Das Leiden der Erzvater
Es ist eine durch den Okkultismus bekanntgewordene Tatsache, daß
die abgeschiedenen Geister von den irdischenHandluttgen, dieaufsieBe-
zug haben, in irgendeiner Weise erregt werden und eine undeutliche
Vorstellung davon bekommen.
Seit einiger Zeit nun herrschte unter den prominenten der Geister,
die in den fünf Büchern Mosis genannt werden, eine begreifliche Er-
regung. Noah kam zu Abel, Adam zu Jakob, und alle klagten über
dasselbe Leiden: sie hatten Gitter vor den Augen, veritable Gefängnis-
gitter, die Lineamente wohlgeflochtener schwedischer Gardinen.
„Was werden siewieder für Verrücktheiten ausgeheckt haben?" sagte
der alte Vater Noah, „vielleicht haben sie uns in Rußland in Form von
Strohpuppen insGefängnis gebracht,um demVolkeSymbole zu bieten?"
„Es sei, wie es sei," sagte Kain, „hier muß eingeschritten werden.
Ich fühle mich noch nach fünftausend Jahren wie im Gefängnis."
„Meine Augen vertragen das nicht," sagte die Frau Potiphars,
„ich werde mal ein bißchen hinunterschauen und die russischen Gefäng-
nisse revidieren, ob man uns als Strohpuppen dort inhaftiert hat."
„Laß das lieber!" meinteIoseph, „du siehst nicht aus wie von der Heils-
armee!" und die andren stimmten ihm zu. Schließlich kam man über-
ein, Jakob zu schicken, da er ohnedies im Besitz der Leiter war,- ein
andrer hätte sie von ihm leihen müssen.
Jakob stieg hinab,- nach drei Tagen kam er wieder.
„Das Leiden ist unheilbar," sagte er, „wir sitzen in keinem Gefäng-
nis, wir sind die Hauptinsassen ihrer Kreuzworträtsel." T.
Das Rathaus, alt, mit fpitzem Erkerturm,
der graue Brunnen, weinlaubüberfponnen,
und Giebeldächer, fihmal, behäbig, breit,
fieh'n tief im Lindenlchatten, traumverfonnen.
Kleinftadtmarkt
Kein Weltlärm frört die ßille Einsamkeit.
Die Port fährt schläfrig über morsche Steine.
Gemächlich weidet in der Mittagsglut
ein Ziegenpaar am grünen GalTenraine.
Hat wer geßohlen ? Ifi ein Mord paffiert ?
Die lieben Nachbarn Rehen in Alarm.
Der Kinderjubel hält erschrocken ein:
Zum Bürgermeifier geht der Herr Gendarm!
Ludwig Bäte
275
Es ist eine durch den Okkultismus bekanntgewordene Tatsache, daß
die abgeschiedenen Geister von den irdischenHandluttgen, dieaufsieBe-
zug haben, in irgendeiner Weise erregt werden und eine undeutliche
Vorstellung davon bekommen.
Seit einiger Zeit nun herrschte unter den prominenten der Geister,
die in den fünf Büchern Mosis genannt werden, eine begreifliche Er-
regung. Noah kam zu Abel, Adam zu Jakob, und alle klagten über
dasselbe Leiden: sie hatten Gitter vor den Augen, veritable Gefängnis-
gitter, die Lineamente wohlgeflochtener schwedischer Gardinen.
„Was werden siewieder für Verrücktheiten ausgeheckt haben?" sagte
der alte Vater Noah, „vielleicht haben sie uns in Rußland in Form von
Strohpuppen insGefängnis gebracht,um demVolkeSymbole zu bieten?"
„Es sei, wie es sei," sagte Kain, „hier muß eingeschritten werden.
Ich fühle mich noch nach fünftausend Jahren wie im Gefängnis."
„Meine Augen vertragen das nicht," sagte die Frau Potiphars,
„ich werde mal ein bißchen hinunterschauen und die russischen Gefäng-
nisse revidieren, ob man uns als Strohpuppen dort inhaftiert hat."
„Laß das lieber!" meinteIoseph, „du siehst nicht aus wie von der Heils-
armee!" und die andren stimmten ihm zu. Schließlich kam man über-
ein, Jakob zu schicken, da er ohnedies im Besitz der Leiter war,- ein
andrer hätte sie von ihm leihen müssen.
Jakob stieg hinab,- nach drei Tagen kam er wieder.
„Das Leiden ist unheilbar," sagte er, „wir sitzen in keinem Gefäng-
nis, wir sind die Hauptinsassen ihrer Kreuzworträtsel." T.
Das Rathaus, alt, mit fpitzem Erkerturm,
der graue Brunnen, weinlaubüberfponnen,
und Giebeldächer, fihmal, behäbig, breit,
fieh'n tief im Lindenlchatten, traumverfonnen.
Kleinftadtmarkt
Kein Weltlärm frört die ßille Einsamkeit.
Die Port fährt schläfrig über morsche Steine.
Gemächlich weidet in der Mittagsglut
ein Ziegenpaar am grünen GalTenraine.
Hat wer geßohlen ? Ifi ein Mord paffiert ?
Die lieben Nachbarn Rehen in Alarm.
Der Kinderjubel hält erschrocken ein:
Zum Bürgermeifier geht der Herr Gendarm!
Ludwig Bäte
275
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kleinstadtmarkt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1925 - 1925
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4166, S. 275
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg