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Die Badereise oon Waltvr o. Rummel

Der kurfürstliche Hofkammerrat Loren; Stockinger saß, den Kopf
tief in beide Hände vergrabe», vor seinem Schreibtisch und überflog
prüfend die Reime, die er da eben ;u Papier gebracht:

Wem die Welt von allen Seiten
Und der Laus der letzten Zeiten
Füglich in die Augen fällt,
Diesem kann man nicht »er-
denken

Wenn ihm, Ärgernis und
Kränken

Alle Lebenslust vergällt,

Rat Stockinger schüttelte
schicksalsergeben den Kopf.
Was half's, wenn man das, was einen bedrückte, noch so schön in
wohl gebauten Versen aussprach? Davon wurde man noch nicht
lustiger. Und ihn freute trotz seiner erst 40 Jahre nichts mehr so recht.
Dabei war er vermögend, hatte weder für Frau noch Kinder zu sor-
gen, war wohlbestallter Rat und Mitglied der Hofkammer, überall
gut angesehen. Eigentlich auch kerngesund. Nur hatte er leider, leider
von seinem Vater eine stark hypochondrische Ader vererbt bekommen,
trug eine unsichtbare Brille aus der Nase, die ihm die meisten Dinge
des Lebens grau erscheinen ließ. So hatte ihm denn schon vor einigen
Wochen sein Arzt, der kurfürstliche Leibphysieus Dr. Hirtenstaller
eine Badereise verschrieben. Nach der Heilquelle von Sonnenbichi.
Dort sollte er den Brunnen trinken, mit den schönsten Demoiseües
promenieren, sie tüchtig hofieren und sich mit ihnen divertieren, sich
im Freien bewegen, den schönen und heiteren Angelegenheiten des
Daseins nachgehen. In vier Wochen würde er geheilt, froh und ver-
gnügt wieder hier sein . . . Der gute Dr. Hirtenstaller. Er hatte
leicht reden, er brauchte da nicht mit. So eine erschrecklich weite
Reise! Eine mehr denn zehnstündige Fahrt, die in bedrohliche Nähe
der gefahrhaften Gebirge führte. Aller Bequemlichkeit mußte er ent-
behren! Mitten unter den fremden, harten Leuten leben. Keine
Menschenseele kannte er in ganz Sonnen-
bickl . . . So war eö mehr denn natürlich,
daß Rat Stockinger es versucht hatte, de»

Antritt der Reise in infinitum zu ver-
schieben. Aber der Herr Leibphysieus, der
ein arg gewalttätiger Mann war, hatte
nickt uackgegeben. Morgen, schon morgen
ging es nach Sonnenbickl. Tief und schwer
seufzte der Hofkammerrat auf . . .

In aller Herrgottsfrühe des nächsten
Tages, um 5 Uhr schon, hielt der Reise-
wagen vor dem Hause. Es war eine be-
queme, gut in Riemen hängende Kutsche, die der langjährige Diener
Josef als die empfehlenswerteste ausfindig gemacht hatte. Während
dieser die Koffer sorglich anschnallte, nicht wenig beaugapfelt aus
vielen Fenstern der Nachbarschaft, die sich trotz der frühen Stunde
neugierig öffneten, trat Herr Lorenz Stockinger, sorglich in Mantel
und Tücher verpackt, aus der Türe und schritt bedächtig auf den
Wagen zu. „Mein höfliches Kompliment" tönte es ihm aus der
Kutsche entgegen und eine Hand streckte sich freundlich nach der seinen.
Der Herr Leibphysieus. Trotz seiner vielen Patienten hatte er sich frei-
willig erboten, dem Hoskammerrat ein Stück Weges das Geleite zu

geben. Um ihm den Eintritt in die weite, fremde Welt zu erleichtern.
Vielleicht auch um sicher zu gehen, daß Rat Stockinger auch wirklich
abreise und auf die richtige Route nach dem ihm verschriebenen
Badeort gebracht werde.

Josef brauchte eine erkleckliche Zeit, bis er die vier Koffer sicher
am Wagen befestigt hatte. Der Rat benützte die ihm gegebene Gal-
genfrist dazu, um seiner weinend an den Kutschenschlag getretenen
Hauskälterin noch die eingehendsten Anweisungen für die Zeit seiner
langen Abwesenheit zu geben. Endlich konnte Josef sich auf den Bock
zum Kutscher schwingen und der Wagen polterte über das unebene
Pflaster hin davon. Langsam trabten die Pferde an. Man hatte schon
eine Reihe von Straßen hinter sich, als der Rat, wie von der
Schlange gebissen, pfeil- und bolzengerade in die Höhe fuhr, sick
dabei den Kopf schmerzhaft an der Wagendecke anrannte und den
Puder seiner Perrücke rings herumsprühen ließ. Die Brieftasche!
Seine Brieftasche mit dem Reisegeld darin. Die fehlte ihm, und
nun entsann er sich auch schon, daß er sie auf seinem Schreibtisch
liegen gelaffen habe. „Halt! Halt!" Erstaunt zog der Roffelenker
die Zügel an, verwundert schauten seine Gäule um. Der Josef wurde
vom Bock herunterbeordert und nach Hause geschickt, die vergeffenc
Brieftasche zu holen . . . Da die Kutsche gerade vor dem wohl-
renommierten Gasthos „zum Blauen Affen" angehalten, lud Loren;
Stockinger seinen ärztlichen Berater zu einem kleinen Frühstück ein,
ließ auch dem Kutscher eine Maß Bier reichen.

Nach einer guten Weile war der etwas pomade Josef mit der
Brieftasche wieder zur Stelle, der Atem seines Mundes verriet, daß
er unterwegs sich durch einige Glas Schnaps tüchtig gestärkt hatte.
Von neuem nahm man seinen Platz ein, der Kutscher fuhr wieder
an. Fünf Minuten später tat es einen Mordskrach, der Wagen sank
nach einer Seite hin in sich zusammen, der schwergewichtige Leib-
physicus fiel seinem wehschreienden Patienten auf Magen und Bauch.
Fluchend turnte der Kutscher vom Bock herunter. Radbruch! Es
erwies sich, daß eine der Schrauben allzu abgenützt gewesen. Ein
Donnerwetter entlud sich über Josefs
Haupt, daß er gerade diese ruiuenhafte
Kutsche ausgesucht. Sodann sckaffte man
den zerbrochenen Wagen zum Schmiede.
Eilig klopfte und hämmerte dieser, den
Schaden zu beheben. Rat Stockinger blieb
gleich in der Schmiede sitzen und schrieb
dort seiner Haushälterin, legte ihr dring-
lich noch alles mögliche, was er ihr alles
zu sagen vergessen, ans Herz, der Leib-
physicuö beurlaubte sich, einige in der Nähe
wohnende Patienten zu besuchen. Josef
und der Kutscher schlugen ihr Standquartier nebenan in einer Ta-
verne auf. Stunden vergingen und es schlug gerade l I Uhr, als
man die neu in Stand gesetzte Kutsche wieder besteigen konnte. Man
kam beim äußeren Tore an. Der Offizier der Wache trat au den
Schlag, die Pässe zu visitieren. Sie stimmten aufs Haar, nur fehlte
der Stempel des kurfürstlichen Paßamtes. Zurück den». Der Kutscher
und Josef, beide herzhaft vergnügt, feuerten durch lauten Zuruf die
Pferde zu raschem Trabe an. Dennoch kam man zu spät. Mittags-
pause. Das Paßamt hatte seine Pforten bereits geschloffen. Guter
Rat war teuer. In seiner höchsten Not sah Lorenz Stockinger seinen

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Badereise von Walter v. Rummel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4289, S. 182

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