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Die empfindsame Amalie

von Max Iungnickel

Die empfindsame Amalie ist eine Telleruhr aus Porzellan. Krau
und unfreundlich ist sie vom Staub und vom Schmutz geworden.

Und die Ziffern, die wohl längst verblaßt waren, find nachgezogen
von einem Stümper, der noch nicht gelernt bat, eine 8 zu schreiben
und eine 5. Vielleicht hat da auch ein Kind auf dem Gesicht der Uhr
mit dem Buntstift herumgeschmiert. - —

Aber die Uhr spricht wie eine, die vom Alter ganz weise wurde:

„Ich habe so viele Menschen kennen gelernt in der Bauernküche, wo
ich lange wohnte. Sie waren zusammengemischt aus Zahlen und
Bibelsprüchen. Nicht eine Minute

Liebe enipfand ich für sie . . . Ich sing
an, auf die Menschen genau zu achten.

Ich wollte sic lieben. — — Aber als
ich das tat, wurde ich unpünktlich, mein
Herz setzte manchmal aus, stockte oft,
weil ich soviel Ungerechtigkeit sah und
soviel Wut. — — Und da, als ich
Mitleid mit den Menschen bekam,
nahmen sie mich aus der Küche und
hängken mich in den Hausflur ganz
nab an die Scheibentür, diezuni Weg
hinausging. — — Da hing ich nun
und ging,wie ichLust Karte. Sonntags
zog man mich auf. Meine Zeiger ver-
gasi man richtig zu stellen. Die Men-
schen zogen mich auf, weil sie fühlten,
daß ich in der Ruhe unheimlich bin.

Da hing ich und hielt mich in Wut
und Unwillen selbst gefangen. Manch-
mal bekam ich Lust, meine
Stirn an die Haustür-
scheibe zu lehnen. Ich sah
hinter dem schmalen Weg
eine Wiese, die herunter-
kroch zu einem wilden
Bach.Butzenscheibengrüue
Liebe für dieses Stückchen Erde fiel in mein
halbtotes Herz. - - 0 ja, ich lebte noch,
wenn ich auch bei Sonnenaufgang drei-
vicrtel zwölf zeigte. — — Und dann war
ein Hund da, ein struppiger Hund, der
mich anbellte und zu mir aufsah. Und dieser
Hund war mein einzigster Freund. — -
Es war an einem Sommernachmittag. Die
Bauern waren auf den Feldern. Das ganze
Haus schlief. Auch die kleine Amalie von
anderthalb Jahre» lag im rotbäckigen
Kinderschlas. Ich konnte sie sehen; denn
die Tür mir gegenüber war geöffnet. Ich
schlurfte, durch Fliegensummen und Heu-
duft bindurch, meinen Kreis. Und auch der
Hund döste am Kinderbett. — — Ach, war
ich schläfrig! Die Sonne lag mir heiß im
Gesicht. - — Und auf einmal kletterte

Vater Kräkler

die kleine Amalie aus ihrem Bett, tappte im Hemd und barfuß
über den sandbestreuten Hausflur, blieb unter mir stehen, rieb sich
die Augen und gähnte zu mir auf. - — Und der Hund umwedclte
das Kind. Da stellte sich die kleine Amalie auf die Zehen, drückte
die Haustür auf, watschelte über den Weg, durch die Wiese. — —
In mein Herz führe wie ein Stich: Sie läuft ja den Abhang hin-
unter, jetzt, jetzt, muß sie im wilden Bach verschwinden: tick - tack!
— — Noch einmal tick — tack und der Bach hat sie wild gefaßt und
reißt sie fort. — — Aber da bellte der Hund. Er bellte Hilfe. Kein

Mensch hörte ihn. Ich hing an der
Wand und fluchte über meine Obn-
macht. Da hörte er auf zu bellen und
umsprang dasKind.DiekleineAmalie
blieb stehen, ratlos. - - Jetzt riß
der Hund das Kind um und stieß es
mit Kopf und Beinen an. Wahrhaftig,
der Hund rollte das Kind den kleinen,
grünen Abbang hinauf. Ich hörte,
wie er keuchte. Doch über dem Hund
schwebte es weiß wie ein Fittich und
überflügelte ihn, kam tiefer und schob
das Tier an, als ob es mithelfen wollte.
Und immer stieß er zu mit Kopf und
Beinen unermüdlich, bis er das Kind
an die Hundehütte gerollt hatte, die
vor der Haustür stand. Dann hielt
er inne, zog das Kind in die Hunde-
Hütte und stellte sich davor, immer wach-
sam Ausschau haltend. Und das Kind
schlief im Hundehaus wie-

Der Vater Kriikler hat viel zu tun. Die Damen, (Mama und zmo Töchter und

Um sechse gewöhnlich am Morgen, Die ruhn noch an seligem Borde, Hanne)

Da hatscht er in seinen gestickten Schuh’ii Da poltert er schon mit der Blumengieß-
Durch all die Hausnatersorgen. Und wütet im Fliegenmorde. kanne

Fr muß doch einmal in die Kiiche gucken,

Tropft der Wasserhahn nicht bis zum Rauschen ?

Die heilsamen Pillen sind pünktlich zu schlucken.

Die Sofa-„Pendants“ sollt man tauschen.

Den Goldfischen muß er das Wasser erneuen.

(Der große springt stets aus dem Nette!)

Der Hansi will Futter und Sand ist zu streuen,

Und Jokel, der Star, hat die Krätze.

Am Blumentisch gibt es viel Blättchen zu rupfen.

Die Standuhr geht auch schon recht sachte,

Die Fältchengardinen sind grade zu zupfen,

Im Nu ist es dreiniertel Achte:

Persönlich bewacht er die Kaffeebereitung,

(Die Hanne möcht' ihn massakrieren !)

Und dann kommt die Post und die Morgenzeitung,

Wo mag jetit die Brille spazieren ?

Und die Sonne zieht ein goldenes Band
Durchs Fenster hinab zu den Dielen,

Drin hat sie alle Kleinsorgen gebannt,

Die lustig als Stäubchen spielen. Willibald Krnin

der ein. - — Mit der
Abendsonne kam die Bäu-
erin. Kaum batte sie der
Hund erblickt, da fing er
an, freudig zu zittern und
er bellte vor Jubel. Und
als sie vor ihm stand, fing er an zu springen
wie toll, und er ließ die Bäuerin nicht eher
ins Haus, bis sie eine» Blick in die Hütte
getan batte und ihr Kind erschrocken aus
der Hundehütte zog. Und als sie sich nieder-
kauerte und das Kind in ihrem Schoß
lächelnd erwachte, da drängte sich der Hund
a» die Frau, als ob er nach einer kleinen
Liebkosung hungerte. - - Aber die Frau
achtete nicht mehr auf ihn! — — "

Und schläfrig, wie in Traurigkeit ein-
gesponnen, tickt die Ubr gedankenlos die
verkehrte Zeit durch den Sonnentag.

Anders gemeint

„Mit Ihrem Gebalt kommen Sie nicht
aus? Ihne» fehlt 'ne Frau!"

„Stimmt, 'ne recht reiche!"

30
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vater Kräkler"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Krain, Willibald
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4302, S. 30

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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