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Der Mann ohne Gedächtnis

Von Curry

Als der berühmte Psychotherapeut Professor Letitz geendet
hatte, klatschte ihm die ganze im Teesalon versammelte Gesell-
schaft Beifall.

Es waren aber auch außerordentliche Gedankengänge, die der
Professor entwickelt hatte: Die Bekämpfung der Krise durch
Lypnose und Auswischung des Gedächtnisses. Er hatte das Ge-
dächtnis beschuldigt, an unsrer pessimistischen Einstellung zur Gegen-
wart und Zukunft die Lauptverantwortung zu tragen. Dieses
höchste Gut des Menschen, das ihn vor allen Lebewesen auszeich-
net und seine geistigen und kulturellen Leistungen erst ermöglicht,
sollte gleichzeitig sein Verderb sein. Nur das Gedächtnis gibt
uns die Möglichkeit der Vergleichung des Leute mit dem Gestern
und wirft seine düsteren Schatten auf die ewig verschlossene
Zukunft. Was uns den Tag verbittert, ist weniger der Tag selbst,
als vielmehr der bittere Nachgeschmack von den Tagen vorher.
Was uns hemmt, ist der Ballast gestern und vorgestern. Bei jedem
Menschen muß der naturgewollte Optimismus durchbrechen, wenn
man ihm die Enttäuschungen, fehlgeschlagenen Loffnungen, Vor-
urteile, Aengste und Befürchtungen, das schlimme Erbe des Ge-
wesenen, nimmt. Das alles aber ist im Gedächtnis
deponiert. Darum heißt die neue Forderung im Kampf
gegen Krise und Depression: zeitweise Auslöschung des
Gedächtnisses.

Das Ideal nun wäre, um ein Wort aus der Poli-
tik zu gebrauchen, nicht eine quantitative Abrüstung des
Gedächtnisses, sondern eine qualitative, d. h. eine Aus-
löschung nur gerade der belastenden und hemmenden
Erinnerungsbilder, nicht des ganzen Gedächtnisgutes.

Einem zerschmetterten Bankdirektor also müßte man die
Erinnerung an Kursstürze, schwarze Börsentage, Zins-
konvertierungen wegwischen. Ein pensionierter General,
ein stellenloser Diplomingenieur hat wieder andere Aus-
löschungen nötig. Aber so weit war die Wissenschaft
nun leider nicht. Das erstrebenswerte Ideal, hierbei
eine Auswahl zu treffen, war noch nicht erreicht, und
es gibt einstweilen nur den Weg, das Gedächtnis in
seiner Gesamtheit zu verdunkeln.

Der Professor zog sich mit ihm in ein anderes Zimmer zu-
rück. Als sie nach einer Viertelstunde wieder kamen, war Dr.
Lahn nichts anzumerken. Er lächelte nur.

* *

*

Es wurde etwa zwei Ahr nachts, bis die Gäste aufbrachen.
Auto auf Auto fuhr langsam vor und verschwand eilig um die
Parkecke.

Anter dem Vorbau wartete fröstelnd Frau Dr. Lahn auf
ihren Mann. Er kam sehr langsam die Treppe hinunter, zündete
sich umständlich eine Zigarette an und hatte den Mantel nach-
lässig um die Schultern geworfen.

„Aber so komm doch, Edmund!" sagte seine Frau. „Ich
möchte nach Lause."

Dr. Lahn setzte sich ans Steuer. Der Wagen sprang davon.

„Mach nur, daß wir nach Lause kommen!" sagte seine Frau
müde vom Rücksitz her.

Zehn Minuten hörte man nichts als das Surren des Motors.

Da hatte nun Professor Letitz einen Weg gefunden,
mittels Lypnose alles, was länger als vierzehn Tage
zurücklag, versinken zu lassen. Ließ sich z. B. jemand von
ihm am 1. Oktober behandeln, so war von da an alles
vor dem 15. September Erlebte und Erlittene ausgetilgt.
Am 2. Oktober reichte sein Gedächtnis nur noch bis zum
16. September zurück. Das ganze Gedächtnis zu ver-
wischen, war nicht angängig, weil sonst keine sinnvollen
und zusammenhängenden Landlungen mehr ausgeführt
werden konnten. Darum wählte Letitz diese Methode.

„Es wäre nun," sagte Professor Letitz, als es wieder
still geworden war, „es wäre nun hübsch, wenn jemand
sich bereit finden würde, das Experiment an sich vor-
nehmen zu lassen. Sie vielleicht, Lerr Konsul? Oder
Sie, Lerr Generaldirektor? Nicht? Lm! Da möchte ich
nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen, daß ich
natürlich jederzeit die Suggestion wieder ausheben kann.
Wer also ohne Krisenstimmung nicht leben kann, dem
gebe ich die Gegenbefehle, und er hat die Erinnerung
an Inflation, Notverordnungen und Steuererklärungen
sofort wieder."

Da wurde ein Stuhl gerückt.

Der junge Arzt Dr. Lahn trat vor.

Eine Dame neben ihm versuchte, ihn am Arm fest-
zuhalten. „Edmund, ich erlaube es nicht!"

„Ich bin bereit, Lerr Professor," sagte Dr. Lahn.

„Gesunder, langer Schlaf ist das beste Schönheitsmittel, sagt
mein Arzt." — „Aber warum hilft dir der Mann denn nicht?
Du klagst doch schon seit Jahren über schlechten Schlaf."

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Gesunder, langer Schlaf ist das beste Schönheitsmittel, ..."
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Reinhardt, Franz
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1931
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4557, S. 341

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