Ein Erlebnis auf der Münchner Handwerkeraustellung
von Ernst U o f e r i di t e r
Der Schreinermeister Alois Ranzel saß aus seiner Hobelbank und warf
von oben herab Bierbrocken in seinen Maßkrug . . . Am Ofen hüpfte der
Leimkübel wie ein gebratener Apfel auf und ab.
Feierabendlich schien die Sonne in die Hobelspäne und färbte sie wie
das Haar einer Warenhausdirektrice.
Meister Ranzel hatte heute wieder ein halbes Dutzend Nachtkästchen
mit Muschelaufsätzen und imitierten Marmorplatten fertig gestellt — und
der Lehrbub mußte sie zur Tändlerei Joses Bogenberger am Iakobsplatz
liefern.
In Gedanken fuhr der Meister dem Karren nach, hörte, wie Nacht-
kaftel um Nachtkastel auf das Pflaster vor den Laden gestellt wurde, und
er glaubte von seiner Hobelbank aus zu vernehmen, wie der Tändler die
Lackierung wie einen Seidenpinscher streichelte . . . Da polterte es von
draußen in seine Vorstellung hinein. Er sah durchs Fenster der Werkstätte
in den Hof hinaus, wo soeben der Lehrbub den Karren mit allen sechs
Nachtkästchen wieder durchs Tor hereinschob.
„Kruzitürken . . Hundsbua dreckata. . . ! Warum bringst denn du
alle Nachtkastel wieder . . . ?"
„Da Herr Bogenberger laßt Eahna sag'n, daß er so altmodisches G'lump
nimmer braucha kann, indem er von der letzten Lieferung no alle wie alte
Grabstoana im Lager steh'n hat ... So a G'raffel geht nimmer, net ums
Verrecken, bat er g'sagt . . . !"
„Wa — as? Der Bazi, der ganz ausg'schamte, möcht mir lerna, wia
ma a Nachtkaftel macht, wo i doch scho so
viel z'sammag'nagelt Hab, als er Wanzen in
fein'm Laden hat . . . "
Inzwischen war Frau Ranzel in die Werk-
stätte gekommen, um sich zum Wärmen ihres
zweiten Nachmittagkaffees Hobelspäne zu
holen. „Auweh . . . ! Ja, was i schon alla-
weil sag, Alist . . . ! Du muaßt an andern
Schwung einibringa . . . !"
„Was Schwung? Zu dera Arbeit Hab i
guat dreiß'g Maß Bier braucht. Da treffen
scho auf oan Kaftel allaweil fünf Maß und
dann werd gnuag Schwung drinna sei ..!"
„Na, Alist, a bifferl modern werd'n heut
d' Möbel verlangt ..."
„Vier Füaß muaß a jed's Nachtkaftel
hab'n und Shimmy tanzen brauchen s' net z'könna....!"
„A bifferl künstlerischer soll alles werd'n . . Kunst will ma heut . . !"
„So — soll i mir lange Haar wachsen lasten und als Schlawiner uma-
nanda lauf«, daß meine Nachtkastel künstlerisch werd'n und daß dann oaner
sei' Nachthaferl in a Kunstwerk stellen kann . . . ?"
„Red net so deppat daher . . . D' HauSmoasterin hat mir g'sagt, sie
war mit ihr'm Mo in der Ausstellung für Kunst und Handwerk und da
hat f Sachen g'sehg'n, dö das Nußbaumbüfett der Frau Oberbuchhalter
vom dritten Stock um tausend Jahr übertreffen ..."
„Hör mir mit dem kirnrissigen Blödsinn auf ... !"
„Gar net hör i auf . . . Und glei morgen geh'n mir in dö Ausstellung,
daß d' amal siehgst, was heutzutag — — "
„Net mit fuchz'g Beißzangen bringst mi da eini - in dös Narrenbaus,
in dös stocknarrische . . "
„I werd dir scho in d' Schuah Helsa — — Und wennst net guatwillig
gehn willst, mach i a gegenseitige Abneigung und laaf dir aus und davon.
Und nach« kannst da von deine Bauernnachtkastel deine Hemaden z'samm-
flicken lasten..."
