Zeichnungen von L. Frank
Tischgespräche
Von Elisabeth Schmith
Fünf Damen und fünf Lerren waren
^"geladen, lauter feine Leute. Wir faßen
,ttl Salon, plauderten und freuten uns auf
Abendessen, das in diesem Lause gut
öu fein pflegte. Die Anwesenden kannten ein-
^nder schon von früheren Begegnungen her.
auf einen jungen Mann mit Intelligenz-
brille, den man hier zum erstenmal sah.
n,ar aber ein sehr netter junger Mann,
Student der Medizin, munter und witzig und
großer Liebe zu seinem Beruf erfüllt.
Wenigstens schien es so, denn er schilderte
*n sehr anschaulicher und interessanter Weise
ejn« schwierige Trepanation zur Freilegung
eines Gehirntumors. An dem letalen Aus-
3ang der Behandlung konnte jedoch nieman-
dem die Schuld beigemessen werden, da die
Obduktion einwandfrei ergeben hatte, daß der
^ntient an einer Meningitis und eitrigen
Mittelohrentzündung verstorben war.
Schlag halb neun erschien ein zierliches
Stubenmädchen und meldete, daß angerichtet
s^i. Wir begaben uns ins Speisezimmer und
"Ohmen unter beifälligem Gemurmel um den
geschmackvoll gedeckten Tisch herum Platz,
wieder erschien das zierliche Stubenmädchen,
diesmal mit einer Silberplatte, auf der eine
leckere Borspeise ausgebreitet lag. Lirnpastet-
Aber der
Geldbeutel schreit:
chen. Die Dame gegenüber wurde blaß, und
auch mir fiel plötzlich der alberne Tumor ein.
Ich dankte, und so taten merkwürdigerweise
die meisten der übrigen Gäste. Mein Tisch-
nachbar hatte sich allerdings bedient, doch er
würgte an dem Bissen, und es war besser,
nicht hinzuschauen. Einzig dem netten jungen
Mann mit der Intelligenzbrille schmeckte es
ausgezeichnet. Er kaute mit vollen Backen
und erzählte zwischendurch der Dame zu
seiner Rechten eine lustige Geschichte. Wie
man in der eingetretenen Stille deutlich
hörte, handelte es sich um eine Leiche, die
man im Anatomischen Institut drei Jahre
auf Eis gelagert hatte, ehe man sie auskochle
und skelettierte.
Als nächster Gang wurde Wild auf-
getragen. „Bedienen Sie sich doch, liebe
Melanie/ ermunterte die Lausfrau, „der
Braten ist wirklich mürbe!" Melanie quollen
die Augen ein wenig aus dem Kopfe, während
sie ein winziges Stück Fleisch auf ihren Teller
nahm. Wir waren übrigens alle sehr be-
scheiden, ja es schien fast, als ob wir gerade
die dünnsten Bratenscheiben einander streitig
machen wollten. Dann begannen wir ge-
flissentlich vom letzten Philharmonischen
Konzert zu sprechen, wir regten uns auf und
überschrien einander. Aber wenn jemand
genau aufgepaßt hätte, müßte er das Wunder
bemerkt haben. Auf den Tellern wurde des
Bratens nicht weniger.
Bei der Süßspeise platzte beinahe die
Bombe. Der nette junge Mann fühlte sich
zu einem Bericht über die Nebenerschei-
nungen der Zuckerkrankheit verpflichtet, und
der dicke Kommerzienrat hauchte ihn an:
„Wissen Sie wirklich kein amüsanteres Ge-
sprächsthema?" Schweißtropfen perlten aus
seiner Stirn, als er sich sodann dem Laus-
herrn zuwandte: „Lieber Freund, ich bitte
um einen Kognak!" Der junge Mann schwieg
zuerst gekränkt, bald aber erhellte der Wieder-
schein eines freundlichen Gedankens sein Ge-
sicht. „Lerr Kommerzienrat," sagte er, „Sie
müssen sich unbedingt einmal meine Präpa-
rate anschauen. Ich habe zu Lause eine kleine
Mißgeburt mit Wasserkopf in Alkohol, die
ist wirklich eine Sehenswürdigkeit!" Der
Lausherr geleitete den Kommerzienrat hin-
aus und bettete ihn in einen Lehnstuhl.
Im Laufe des Abends erinnerte ich mich
an einen Bonbon, der in der Tasche meines
In der Bade-Lochsalson bringt
man seinen Wasser-Bedarf am
besten selbst mitl
Mantels stecken mußte und geeignet schien,
den wütenden Lunger zu stillen. Die Tür
zwischen Vorzimmer und Küche stand ein
wenig offen, so daß man die Stimme der
Lausfrau hören konnte. „Ihre Idee war
nicht schlecht, Marie, obwohl Ihr Vetter
ein starker Esser ist. Wenn ich aber so denke,
was die Leute früher einmal bei mir ver-
zehrten .I And für morgen haben
wir schon das Mittagessen und Nachtmahl."
Sinnend ging ich in den Salon zurück.
Am Klavier lehnte einsam der nette junge
Mann. „Lieber Lerr Doktor," sagte ich,
„nächste Woche sehe ich ein paar gute Freunde
bei mir zu einem ganz bescheidenen kleinen
Abendessen. Aber ich hoffe doch, daß Sie
mir auch das Vergnügen schenken werden!"
„Sehr gern, sehr gern!" dienerte der
junge Mann und zog sein Notizbuch aus
der Tasche. „Wann soll es denn sein, gnädige
Frau? Ich habe nämlich heute schon neun
Einladungen erhalten."
Wirkung des schlechten
Ferienwetters
auf den auf den
Kurbolel-Besttzer Schlnnfabrtkanten
63
Tischgespräche
Von Elisabeth Schmith
Fünf Damen und fünf Lerren waren
^"geladen, lauter feine Leute. Wir faßen
,ttl Salon, plauderten und freuten uns auf
Abendessen, das in diesem Lause gut
öu fein pflegte. Die Anwesenden kannten ein-
^nder schon von früheren Begegnungen her.
auf einen jungen Mann mit Intelligenz-
brille, den man hier zum erstenmal sah.
n,ar aber ein sehr netter junger Mann,
Student der Medizin, munter und witzig und
großer Liebe zu seinem Beruf erfüllt.
Wenigstens schien es so, denn er schilderte
*n sehr anschaulicher und interessanter Weise
ejn« schwierige Trepanation zur Freilegung
eines Gehirntumors. An dem letalen Aus-
3ang der Behandlung konnte jedoch nieman-
dem die Schuld beigemessen werden, da die
Obduktion einwandfrei ergeben hatte, daß der
^ntient an einer Meningitis und eitrigen
Mittelohrentzündung verstorben war.
Schlag halb neun erschien ein zierliches
Stubenmädchen und meldete, daß angerichtet
s^i. Wir begaben uns ins Speisezimmer und
"Ohmen unter beifälligem Gemurmel um den
geschmackvoll gedeckten Tisch herum Platz,
wieder erschien das zierliche Stubenmädchen,
diesmal mit einer Silberplatte, auf der eine
leckere Borspeise ausgebreitet lag. Lirnpastet-
Aber der
Geldbeutel schreit:
chen. Die Dame gegenüber wurde blaß, und
auch mir fiel plötzlich der alberne Tumor ein.
Ich dankte, und so taten merkwürdigerweise
die meisten der übrigen Gäste. Mein Tisch-
nachbar hatte sich allerdings bedient, doch er
würgte an dem Bissen, und es war besser,
nicht hinzuschauen. Einzig dem netten jungen
Mann mit der Intelligenzbrille schmeckte es
ausgezeichnet. Er kaute mit vollen Backen
und erzählte zwischendurch der Dame zu
seiner Rechten eine lustige Geschichte. Wie
man in der eingetretenen Stille deutlich
hörte, handelte es sich um eine Leiche, die
man im Anatomischen Institut drei Jahre
auf Eis gelagert hatte, ehe man sie auskochle
und skelettierte.
Als nächster Gang wurde Wild auf-
getragen. „Bedienen Sie sich doch, liebe
Melanie/ ermunterte die Lausfrau, „der
Braten ist wirklich mürbe!" Melanie quollen
die Augen ein wenig aus dem Kopfe, während
sie ein winziges Stück Fleisch auf ihren Teller
nahm. Wir waren übrigens alle sehr be-
scheiden, ja es schien fast, als ob wir gerade
die dünnsten Bratenscheiben einander streitig
machen wollten. Dann begannen wir ge-
flissentlich vom letzten Philharmonischen
Konzert zu sprechen, wir regten uns auf und
überschrien einander. Aber wenn jemand
genau aufgepaßt hätte, müßte er das Wunder
bemerkt haben. Auf den Tellern wurde des
Bratens nicht weniger.
Bei der Süßspeise platzte beinahe die
Bombe. Der nette junge Mann fühlte sich
zu einem Bericht über die Nebenerschei-
nungen der Zuckerkrankheit verpflichtet, und
der dicke Kommerzienrat hauchte ihn an:
„Wissen Sie wirklich kein amüsanteres Ge-
sprächsthema?" Schweißtropfen perlten aus
seiner Stirn, als er sich sodann dem Laus-
herrn zuwandte: „Lieber Freund, ich bitte
um einen Kognak!" Der junge Mann schwieg
zuerst gekränkt, bald aber erhellte der Wieder-
schein eines freundlichen Gedankens sein Ge-
sicht. „Lerr Kommerzienrat," sagte er, „Sie
müssen sich unbedingt einmal meine Präpa-
rate anschauen. Ich habe zu Lause eine kleine
Mißgeburt mit Wasserkopf in Alkohol, die
ist wirklich eine Sehenswürdigkeit!" Der
Lausherr geleitete den Kommerzienrat hin-
aus und bettete ihn in einen Lehnstuhl.
Im Laufe des Abends erinnerte ich mich
an einen Bonbon, der in der Tasche meines
In der Bade-Lochsalson bringt
man seinen Wasser-Bedarf am
besten selbst mitl
Mantels stecken mußte und geeignet schien,
den wütenden Lunger zu stillen. Die Tür
zwischen Vorzimmer und Küche stand ein
wenig offen, so daß man die Stimme der
Lausfrau hören konnte. „Ihre Idee war
nicht schlecht, Marie, obwohl Ihr Vetter
ein starker Esser ist. Wenn ich aber so denke,
was die Leute früher einmal bei mir ver-
zehrten .I And für morgen haben
wir schon das Mittagessen und Nachtmahl."
Sinnend ging ich in den Salon zurück.
Am Klavier lehnte einsam der nette junge
Mann. „Lieber Lerr Doktor," sagte ich,
„nächste Woche sehe ich ein paar gute Freunde
bei mir zu einem ganz bescheidenen kleinen
Abendessen. Aber ich hoffe doch, daß Sie
mir auch das Vergnügen schenken werden!"
„Sehr gern, sehr gern!" dienerte der
junge Mann und zog sein Notizbuch aus
der Tasche. „Wann soll es denn sein, gnädige
Frau? Ich habe nämlich heute schon neun
Einladungen erhalten."
Wirkung des schlechten
Ferienwetters
auf den auf den
Kurbolel-Besttzer Schlnnfabrtkanten
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ferien"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4643, S. 63
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg