Die „Jeseischu"
Wer etliche Jahre in Obergraden gelebt hat, zählt alle diejenigen,
die sich später ansäßig gemacht haben, zu den „Eingehockten," sich selbst aber
zu den „Alteingeseffenen." So fühlt sich denn auch der Maler Willibald
Specht durchaus als Obergradener, obgleich seine Wiege am Unterlauf der
Oder stand; und wenn die Besucher unseres Dorfes einen besonders unver-
fälschten Gebirgler zu sehen glauben, so ist es sicherlich Willibald Specht
aus Fiddichow.
Die lebhafte Phantasie des Künstlers findet im Bilden mit Stift und
Pinsel nicht sein volles Genügen und betätigt sich auch auf vielen anderen
Gebieten. Es mag dahingestellt bleiben, ob nicht eben diese Phantasie ihm
einen kleinen Streich spielt, wenn er — wie er es gern tut — der Über-
zeugung Ausdruck gibt, der Konstruktor des „Parsifal" zu sein. Sicher ist,
daß er der Gründer der „Jeseischu" ist und der Erfinder des „Wisp".
„Jedermann sein eigener Schuster" - dieses Motto hatte dem Künstler
den großartigen Gedanken eingegeben, eine Maffe herzustellen, mit deren
Hilfe sich jeder seine Fußbekleidung selber beschaffen könnte. Diese Maffe,
das „Wisp," wurde in zähflüssigem Zustand über den menschlichen Fuß
gegossen, erhärtete bald zu einem lederharten, elastischen Stoff und konnte
dann ohne Schwierigkeiten vom Fuße abgezogen werden - der Stiefel
war fertig. Es leuchtet auch dem größten Skeptiker ein, einmal, daß ein
solcher Stiefel auf 's Beste paffen mußte, und ebenso, daß er rasch von
jedermann selbst hergeftellt werden konnte, sobald er nur im Besitz jener
Maffe, des „Wisp" war. Dieses „Wisp" herzuftellen, das war die Aufgabe
der „Jeseischu", einer Aktiengesellschaft, deren Gründung das Erste und
Wichtigste war; alles andere würde sich dann schon finden.
Und die „Jeseischu" wurde gegründet. Welch' eine Perspektive ward so
eröffnet! Eine ungeheure Umwälzung der gesamten Schuhwarenindustrie,
ja, eine Vernichtung derselben mußte die unausbleibliche Folge sein. —
Nur eine Kleinigkeit fehlte: Noch immer wollte eine allen Anforderungen
genügende Zusammensetzung der „Wisp"-Maffe nicht gelingen. Aber über
diese kleine Schwierigkeit wäre man bald hinweggekommen. Das für
die Versuche nötige Geld floß in Strömen herzu; namentlich die Bauern
waren froh, ihr Geld in sicheren Werten anzulegen, denn schon erhob die
Inflation drohend das Haupt. Nun geschah das Seltsame: Die „Jeseischu"
verbungerte mitten im Überfluß an Nahrung. Denn je mehr Geld einlief,
um so wertloser wurde es, und so gingen denn bald die Mittel aus, zur
Herstellung des „Wisp" die nötigen Versuche zu finanzieren.
Längst hat sich die Nacht der Vergeffenheit über die „Jeseischu" gelagert,
aber der geniale Erfinder des „Wisp" lebt noch, und sicherlich wird die Welt
bald wieder von ihm hören.
Lustige Weltchronik
Ein Mann im Staate Indiana, der seine Frau gewohnheitsmäßig
prügelte, wurde zu 45 Tagen schweren Kerkers verurteilt. Die Menge,
die den Prügler lynchen wollte, faßte dieses Urteils wegen eine solche Wut
gegen den Richter, daß dieser auf einen Ausweg sinnen mußte: er machte
dem Verurteilten den Vorschlag, mit Polizeiborern zu boxen - für jeden
Sieg solle ihm ein Tag Kerker geschenkt werden. Der Deliquent ging mit
Freuden auf diesen Tauschhandel ein, und nie hat - selbst in Indiana —
eine solche Zuschauermenge einem Boxkampf beigewohnt. Am ersten Tage
wurde er zwar von den Meisterborern der Polizei grün und blau geprügelt,
konnte aber andrerseits auch acht Siege verzeichnen. Nach vier Tagen
hatte er nahezu feine ganze Strafe abgeboxt, aber da war er so weit, daß
er ins Polizeikrankenhaus geschafft werden mußte, wo er wahrscheinlich das
Dreifache seiner Haftzeit verbringen wird.
Der Wiener Komponist Streicher wurde in seiner Arbeit oft von einem
Grammophon gestört, das am Fenster einer nachbarlichen Wohnung auf-
gestellt war. Sobald Streicher sich ans Klavier setzte, um Vorübungen für
seine Kompositionen zu veranstalten, setzte das Grammophon mit überaus
markanten und nicht immer stimmungsfördernden Weisen ein. Nachdem
der Künstler mehreremale vergeblich versucht hatte, sich mit den Eigen-
tümern gütlich zu einigen, packte ihn eines Tages die Wut. Er riß ein
Gewehr von der Wand und gab auf das Grammophon einen tödlichen
Schuß ab. Es verstummte für immer. Die Geldstrafe, zu der Streicher
verurteilt wurde, sollen ihm Freunde, entzückt über die temperamentvolle
Selbsthilfe, bezahlt haben.
„Mitleid"
Josef Meier (man beachte die wundervollen Eier in seinem auch sonst so
schönen Namen!) war ein passionierter Jäger, auch seine Frau buldigte
mit Liebe dem edlen Waidwerk. Trotzdem starb sie eines Tages, ohne daß
sie das Bewußtsein erlangt hätte, welch' tiefe Wunde sie damit in das Herz
ihres tieftrauernd zurückgebliebenen Gatten riß-. Aber er tröstete sich bald
und nahm eine andere. Auch sie mußte, obwohl sie kaum einen Hirschen von
einem Auerhahn wegkannte, mit auf die Jagd gehen, wenn sie die Zu-
neigung ihres geliebten Josef für dauernd erhalten wollte. Da kam die
Urlaubszeit und Josef Meier ging mit seiner neuen Frau aufs Land nach
Tirol, allwo ein Freund eine Hoch- und Niederjagd hatte, die fast größer
war als das ganze Land Tirol. Dort plagte er sich, im Schweiße feines
Angesichtes seiner holden Gattin die Kunst des Schießens beizubringen.
Als er ihr zum erstenmal einen gerade über ihre Köpfe wegfliegenden Raben
zeigen wollte, da stolperte sie über einen Stein, fiel und.das Gewehr
ging los und eine schöne Schrotladung der erschrockenen Gattin direkt in
die überlebensdicken Wadeln. Josef Meier nahm seine Gattin nach einigem
Händeringen und nicht mißzuverstehenden Flüchen über die Achsel wie einen
Rucksack, bettele die wehklagende und sich vor Schmerzen windende sanft
und kunstgerecht in den Straßengraben und überlegte eben, wie er die Ver-
unglückte zum Arzt ins nächste Dorf bringen solle, da kam zum größten
Glück gerade ein leerer Wagen vorüber. „Wos Hot denn die Frau, daß sie
so wimmert", fragte der Rutscher. „In den Fuß hat sie sich geschoffen und..."
Weiter kam Josef Meier nicht mehr, denn mit einem biederen und mit-
leidigen: „Woll, woll, füll iS woltern nir kommot 's," zog der Tiroler die
Zügel an und - fort war er.
Paradox
Mit vierzehn Jahren, Sorgen, Müh,
Ich kannte noch nicht viele,
Die Welt war noch mein Sanssouci,
Da schrieb ich - Trauerspiele!
Mit sechzehn, ach, ein Frauenleib,
Er schuf mir Sehnsuchtsqualen,
Ich küßte noch kein einzig Weib
Und schrieb von - Bacchanalen!
Und heute, heut weiß ich Bescheid
Im Leben, im grotesken,
Mein Mund war bitter, aber heut,
Heut schreib ich — Humoresken!
Hanns A. Caspary
Gegr.
1869
BAYERISCHE VEREINSBANK
MÜNCHEN / NÜRNBERG
Niederlassungen an allen größeren Plätzen des
rechtsrheinischen Bayern
Besondere Einrichtungen für den Fremdenverkehr
Ausstellung von
Kreditbriefen
auf in- und ausländische Währungen
Geldwechsel
Moderne
itahlkammer-Anlagen
141
Wer etliche Jahre in Obergraden gelebt hat, zählt alle diejenigen,
die sich später ansäßig gemacht haben, zu den „Eingehockten," sich selbst aber
zu den „Alteingeseffenen." So fühlt sich denn auch der Maler Willibald
Specht durchaus als Obergradener, obgleich seine Wiege am Unterlauf der
Oder stand; und wenn die Besucher unseres Dorfes einen besonders unver-
fälschten Gebirgler zu sehen glauben, so ist es sicherlich Willibald Specht
aus Fiddichow.
Die lebhafte Phantasie des Künstlers findet im Bilden mit Stift und
Pinsel nicht sein volles Genügen und betätigt sich auch auf vielen anderen
Gebieten. Es mag dahingestellt bleiben, ob nicht eben diese Phantasie ihm
einen kleinen Streich spielt, wenn er — wie er es gern tut — der Über-
zeugung Ausdruck gibt, der Konstruktor des „Parsifal" zu sein. Sicher ist,
daß er der Gründer der „Jeseischu" ist und der Erfinder des „Wisp".
„Jedermann sein eigener Schuster" - dieses Motto hatte dem Künstler
den großartigen Gedanken eingegeben, eine Maffe herzustellen, mit deren
Hilfe sich jeder seine Fußbekleidung selber beschaffen könnte. Diese Maffe,
das „Wisp," wurde in zähflüssigem Zustand über den menschlichen Fuß
gegossen, erhärtete bald zu einem lederharten, elastischen Stoff und konnte
dann ohne Schwierigkeiten vom Fuße abgezogen werden - der Stiefel
war fertig. Es leuchtet auch dem größten Skeptiker ein, einmal, daß ein
solcher Stiefel auf 's Beste paffen mußte, und ebenso, daß er rasch von
jedermann selbst hergeftellt werden konnte, sobald er nur im Besitz jener
Maffe, des „Wisp" war. Dieses „Wisp" herzuftellen, das war die Aufgabe
der „Jeseischu", einer Aktiengesellschaft, deren Gründung das Erste und
Wichtigste war; alles andere würde sich dann schon finden.
Und die „Jeseischu" wurde gegründet. Welch' eine Perspektive ward so
eröffnet! Eine ungeheure Umwälzung der gesamten Schuhwarenindustrie,
ja, eine Vernichtung derselben mußte die unausbleibliche Folge sein. —
Nur eine Kleinigkeit fehlte: Noch immer wollte eine allen Anforderungen
genügende Zusammensetzung der „Wisp"-Maffe nicht gelingen. Aber über
diese kleine Schwierigkeit wäre man bald hinweggekommen. Das für
die Versuche nötige Geld floß in Strömen herzu; namentlich die Bauern
waren froh, ihr Geld in sicheren Werten anzulegen, denn schon erhob die
Inflation drohend das Haupt. Nun geschah das Seltsame: Die „Jeseischu"
verbungerte mitten im Überfluß an Nahrung. Denn je mehr Geld einlief,
um so wertloser wurde es, und so gingen denn bald die Mittel aus, zur
Herstellung des „Wisp" die nötigen Versuche zu finanzieren.
Längst hat sich die Nacht der Vergeffenheit über die „Jeseischu" gelagert,
aber der geniale Erfinder des „Wisp" lebt noch, und sicherlich wird die Welt
bald wieder von ihm hören.
Lustige Weltchronik
Ein Mann im Staate Indiana, der seine Frau gewohnheitsmäßig
prügelte, wurde zu 45 Tagen schweren Kerkers verurteilt. Die Menge,
die den Prügler lynchen wollte, faßte dieses Urteils wegen eine solche Wut
gegen den Richter, daß dieser auf einen Ausweg sinnen mußte: er machte
dem Verurteilten den Vorschlag, mit Polizeiborern zu boxen - für jeden
Sieg solle ihm ein Tag Kerker geschenkt werden. Der Deliquent ging mit
Freuden auf diesen Tauschhandel ein, und nie hat - selbst in Indiana —
eine solche Zuschauermenge einem Boxkampf beigewohnt. Am ersten Tage
wurde er zwar von den Meisterborern der Polizei grün und blau geprügelt,
konnte aber andrerseits auch acht Siege verzeichnen. Nach vier Tagen
hatte er nahezu feine ganze Strafe abgeboxt, aber da war er so weit, daß
er ins Polizeikrankenhaus geschafft werden mußte, wo er wahrscheinlich das
Dreifache seiner Haftzeit verbringen wird.
Der Wiener Komponist Streicher wurde in seiner Arbeit oft von einem
Grammophon gestört, das am Fenster einer nachbarlichen Wohnung auf-
gestellt war. Sobald Streicher sich ans Klavier setzte, um Vorübungen für
seine Kompositionen zu veranstalten, setzte das Grammophon mit überaus
markanten und nicht immer stimmungsfördernden Weisen ein. Nachdem
der Künstler mehreremale vergeblich versucht hatte, sich mit den Eigen-
tümern gütlich zu einigen, packte ihn eines Tages die Wut. Er riß ein
Gewehr von der Wand und gab auf das Grammophon einen tödlichen
Schuß ab. Es verstummte für immer. Die Geldstrafe, zu der Streicher
verurteilt wurde, sollen ihm Freunde, entzückt über die temperamentvolle
Selbsthilfe, bezahlt haben.
„Mitleid"
Josef Meier (man beachte die wundervollen Eier in seinem auch sonst so
schönen Namen!) war ein passionierter Jäger, auch seine Frau buldigte
mit Liebe dem edlen Waidwerk. Trotzdem starb sie eines Tages, ohne daß
sie das Bewußtsein erlangt hätte, welch' tiefe Wunde sie damit in das Herz
ihres tieftrauernd zurückgebliebenen Gatten riß-. Aber er tröstete sich bald
und nahm eine andere. Auch sie mußte, obwohl sie kaum einen Hirschen von
einem Auerhahn wegkannte, mit auf die Jagd gehen, wenn sie die Zu-
neigung ihres geliebten Josef für dauernd erhalten wollte. Da kam die
Urlaubszeit und Josef Meier ging mit seiner neuen Frau aufs Land nach
Tirol, allwo ein Freund eine Hoch- und Niederjagd hatte, die fast größer
war als das ganze Land Tirol. Dort plagte er sich, im Schweiße feines
Angesichtes seiner holden Gattin die Kunst des Schießens beizubringen.
Als er ihr zum erstenmal einen gerade über ihre Köpfe wegfliegenden Raben
zeigen wollte, da stolperte sie über einen Stein, fiel und.das Gewehr
ging los und eine schöne Schrotladung der erschrockenen Gattin direkt in
die überlebensdicken Wadeln. Josef Meier nahm seine Gattin nach einigem
Händeringen und nicht mißzuverstehenden Flüchen über die Achsel wie einen
Rucksack, bettele die wehklagende und sich vor Schmerzen windende sanft
und kunstgerecht in den Straßengraben und überlegte eben, wie er die Ver-
unglückte zum Arzt ins nächste Dorf bringen solle, da kam zum größten
Glück gerade ein leerer Wagen vorüber. „Wos Hot denn die Frau, daß sie
so wimmert", fragte der Rutscher. „In den Fuß hat sie sich geschoffen und..."
Weiter kam Josef Meier nicht mehr, denn mit einem biederen und mit-
leidigen: „Woll, woll, füll iS woltern nir kommot 's," zog der Tiroler die
Zügel an und - fort war er.
Paradox
Mit vierzehn Jahren, Sorgen, Müh,
Ich kannte noch nicht viele,
Die Welt war noch mein Sanssouci,
Da schrieb ich - Trauerspiele!
Mit sechzehn, ach, ein Frauenleib,
Er schuf mir Sehnsuchtsqualen,
Ich küßte noch kein einzig Weib
Und schrieb von - Bacchanalen!
Und heute, heut weiß ich Bescheid
Im Leben, im grotesken,
Mein Mund war bitter, aber heut,
Heut schreib ich — Humoresken!
Hanns A. Caspary
Gegr.
1869
BAYERISCHE VEREINSBANK
MÜNCHEN / NÜRNBERG
Niederlassungen an allen größeren Plätzen des
rechtsrheinischen Bayern
Besondere Einrichtungen für den Fremdenverkehr
Ausstellung von
Kreditbriefen
auf in- und ausländische Währungen
Geldwechsel
Moderne
itahlkammer-Anlagen
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