„Spinnate Weiber überanander, spinnate. . . ! An Deppen muaßt
eahna macha, sonst nir — - — —
Und am Nachmittag des anderen Tages lief der Schreinermeister Alois
Ranzel wie an der Leine neben seiner Gattin her - der Ausstellung für
Kunst und Handwerk zu.
Er knurrte wie ein Hofhund mit einer abgenagten Kalbshaxe im Maul
— und sah sich immer wieder um, ob er nicht gesehen werde. Denn es galt
ibm als unerhörte Schande, wenn er als alteingesestener Schreinermeister
moderne Narreteien als Vorbild anschauen mußte, die ihm als blutige
Lehrbubenarbeit vorkame».
Drei Hallen lang schimpfte und fluchte er wie ein Postsekretär bei starkem
Schalterandrang. Allmählich aber versiegte ihm der Wortschatz, die Hoch-
spannung ließ nach und seiner Wut war der
Dampf ausgegangen. An seinen Sohlen
setzte sich als Niederschlag der Müdigkeit
Blei an —und in einem Seitenbau, in dem
ein abgedämpftes Schlafzimmer ausgestellt
war, sank er binter dem Kleiderschrank auf
einen Polsterstuhl nieder . . .
Ahnungslos lief seine Gattin weiter in
die Räume der Häkelmuster, Abendroben und
Pelzmäntel mit garantiert vierzig Grad
Wärme im Schatten.
Da läutete die abendliche Räumungs-
glocke durch die Hallen. Die Eingängewurden
abgeriegelt und an den Ausgängen schoben
sich schon die letzten Besucher ins Freie.
„Alisi - - ! Alisi . . > Da geh her . . !"
schrie Frau Ranzel in alle Winkel und Ecken hinein. „Wo steckst d' denn?"
rief sie der Leere zu — in der unverständlichen Erwartung — die Antwort
käme mit genauester Angabe seines Aufenthaltes wie eine Tafel Schokolade
aus einem Bahnhofsautomaten beraus.
Ihr Alisi war verschollen — wie ein halbechter Angorakater in einer
Frühlingsnacht. Sie faß in der Polizeiwache nnd weinte in ihre Hand-
tasche hinein, daß darin die aufgesparten Früchtenbonbons in die einzelnen '
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von Ernst U o f e r i di t e r
Der Schreinermeister Alois Ranzel saß aus seiner Hobelbank und warf
von oben herab Bierbrocken in seinen Maßkrug . . . Am Ofen hüpfte der
Leimkübel wie ein gebratener Apfel auf und ab.
Feierabendlich schien die Sonne in die Hobelspäne und färbte sie wie
das Haar einer Warenhausdirektrice.
Meister Ranzel hatte heute wieder ein halbes Dutzend Nachtkästchen
mit Muschelaufsätzen und imitierten Marmorplatten fertig gestellt — und
der Lehrbub mußte sie zur Tändlerei Joses Bogenberger am Iakobsplatz
liefern.
In Gedanken fuhr der Meister dem Karren nach, hörte, wie Nacht-
kaftel um Nachtkastel auf das Pflaster vor den Laden gestellt wurde, und
er glaubte von seiner Hobelbank aus zu vernehmen, wie der Tändler die
Lackierung wie einen Seidenpinscher streichelte . . . Da polterte es von
draußen in seine Vorstellung hinein. Er sah durchs Fenster der Werkstätte
in den Hof hinaus, wo soeben der Lehrbub den Karren mit allen sechs
Nachtkästchen wieder durchs Tor hereinschob.
„Kruzitürken . . Hundsbua dreckata. . . ! Warum bringst denn du
alle Nachtkastel wieder . . . ?"
„Da Herr Bogenberger laßt Eahna sag'n, daß er so altmodisches G'lump
nimmer braucha kann, indem er von der letzten Lieferung no alle wie alte
Grabstoana im Lager steh'n hat ... So a G'raffel geht nimmer, net ums
Verrecken, bat er g'sagt . . . !"
„Wa — as? Der Bazi, der ganz ausg'schamte, möcht mir lerna, wia
ma a Nachtkaftel macht, wo i doch scho so
viel z'sammag'nagelt Hab, als er Wanzen in
fein'm Laden hat . . . "
Inzwischen war Frau Ranzel in die Werk-
stätte gekommen, um sich zum Wärmen ihres
zweiten Nachmittagkaffees Hobelspäne zu
holen. „Auweh . . . ! Ja, was i schon alla-
weil sag, Alist . . . ! Du muaßt an andern
Schwung einibringa . . . !"
„Was Schwung? Zu dera Arbeit Hab i
guat dreiß'g Maß Bier braucht. Da treffen
scho auf oan Kaftel allaweil fünf Maß und
dann werd gnuag Schwung drinna sei ..!"
„Na, Alist, a bifferl modern werd'n heut
d' Möbel verlangt ..."
„Vier Füaß muaß a jed's Nachtkaftel
hab'n und Shimmy tanzen brauchen s' net z'könna....!"
„A bifferl künstlerischer soll alles werd'n . . Kunst will ma heut . . !"
„So — soll i mir lange Haar wachsen lasten und als Schlawiner uma-
nanda lauf«, daß meine Nachtkastel künstlerisch werd'n und daß dann oaner
sei' Nachthaferl in a Kunstwerk stellen kann . . . ?"
„Red net so deppat daher . . . D' HauSmoasterin hat mir g'sagt, sie
war mit ihr'm Mo in der Ausstellung für Kunst und Handwerk und da
hat f Sachen g'sehg'n, dö das Nußbaumbüfett der Frau Oberbuchhalter
vom dritten Stock um tausend Jahr übertreffen ..."
„Hör mir mit dem kirnrissigen Blödsinn auf ... !"
„Gar net hör i auf . . . Und glei morgen geh'n mir in dö Ausstellung,
daß d' amal siehgst, was heutzutag — — "
„Net mit fuchz'g Beißzangen bringst mi da eini - in dös Narrenbaus,
in dös stocknarrische . . "
„I werd dir scho in d' Schuah Helsa — — Und wennst net guatwillig
gehn willst, mach i a gegenseitige Abneigung und laaf dir aus und davon.
Und nach« kannst da von deine Bauernnachtkastel deine Hemaden z'samm-
flicken lasten..."
„Spinnate Weiber überanander, spinnate. . . ! An Deppen muaßt
eahna macha, sonst nir — - — —
Und am Nachmittag des anderen Tages lief der Schreinermeister Alois
Ranzel wie an der Leine neben seiner Gattin her - der Ausstellung für
Kunst und Handwerk zu.
Er knurrte wie ein Hofhund mit einer abgenagten Kalbshaxe im Maul
— und sah sich immer wieder um, ob er nicht gesehen werde. Denn es galt
ibm als unerhörte Schande, wenn er als alteingesestener Schreinermeister
moderne Narreteien als Vorbild anschauen mußte, die ihm als blutige
Lehrbubenarbeit vorkame».
Drei Hallen lang schimpfte und fluchte er wie ein Postsekretär bei starkem
Schalterandrang. Allmählich aber versiegte ihm der Wortschatz, die Hoch-
spannung ließ nach und seiner Wut war der
Dampf ausgegangen. An seinen Sohlen
setzte sich als Niederschlag der Müdigkeit
Blei an —und in einem Seitenbau, in dem
ein abgedämpftes Schlafzimmer ausgestellt
war, sank er binter dem Kleiderschrank auf
einen Polsterstuhl nieder . . .
Ahnungslos lief seine Gattin weiter in
die Räume der Häkelmuster, Abendroben und
Pelzmäntel mit garantiert vierzig Grad
Wärme im Schatten.
Da läutete die abendliche Räumungs-
glocke durch die Hallen. Die Eingängewurden
abgeriegelt und an den Ausgängen schoben
sich schon die letzten Besucher ins Freie.
„Alisi - - ! Alisi . . > Da geh her . . !"
schrie Frau Ranzel in alle Winkel und Ecken hinein. „Wo steckst d' denn?"
rief sie der Leere zu — in der unverständlichen Erwartung — die Antwort
käme mit genauester Angabe seines Aufenthaltes wie eine Tafel Schokolade
aus einem Bahnhofsautomaten beraus.
Ihr Alisi war verschollen — wie ein halbechter Angorakater in einer
Frühlingsnacht. Sie faß in der Polizeiwache nnd weinte in ihre Hand-
tasche hinein, daß darin die aufgesparten Früchtenbonbons in die einzelnen '
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Nachtkastel. Ein Erlebnis auf der Münchner Hanwerkerausstellung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 166.1927, Nr. 4272, S. 296
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg