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leicht der Umfang der Spannung, die in puncto Liebesklugheit zwischen
Jochen und Kurt bestand, und man versteht, daß derJüngling Tulpe es
sich widerspruchslos gefallen ließ, von Jochen zunächst mal männer-
mordend ausgelacht zu werden: „Und du meinst, Evchens Herz wird für
dick entbrennen, wenn du wie ein Trottel hinter ihr her humpelst ?

Kurtchen meinte das nicht. Er meinte überhaupt nichts. Aber er
wußte etwas: daß sein Herz alleweil den fürchterlichsten aller Stiche
empfing, sobald er Evens ansichtig wurde.

„Du solltest doch zuerst mal mit ihr bekannt werden", mahnte der
Versucher.

„Bekannt werden? Ja.. wie denn? Und wodurch denn?" Kurtchen
errötete schweißtreibend.

„Nun.. tritt an sie heran, reiß deine Kappe ab und sag': /Gnä-
diges Fräulein, wollen Sie meine Frau werden? Übermorgen in
zehn "fahren können wir heiraten!""

„Du bist ein gemeiner Kerl! Du machst dich über mick lustig.
Und ich pump' dir meine neuen Schlittschuhe nun gerade nicht!"

Dieser Trumpf stach. Kurt besaß nämlich seit seinem sechzehnten
Geburtstage neue Schlittschuhe, besten Systems, Eispantoffeln, die
sozusagen von selber liefen. Und er hatte seinem Freunde Wochen zu-
gesagt, sie ihm mal zu leihen, da dieser erwog, sich ähnliche vom Christ-
kind zu wünschen. Die seinen waren nämlich arg angcrostete Erbstücke
nach einem den Kinder-Schliktschuhcn längst entwachsenen Vetter.

Jochen lachte Triumph: „Du willst mir deine Eisbahn-Skis nicht
pumpen ? Auch gut! Aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß ich
gerade auf der Eisbahn den besten Weg wüßte, der zu deiner Bekannt-
schaft mit Evchcn führen kann."

Man soll Verliebte nicht ernst nehmen.

„Du weißt... ? Du willst... ?" rief Kurtchen, und es hätte nicht
viel gefehlt, dann wäre Jochen von ihm als Versuchsobjekt zu einer
Kußveranstaltung mißbraucht worden.

„Morgen auf der Eisbahn. Mittlerer Teil des Stadtgrabens. Und:
Du darfst die neuen „Eis-Fix" tragen. Ich selber nehm' meine alten
„Gloria". Wenn sie auch nicht mehr berühmt sind."

Kurtchen setzte sich herzklopfcnd in seine Bank und Professor Worgen-
thin sah sich veranlaßt, ihn „wegen Unaufmerksamkeit" im Verlaufe
dieser Stunde mehrfach zu rügen und „ins Klassenbuch" zu schreiben.
Wer hätte auch von einem „so gut wie Verlobten" ein besonderes

Interesse für stcreometrische Probleme erwarten dürfen!

*

Fräulein Eva Gumpel pflegte — und das war gewissen Schülern
der Obersekunda eines gewissen Gymnasiums nicht verborgen ge-
blieben — nachmittags, Schlag V44 Uhr, die Holztreppe zu betreten,
die zu den Anschnallbänkcn der mittleren Stadtgrabencisbahn führte.
Schlag '/M Uhr hatten die Freunde Kurt und Jochen posto gefaßt.
Sic brauchten nicht lange zu warten. Zwei junge Damen näherten
sich. „Eva!" flüsterte Kurt und fühlte sich von Herzstichen geplagt. Er
stand da, hilflos, purpurn übergossen. So verliebt war er.

„Komm", sagte Jochen zu Kurt. „Wir werden ihnen die Schlitt-
schuhe anschnallen!" Er zog Kurtchen mit sich. Der aber zitterte aus
Leibeskräften. „Unmöglich. Sie wird mir ewig böse sein,wenn ich mich
so aufdringlich... Sie wild... Aber nicht doch... Lasse mich doch..."

Er hatte sich losgerissen und starrte Jochen nach, der, Evas und
ihrer Freundin Aufmerksamkeit gewiß, mit Kurtchens Schlittjchuhcn
einige seiner elegantesten Bogcil fuhr.

Und er sah.. . und koirnte sich doch nicht rühren ... Jochen riß jeine
Mühe vom Kopf.. machte seine strammste Verbeugung, umtänzelte die
Mädels und — wahrhaftig! — er kniete nieder und machte sich an
Evas Schuhcil zu schaffen. Da gab es Kurtchen einen Ruck und wild
wie ein Sturmwind fegte er über die Bahn . . . fort .. . fort.

Als er nachher, hastig klopfenden Herzens, einmal ausrastete, sah er
Jochen zwischen Eva und ihrer Freundin ... es war Trude Bonin —
o, er kannte sie alle, das heißt, er kannte sie natürlich nicht. Jochen
fuhr mit verschränkten Armen. Rechts hatte er sich mit Eva, links mit
Trude verbunden, der Wüstling, der... Und so schwätzte er auch rechts-
hin und linkshin und paradierte mit den eleganten Schlittjchuhcn, die
ihm gehörten, ihm, den dieser da vergessen hakte...

Mit schneller Wendung schickte Kurtchen sich an, dem Trio — in
ziemlichem Abstand, versteht sich — zu folgen. Bis ans äußerste Ende
der Eisbabn fuhreir sie. Dort löste Jochen sich von feinen Damen.

„Wir wollen einen Eis-Walzer tanzen. Gnädigste", sagte er zu Eva.
Die kicherte: „Tanzen, auf Schlittschuhen?" Fabelhafter Mensch, dieser
Junge! dachte sie. Jochen lachte eine ganze Tonleiter: „Darfick's Ihnen
zeigen ?" Er fuhr ein paar Schritte vor und schlug mit einer schier ver-
zückten Miene seine rhythmisch beseelten Kreise. Und während er seine
Hände mit einer zärtlichen Eleganz von sich streckte, dachte er: „ Donner-
wetter, solche Schlittschuhe möchk' ich auch haben!"

Kurtchen hatte sich langsam genähert. Fast ohne Absicht war er ins
Gesichtsfeld der kleinen Gesellschaft geraten, und schon hatte Jochen
ihn auch erspäht. Er hielt einen Augenblick lang inne: „Nicht so schüch-
tern, Kurtchen. Lasse dich der Gnädigsten vorstellen. Sie müssen nämlich
wissen, das ist mein schüchterner Freund, kurzweg ,Kurtchen genannt."

Die Mädels verbissen sich das Lachen, als sie den verlegenen Kurt
vor sich sahen. Er rührte sich nicht und vermochte nicht, näher zu koimnen.
Arme und Beine waren ihm bleiern schwer.

Eva streckte ihm ihren Arm entgegen. Er sah ihre Hand, ihre könig-
liche Hand, die in einen, — allerdings etwas abgeschabten — fürst-
lichen Wildleder-Handschuh steckte. Er zwang sich, räusperte sich, nahm
einen Anlauf, schwankte ein wenig und stolperte in die Damen hinein.
Schon lag er seiner Angebeteten zu Füßen. Die schrie ein bißchen auf
und fiel über ihn. Jochen, der sofort herbeischwebte, vermochte nur
Trudchen vor dem Sturze zu bewahren.

Da saßen sie nun aus dem Eise: Kurtchen und die von ihm Ge-
liebte. Und sahen sich an.

„Ich heiß' Kurt Tulpe, wenn Sie verzeihen!"

„Sie können ja nichts dafür", erwiderte Eva, die stets schnippig war.
„Aber — rennen Sie eine Dame, der sie vorgestellt werden, immer
gleich um?"

Kurtchen sank das Herz noch tiefer. Er stotterte: „Ich habe schon
vierzehn Gedichte auf Sie gemacht."

„Helfen Sie mir lieber ... oder nein ... Herr Steinklopser, soll ich
hier anfrieren?"

Jochen Steinklopfer schlug wieder ein paar Bogen und richtete Fräu-
lein Eva unter Abseuerung einer Lachsalve auf.

„Du mußt dich allein erheben", sagte er zu seinem Freunde Kurt,
der noch immer perplex am Boden hockte.

Das gelang ihm erst viel später. Da aber war Jochen schon auf
und davon, um den Damen an ungefährlicherer Stelle den Eis-Walzer
beizubringen.

Jochen davon... mit seinen Schlittschuhen ..

Eva davon ... Eva und alle Liebe.

_ Eva ? War Eva eigentlich überhaupt liebenswert ? Kurt klopfte sich den
Schnee von der Jacke. Und dann ging er so schnell wie möglich heim.

Und verbrannte alle vierzehn Gedichte, auch das aus dem Ovid.

Und knirschte: „Jochen ist gemein. Und Eva ist eine Gans. Und
ich bin eigentlich froh."

Und er war so schrecklich „froh", daß er das Licht ausdrehte und
in einen Stuhl jank. Und jeine dummen sechzehn Jahre schluchzten
jich in die Erkenntnis hinein, daß die Freundschaft oft eine sehr pro-
blematische und die Liebe eine sehr schmerzliche Angelegenheit ist. . .

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wenn die Liebe erwacht..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schiedermair, Karl
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4145, S. 17
 
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