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LIEBESPROBE

Humoreske von Ernst v. Csala * Zeichnungen v. K. W. Boehmer

Cr sah aus wie ein stellenloser Raubmörder; schätzungsweise vor einer
Woche hatte ein Rasiermeffer zum letztenmal seine verschönernde Tätigkeit
an seinem Gesichte ausgeübt, und nun starrte ein üppiges braunrotes
Stoppelseld auf Kinn und Wangen.

„Armer Freund!" murmelte ich ergriffen, ihm herz-
lich die Hände drückend, „mein tiefstes innigstes Bei-
leid!"

„Beileid? Was fällt dir ein?"

„Doch!" beharrte ich, unerschütterlich erschüttert,
„wenn man so aussiehk wie du, hat man Anspruch auf
das Erbarmen der Mitmenschen; aber du sollst mich
kennen lernen. Ich will eine Sammlung unter unseren
Freunden veranstalten und inzwischen erlaube mir, dir
mit einer Kleinigkeit unter die Arme zu greisen —" ich suchte
in der Hosentasche nach Kleingeld.

„Idiot!" erwiderte er ungerührt, „spare deine mitleidigen
Groschen und Sprüch'."

„Peter", flehte ich sanft und eindringlich, tu mir den einzigen
Gefallen und betrachte dich vermittels eines Spiegels!"

Seine Hand liebkoste die greulichen Stacheln, während jenes
Lächeln himmlischer Verklärung über seine Züge glitt, das ein
unfehlbares Kennzeichen von Glaubenöfanatikern, Verliebten
oder Betrunkenen zu sein pflegt. „Du staunst?" bemerkte er erst
jetzt, „ja wenn du wüßtest -"

„Was ist denn los?" erkundigte ich mich gespannt; denn als
Träger des simplen Vornamens Peter fühlte er sich scheinbar zu
einer gewiffen Naivität — um nicht zu sagen — Einfalt ver-
pflichtet, wobei er manchmal das erlaubte Maß beträchtlich
überschritt.

Er wollte nicht mit der Sprache heraus, verschanzte sich hinter
der Schweigepflicht des Kavaliers, aber ich merkte, daß er nur
daraus brannte, von der Sache zu reden, und endlich schoß er los.

Vor ein paar Tagen hatte er Mpra, seine Gattin, zur Bahn
gebracht, und als er sich von ihr verabschiedete und ihr eben die Ver-
sicherung seiner unentwegten Treue für die Dauer ihrer Abwesenheit gab
- da hatte er vo? dem Nachbarwaggon ein geradezu engelhaftes Wesen
bemerkt, das von einem älteren Herrn und wahrscheinlich unter Abgabe
einer ähnlichen Versicherung Abschied nahm. Die nächsten zehn Minuten
füllte er mit einer detaillierten Schilderung der schönen Unbekannten und
der Suche nach paffenden Adjektiven aus. Endlich ließ er den Zug aus der
Halle rollen; er wartete noch, bis die Entfernung zwischen ihm und Myra
einen genügenden Sicherheitskoeffizienten versprach, sodann steuerte er die
Unbekannte an. Natürlich war es eine Liebe auf den ersten Blick, noch
dazu die größte seines Lebens — und merkwürdigerweise eine gegenseitige,
wie nach längerem Zögern eingestanden wurde. Die beiden soupierten zu-
sammen, darauf verschleppte er sie in ein Kaffee-
haus, dann in eine Bar, wo er unter Schwüren
und Küsten die übliche Einladung anbrachte; aber
hier erfuhr seine bereits über den siebenten Him-
mel hinaus gesteigerte Seligkeit die erste Trübung,
da Zweifel in Quantität und Qualität seiner Gefühle verlautbart und
ein Beweis für dieselben verlangt wurde.

Ein rettender Engel hielt seine Hand zurück, die er schon nach der Brief-
tasche gezückt hatte, und unter Herzklopfen und Beteuerungen erklärte er

sich zu jeder Probe bereit. Sie streß ihm einen unergründlich tiefen Blick
in die Augen und sagte: „Ich will die deine sein, Geliebter," (wenigstens
behauptete er, sie habe sich so geschwollen auSgcdrückt) „aber erst in vierzehn
Tagen; und in dieser Zeit sollst du dir einen Bart wachsen lasten." Nähere
Erklärungen wurden weder verlangt noch gegeben. Peter, der flammenden
Herzens jeden Meineid geschworen hätte, ging besinnungslos drauf ein.

Ich begann zu rechnen: „Drei Wochen bleibt Myra fort, vierzehn Tage
zur Anschaffung eines Bartes — bleibt eine Woche für euch; glaubst du,
daß sich die Sache auszahlt?"

„Lästere nicht, Frevler!" donnerte er mich in heiligem Zorne an, „o —
wenn du sie gesehen hättest — !" Er geriet wieder in Verzückung und
sprach von seiner Angebeteten weiter, blöd und langweilig wie alle Ver-
liebten; als er den Ausdruck „hehres Weib" gebrauchte, erachtete ich es
für richtig, mich zu entfernen.

Ein paar Tage später wurde bei Kerstan eine gehaltvolle und
tiefgründige Bowle gebraut und in vorgerückter Stunde ließ
man Peter durch Mizzi, ein Modell, das er einmal bewundert
batte, anrufen.

Eine verschlafene Stimme meldete sich.

„Peterl, sind Sie 's?"

„Wer spricht?"

„I bin 's — die Mizzi — wir haben uns amal 'troffen, beim
Raoul — wissen S' no, Sie Grauslicher?"

Er wußte es noch.

„Na — wir sind jetzt alle heroben im Atelier, a paar lustige
Kolleginnen von mir sind auch da, sind S' fesch und kommen S'
ber. 's gibt heut no a Riesenhetz."

Der Telephondraht übermittelte nichts von dem schweren
Kampf, der an seinem anderen Ende stattfand, doch die in Aus-
sicht gestellte Riesenhetz unterlag.

„Was is' - kommen S'?"

Er blieb standhaft. „Es tut mir leid, aber — "

Die schöne Dame aus der Bahnhofshalle hatte offenbar einen
tiefen Eindruck gemacht; und wir stimmten einen Bittgesang an den heili-
gen Antonius an, ihm auch fernerhin beizustehen.

Endlich waren die vierzehn Tage um, sein Bari
mußte bereits die vorschriftsmäßige Länge erreicht
haben; ich rief ihn an. „Na — wie war 's? Darfst
du dich jetzt wieder rasieren?"

„Hallo — ja? Sag einmal, diese Reklamen von
den verschiedensten Rasierapparaten, Klingen, Sei-
fen, Cremen und ähnlichem Zeugs, die mir mit jeder
Post ins Haus kommen, verdanke ich wohl eurer
freundschaftlichen Fürsorge?" — „Dein Scharfsinn ließ dich das Richtige
erraten. Aber ich meine: wie steht 's mit deinem letzten Abenteuer?"

„Weißt du — sie het mir abgesagt - " (ich
sah ihn förmlich vor mir, wie er verlegen in seinem
Vollbart kraulte) „ich müßte noch ein, zwei Tage
warten — du verstehst - ? Sie telephoniert mich
jeden Abend an — f,e jst ejn ganz reizendes
Geschöpf!" — Unbeilbar! konstatierte ich.

Air trafen uns erst wieder am Bahnhofe, als wir Myra erwarteten.
Er hatte durch radikale Ausrottung des Bartes wieder nn menschenähn-
liches Äußeres gewonnen, schien aber ausnehmend schlechter Laune zn sein.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Liebesprobe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Böhmer, Karl Wolfgang
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 166.1927, Nr. 4273, S. 308

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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