angelangt.
(Schluß) Sie stieß einen durchdringenden Kreischer aus und entfloh,
die Tür hinter sich zuschlagend, nach dem Korridor, dann stracks über
den Flur hinüber zur Frau Oberstcuerkontrolleur, die ihrer vor Angst
und Scham fast vergehenden jungen Freundin für den Nest der Nacht
mitfühlend Obdach gewährte.
Unterdessen hatte sich Schorschel überzeugt, daß er hinsichtlich der
Katze auf falscher Fährte
war. Mit einem kühnen Satz
sprang er zurück aus den
Gartenkies und beklagte sich
heftig, daß Fräulein Anne-
marie ihn überhaupt nicht
habe zuWorte kommen lassen.
Alsdann zog die Gesellschaft,
einen wilden Chorus anstim-
mend, zu einem letzten Trunk
nach seiner Bude. —
Die Kunde von dem skan-
dalösen Vorfall verbreitete
sich schon am nächsten Tage
wie ein Lauffeuer durch die
Stadt. Auch der Name des
Hauptmissetäters war sofort
bekannt. Während die ersten
Kreise — eben jene, ln denen
die weiße Annemarie die
Damen manikürte — in hel-
ler Entrüstung auflodertcn,
machten sich die sogenannten
.Vorurteilsfreien" die Auf-
fassung der Studenten zu
eigen, daß es ja nur auf die
Verfolgung einer bösartigen
Katze abgesehen gewesen sei.
Die verfolgte Unschuld selbst aber verlangte unerbittlich nach Genug-
tuung. Sie erhob gegen den Or. Georg Nöckcrath Klage wegen Be-
leidigung. Alle ehrbaren Frauen wünschten ihr besten Erfolg und
unterstützten sie eifrig mit Ratschlägen.
Beim Sühnctermin vor dem städtischen Friedensrichter trat Schor-
schel zum erstenmal in seiner ganzen stattlichen Länge dem Opfer seiner
Zügellosigkeit gegenüber. Feindselig, doch nicht ohne eine gewisse Neu-
gier, musterte Fräulein Annemarie den gefährlichen Burschen. Der
lachte sie ganz unbefangen an, leugnete jede üble Absicht, bestand aber
auf einem Urteil des Schöffengerichts.
.Schauen Sic, Fräulein Annemarie,"sagte er zu ihr beim Hinaus-
gehen schlau und gemütlich, .solch ein fideler Skandalprozeß wird für
uns beide seine Früchte tragen. Die Zahl meiner Patientinnen hak sich,
seit Ihre Klage bekannt geworden ist, schon beträchtlich gehoben. Und
Ihr eigener Kundenkreis wird sich sicher auch erweitert haben." So
war es in der Tat. Die Damen der Gesellschaft rissen sich jetzt geradezu
um die Dienste der weißen Jungfrau,- jede wollte vertraulich von ihr
erfahren, wie sich das Ungeheuerliche im einzelnen abgespielt habe.
Zu dem Klagetermin war der Gerichtssaal von Zuhörern und
namentlich Zuhörerinnen dicht gedrängt. Bei der Beweisaufnahme
kam freilich nicht viel heraus,- es handelte sich eben nur daruin, ob
das Attentat der weißen Katze oder der weißen Annemarie gegolten
habe. Beide Parteien ließen eine stattliche Schar von Leumundszeugen
aufmarschicren, durch deren Mund der menschliche Wert und Ruf der '
Klägerin wie des Beklagten im glänzendsten Licht erschien. Insbeson-
dere die seraphischen Eigen-
schaften von Fräulein Anne-
marie wurden enthusiastisch
hervorgehoben. Der Ruhm
ihrer Reinheit und Seelen-
größe hatte den Gipfelpunkt
erreicht. Streng,doch frei von
jeder Maßlosigkeit, griff sie
das Benehmen ihres Geg-
ners an.Dieser hinwiederum
verteidigte sich gewandt und
ritterlich. Von einer tiefer-
gehendenAntipathie zwischen
den beiden war nichts zu
spüren,- ein letzter Rest von
Abneigung verschwand noch
im Laufe der Verhandlung.
Or. Georg Nöckerath ward
von den Richtern für schuldig
befunden und zu zehn Mark
Geldstrafe verurteilt. Beim
Abschiedsgruße blinzelte er
die weiße Annemarie ver-
schmitzt an: .Ich lege natür-
lich Berufung ein. Auf Wie-
dersehen, liebes Fräulein, bei
der nächsten Instanz!"
Vor dem Landgericht das
gleiche Bild eines gefesselten Auditoriums, bestehend aus den beiden
Parteien der weißen Katze und der weißen Jungfrau. Alle Gemüter
hatten sich inzwischen beruhigt,- nur eine Sensation von milder .Heiter-
keit war zurückgeblieben. Man plauderte angeregt und scherzte schelmisch
über diese cause celebre und ihre dadurch zu Wohlstand gelangten
Helden. Diesmal kam es, da der Prozeß schlechterdings nicht weiter
zu treiben war, wirklich zu einem Vergleich.
Der Beklagte leistete in aller Form willig Abbitte und verpflichtete
sich, eine Ehrenerklärung zu veröffentlichen. Daß mittlerweile schon
außergerichtliche, mehr oder minder intime Vcrgleichsverhandlungen
stattgefunden hatten, wurde erst dadurch bekannt, daß unmittelbar neben
der gedruckten Ehrenerklärung die Anzeige erschien, in der Klägerin
und Beklagter ihre soeben stattgefundene Verlobung erklärten. Die
Damen der ersten Kreise meinten, daß dies allerdings die beste Sühne
wäre, fanden diesen Herzensbund sogar nicht einmal unstandesgemäß
und gaben ihren Segen dazu.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Triumph der Sittsamkeit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4143, S. 695
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg