Das Hausjubiläum oder
die 25jährige Jubelfeier des Portier Ledermeyer in Firma Schulze k Sohn
Der Portier Ledermeyer war am l. Dezember 25 Jahre im Hause und
das Jubiläum mußte irgendwie gefeiert werden, darüber waren sich alle
einig, der Seuiorchef, Herr Schulze jun., der Jubilar, der erste Buch-
halter, der Kassierer, die Maschincnfräuleino bis hinab zu den Laufjungen.
Nur über die Art der Feier herrschte Unklarheit: die Firma, das war Herr
Schulze senior, sprach von schlechter Geschäftslage und war mehr für Lor-
beerbäume, Rednerpult, Ansprache und Hauschor, die übrigen für Abend-
essen, Freibier und Zigarren. Ausnahmsweise behielten diesmal „die Üb-
rigen" recht. Die Einladungen verteilte der Hausdiener Nikolaus Demuth,
engerer Kollege Ledermeyers.
Die Antwort fiel zufällig für 12 Einladungen gleichmäßig aus und
lautete: „Sehr geehrte Herren Schulze und Sohn! Auf Ihre werte Ein-
ladung vom 25. er. beeile ich mich, Ihnen mitzu-
teilen, daß es mir eine Ehre ist, Ihren» werten
Ruf zu folgen. Es wird mir eine Freude fein,
durch meine Anwesenheit das Fest zu verschönen."
Daß der Inhalt gleichmäßig war, war »vie gesagt
ein Zufall, aber der Brief verriet den geradezu
klassischen Stil des ersten Buchhalters.
Man traf sich 7 Uhr 45 vor der Erholung und
betrat geschlossen Punkt 8 den Festsaal. Dann
hatte man sich gegenseitig vorgeschoben, »var unter
Verbeugungen schrirtweise Herrn Schulze sen.,
jun. und deren werter Familie nähergerückt. Man
batte an der Tafel Platz genommen, wobei es aller-
dings auffiel, daß der erste Buchhalter nicht, wie
inan allgemein erwartet hatte, zur Linke» des Chefs
saß, sondern bei den jüngeren Semestern unter-
gebracht war. Das verdarb Herrn Knackfuß einiger-
maßen die Stimmung, denn er hatte Verschiedenes
auf den» Herzen, was er gern bei dieser Gelegenbeit
Herrn Schulze beigebracht hätte. Erst das Freibier
gab ihm das seelische Gleichge»vicht wieder.
Suppe ... der Chef schlägt an sein Glas: Meine
Damen und Herren . . . bedeutsamer Tag ... 25
Jahre . . . Lebensarbeit . . . Treue um Treue . .
auch bescheidene Tätigkeit ehrenwert... der Jubilar,
unser lieber Mitarbeiter Herr Ledermcyer hoch, hoch,
hoch! Gegenrede des Jubilars von zitterndem Manu-
skript: Aufreibende, verantwortungsreiche Stellung
. . . in Ebren grau geworden . . . usw. usw. Leider verwechselte der Jubilar
einmal Seite 7 mit Seite 9 im Manuskript, sodaß die wirkungsvolle
Stelle von der Treue übers Grab verloren ging, dafür kam Seite 7 aber
doppelt zur Geltung. Es war sehr erhebend und stimmungsvoll. Folgt die
Damenrede des i» weiten Kreisen als Komiker bekannte» Kassierers, der
derart witzige Anspielungen brachte, daß seine Hörer vor Begeisterung
tobten und Frau Schulze nebst Töchtern mehrfach anerkennend erröteten.
Man unterkielt sich sehr angeregt, wobei allerdings das Verhalten des Haus-
dieners und engeren Kollegen des Jubilars als ungebührlich zurückgewiesen
werden muß. Er verschlang geradezu unanständige Portionen und war beim
Vanilleeis derart betrunken, daß er mit dem Juniorchef Brüderschaft trinken
wollte. Dieser hingegen zeigte, auch das verdient erwähnt zu werden, ein
geradezu rührendes menschliches Verständnis. Nach einen, vierstimmige»
Gesang des Hauschors „Heil dir dem Jubilare, du schwebst gleich einem
Aare stets leuchtend uns voran ...", das eigens zu diesem Zweck von einem
nichtgenanntcn Herrn von der Versandabteilung gedichtet, schloß der offi-
zielle Teil. Die an den offiziellen Teil anschließende Fidelitas brachte die
bei solchen Anlässen zu begrüßende Überbrückung sozialer Gegensätze. So
ist beispielsweise zu vermerken, daß der Leiter der Frankierstube und Erporr-
abteilung, Herr Sauerbier, dem Chef des Hauses in längerem fließenden
Vortrag einige bedeutsame Vorschläge zur Hebung der Geschäftslage machte,
die augenscheinlich ihren Eindruck auf den Seniorchef nicht verfehlten.
Überhaupt muß gesagt werden, daß eine geradezu patriarchalische Liebe zun,
Chef an den Tag trat, dessen Tisch stets einer belagerten Festung glich.
Allerdings war er auch so leutselig und sprühte scherzhafte Bemerkungen,
daß die Zuhörer nicht aus dem Lachen kamen bis auf den Lehrling im dritte»
Jahr Alois Schmidt, der sowieso am I. Januar austrat. Daß sich der
Juniorchef m>l der Schreibmaschinenbefliffenen Gretchen Mies länger als
nötig unterhielt, muß ins Reich der Fabel verwiese» werde», ebenso wie
die infame Behauptung des Nachtportiers Mulatke, Herr F. W. Schulze
jun. habe besagte Gretchen Mies in einer dunklen
Ecke um die Taille gefaßt und zu küssen versucht
und nur deren Widerstreben sei es zu verdanke»,
daß nichts passiert sei. Das ist unbedingt eine Lüge,
denn so etwas hätte Gretchen Mies nie getan.
Es ist leider nicht einwandfrei festzustellen, wie
die Fidelitas endete. Zuletzt gesehen wurde der
Jubilar, der tränenden Auges Herrn Schulze um-
armte und ihn seines unwandelbaren Wohlwollens
versicherte. Man trennte sich mit dem allgemeinen
Eindruck, sich außerordentlich viel näher gekommen
zu sein. Warum der nächste Tag ein« Enttäuschung
brachte, ist eigentlich nicht recht verständlich. Die
Annäherung schic» bei Tageslicht die Mehrzahl zu
bedrücken. Aber das legte sich — nach 3 Tagen war
alles beim Alten. Nur dem Kassierer ist es scheuß-
lich, daß er garnicht mehr feststellen kann, worüber er
mit dem Chef aus der gemeinsanien Wagenfabrt nach
Hause — aus die er am Abend noch so stolz war —
gesprochen bat. Es muß etwas sebr Bedeutsames ge-
wesen sein - aber immerhin, abscheulich, wenn man
garnicht mehr weiß, was man nach all dem Freibier
ausgerechnet dem Chef erzählte.
Das Blasrohr im Schlüsselloch
Im „Sächsischen Volksblatt" regt sich ein Ein-
sender über einen neuen Sport auf wie folgt: „Der
Schlosser Grünewald in Lichtentanne, Bahnhof, har
sich einen neuen Sport auögewählk: er hat einem seiner HauSmitbewobner
seit längerer Zeit mit «inen, Blasrobr Wanzen durch das Schlüsselloch der
Vorsaaltüre geblasen. Eine größere Flegelei kann man sich wahrhaftig
nicht denken. Der Haß gegen einen Hausmitbewohner läßt sich auf wahrlich
anständigere Weife austragen. Eine exemplarische Polizeistrase wird sicherlich
die Ausübung dieses neuen Schießsportes belohnen."
Der Beruf
„Angeklagter, welches ist Ihre Beschäftigung?" — „Ich suche seit Jahren
von früh bis Abend eine Wohnung ..." — „Und haben Sie eine ge
funden?" — „Ja." - „Also: Künstler."
Nachtruhe
Auf der Potsdamerstraße werden die Schiene» umgelegt. Nachts zwei
Uhr. Die Bohrer brechen zischend in den Aspbalt. Laut schlagen die Hammer
der Arbeiter im Takt. Kommt ein lustiger Zecker getorkelt.
Singt ein leises Liedel.
„Stören Sie nicht die Nachtru e, Herr!" ist sofort ein Schutzmann da.
UN EN T W E G T
Am wohlbewährten Alten
hängt fest er wie ein Zeck.
Die Volkstracht zu erhalten,
das ist sein Lebenszweck.
Den pflegt er und den hegt er,
ob auch der Spötter lacht.
Und seinen Kropf, den trägt er
treuherzig Tug und Nacht, o.
32
die 25jährige Jubelfeier des Portier Ledermeyer in Firma Schulze k Sohn
Der Portier Ledermeyer war am l. Dezember 25 Jahre im Hause und
das Jubiläum mußte irgendwie gefeiert werden, darüber waren sich alle
einig, der Seuiorchef, Herr Schulze jun., der Jubilar, der erste Buch-
halter, der Kassierer, die Maschincnfräuleino bis hinab zu den Laufjungen.
Nur über die Art der Feier herrschte Unklarheit: die Firma, das war Herr
Schulze senior, sprach von schlechter Geschäftslage und war mehr für Lor-
beerbäume, Rednerpult, Ansprache und Hauschor, die übrigen für Abend-
essen, Freibier und Zigarren. Ausnahmsweise behielten diesmal „die Üb-
rigen" recht. Die Einladungen verteilte der Hausdiener Nikolaus Demuth,
engerer Kollege Ledermeyers.
Die Antwort fiel zufällig für 12 Einladungen gleichmäßig aus und
lautete: „Sehr geehrte Herren Schulze und Sohn! Auf Ihre werte Ein-
ladung vom 25. er. beeile ich mich, Ihnen mitzu-
teilen, daß es mir eine Ehre ist, Ihren» werten
Ruf zu folgen. Es wird mir eine Freude fein,
durch meine Anwesenheit das Fest zu verschönen."
Daß der Inhalt gleichmäßig war, war »vie gesagt
ein Zufall, aber der Brief verriet den geradezu
klassischen Stil des ersten Buchhalters.
Man traf sich 7 Uhr 45 vor der Erholung und
betrat geschlossen Punkt 8 den Festsaal. Dann
hatte man sich gegenseitig vorgeschoben, »var unter
Verbeugungen schrirtweise Herrn Schulze sen.,
jun. und deren werter Familie nähergerückt. Man
batte an der Tafel Platz genommen, wobei es aller-
dings auffiel, daß der erste Buchhalter nicht, wie
inan allgemein erwartet hatte, zur Linke» des Chefs
saß, sondern bei den jüngeren Semestern unter-
gebracht war. Das verdarb Herrn Knackfuß einiger-
maßen die Stimmung, denn er hatte Verschiedenes
auf den» Herzen, was er gern bei dieser Gelegenbeit
Herrn Schulze beigebracht hätte. Erst das Freibier
gab ihm das seelische Gleichge»vicht wieder.
Suppe ... der Chef schlägt an sein Glas: Meine
Damen und Herren . . . bedeutsamer Tag ... 25
Jahre . . . Lebensarbeit . . . Treue um Treue . .
auch bescheidene Tätigkeit ehrenwert... der Jubilar,
unser lieber Mitarbeiter Herr Ledermcyer hoch, hoch,
hoch! Gegenrede des Jubilars von zitterndem Manu-
skript: Aufreibende, verantwortungsreiche Stellung
. . . in Ebren grau geworden . . . usw. usw. Leider verwechselte der Jubilar
einmal Seite 7 mit Seite 9 im Manuskript, sodaß die wirkungsvolle
Stelle von der Treue übers Grab verloren ging, dafür kam Seite 7 aber
doppelt zur Geltung. Es war sehr erhebend und stimmungsvoll. Folgt die
Damenrede des i» weiten Kreisen als Komiker bekannte» Kassierers, der
derart witzige Anspielungen brachte, daß seine Hörer vor Begeisterung
tobten und Frau Schulze nebst Töchtern mehrfach anerkennend erröteten.
Man unterkielt sich sehr angeregt, wobei allerdings das Verhalten des Haus-
dieners und engeren Kollegen des Jubilars als ungebührlich zurückgewiesen
werden muß. Er verschlang geradezu unanständige Portionen und war beim
Vanilleeis derart betrunken, daß er mit dem Juniorchef Brüderschaft trinken
wollte. Dieser hingegen zeigte, auch das verdient erwähnt zu werden, ein
geradezu rührendes menschliches Verständnis. Nach einen, vierstimmige»
Gesang des Hauschors „Heil dir dem Jubilare, du schwebst gleich einem
Aare stets leuchtend uns voran ...", das eigens zu diesem Zweck von einem
nichtgenanntcn Herrn von der Versandabteilung gedichtet, schloß der offi-
zielle Teil. Die an den offiziellen Teil anschließende Fidelitas brachte die
bei solchen Anlässen zu begrüßende Überbrückung sozialer Gegensätze. So
ist beispielsweise zu vermerken, daß der Leiter der Frankierstube und Erporr-
abteilung, Herr Sauerbier, dem Chef des Hauses in längerem fließenden
Vortrag einige bedeutsame Vorschläge zur Hebung der Geschäftslage machte,
die augenscheinlich ihren Eindruck auf den Seniorchef nicht verfehlten.
Überhaupt muß gesagt werden, daß eine geradezu patriarchalische Liebe zun,
Chef an den Tag trat, dessen Tisch stets einer belagerten Festung glich.
Allerdings war er auch so leutselig und sprühte scherzhafte Bemerkungen,
daß die Zuhörer nicht aus dem Lachen kamen bis auf den Lehrling im dritte»
Jahr Alois Schmidt, der sowieso am I. Januar austrat. Daß sich der
Juniorchef m>l der Schreibmaschinenbefliffenen Gretchen Mies länger als
nötig unterhielt, muß ins Reich der Fabel verwiese» werde», ebenso wie
die infame Behauptung des Nachtportiers Mulatke, Herr F. W. Schulze
jun. habe besagte Gretchen Mies in einer dunklen
Ecke um die Taille gefaßt und zu küssen versucht
und nur deren Widerstreben sei es zu verdanke»,
daß nichts passiert sei. Das ist unbedingt eine Lüge,
denn so etwas hätte Gretchen Mies nie getan.
Es ist leider nicht einwandfrei festzustellen, wie
die Fidelitas endete. Zuletzt gesehen wurde der
Jubilar, der tränenden Auges Herrn Schulze um-
armte und ihn seines unwandelbaren Wohlwollens
versicherte. Man trennte sich mit dem allgemeinen
Eindruck, sich außerordentlich viel näher gekommen
zu sein. Warum der nächste Tag ein« Enttäuschung
brachte, ist eigentlich nicht recht verständlich. Die
Annäherung schic» bei Tageslicht die Mehrzahl zu
bedrücken. Aber das legte sich — nach 3 Tagen war
alles beim Alten. Nur dem Kassierer ist es scheuß-
lich, daß er garnicht mehr feststellen kann, worüber er
mit dem Chef aus der gemeinsanien Wagenfabrt nach
Hause — aus die er am Abend noch so stolz war —
gesprochen bat. Es muß etwas sebr Bedeutsames ge-
wesen sein - aber immerhin, abscheulich, wenn man
garnicht mehr weiß, was man nach all dem Freibier
ausgerechnet dem Chef erzählte.
Das Blasrohr im Schlüsselloch
Im „Sächsischen Volksblatt" regt sich ein Ein-
sender über einen neuen Sport auf wie folgt: „Der
Schlosser Grünewald in Lichtentanne, Bahnhof, har
sich einen neuen Sport auögewählk: er hat einem seiner HauSmitbewobner
seit längerer Zeit mit «inen, Blasrobr Wanzen durch das Schlüsselloch der
Vorsaaltüre geblasen. Eine größere Flegelei kann man sich wahrhaftig
nicht denken. Der Haß gegen einen Hausmitbewohner läßt sich auf wahrlich
anständigere Weife austragen. Eine exemplarische Polizeistrase wird sicherlich
die Ausübung dieses neuen Schießsportes belohnen."
Der Beruf
„Angeklagter, welches ist Ihre Beschäftigung?" — „Ich suche seit Jahren
von früh bis Abend eine Wohnung ..." — „Und haben Sie eine ge
funden?" — „Ja." - „Also: Künstler."
Nachtruhe
Auf der Potsdamerstraße werden die Schiene» umgelegt. Nachts zwei
Uhr. Die Bohrer brechen zischend in den Aspbalt. Laut schlagen die Hammer
der Arbeiter im Takt. Kommt ein lustiger Zecker getorkelt.
Singt ein leises Liedel.
„Stören Sie nicht die Nachtru e, Herr!" ist sofort ein Schutzmann da.
UN EN T W E G T
Am wohlbewährten Alten
hängt fest er wie ein Zeck.
Die Volkstracht zu erhalten,
das ist sein Lebenszweck.
Den pflegt er und den hegt er,
ob auch der Spötter lacht.
Und seinen Kropf, den trägt er
treuherzig Tug und Nacht, o.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unentwegt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4302, S. 32
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg