Zeichnung von M. Bauer
Pfannkuchen in der Platanenstraße
„Die Vase tausche ich wieder um — die Form ist scheußlich."
Aber der Vetter Adrian ist bereit, es zu beschwören. „Mein Wort
daraus: tatsächlich werden in der Platanenstraße Pfannkuchen nur
auf einer Seite gebacken."
Nun legt Frau Vähnke los: „Das sieht der Schöllern ähnlich!
Wie die es sich manchmal in der Küche bequem macht! Zum Beispiel
bei den Rouladen-“ And dann wird die Schwägerin Schüller
vieler Unterlassungssünden in ihrem Küchenbetrieb beschuldigt und
schließlich überhaupt als eine ganz unfähige Lausfrau hingestellt.
Lerr Bähnke sitzt verdrossen dabei, der Vetter Adrian aber hört
heiter zu und lacht manchmal ohne ersichtlichen Grund. Er geht dann
auch bald.-
Zwei Wochen später. Brigitte Bähnke ist inzwischen in der ganzen
Verwandtschaft herumgegangen und hat einen auf Pfannkuchen auf-
gebauten Klatsch herumgetragen. Aber natürlich hat die Schwägerin
Schüller davon erfahren, und als nun bei einer Veranstaltung im
Schützenhause die ganze Sippe beisammen ist, platzt die Bombe.
Die beiden Damen geraten aneinander. Erst werden spitze Redens-
arten gewechselt, dann kommt die offene Anklage: „Du hast herum-
erzählt, ich backe Pfannkuchen nur auf einer Seite! Das ist eine
Lüge! Eine ganz niederträchtige Lüge ist das!"
Die Schwägerin Lermine kann sich jetzt nicht allein verteidigen,
sie braucht einen Bundesgenossen. Sie zeigt auf den Vetter
Adrian: „Da — Adrian sagt das auch! Von dem Hab' ich es erst
erfahren!"
„Das glaube ich nicht! — Adrian — hast du das von mir
erzählt?"
Don Peter Robinson
Schöllers wohnen seit vielen Jahren in der Platanen-
straße. Sie wohnen recht angenehm dort, denn sie haben
freien Ausblick auf einen großen Park. Wohnungen in
einer Straße, die wie die Platanenstraße nur auf einer
Seite bebaut ist, haben mancherlei Vorzüge: es gibt
weniger Lärm, weil weniger Leute darin wohnen können,
man hat mehr frische Luft, man kann unbeobachtet am
offenen Fenster Turnübungen und Atemgymnastik machen,
man braucht nicht zu fürchten, daß einem jemand neugieriger
Weise — o, das kommt vor, das gibt es! — mit dem
Opernglas in die Zimmer hineinspäht.
Oskar und Lermine Schöller, ältere Leute, haben eine
Menge Verwandte in der Stadt, für die sie Bruder und
Schwester, Schwager und Schwägerin, Vetter und Base,
Onkel und Tante sind. Wenn jemand aus der Verwandt-
schaft Schöllers einen Besuch machen will, dann sagt er
gewöhnlich: „Ich gehe in die Platanenstraße". Oder wenn
einem was von Schöllers erzählt worden ist, dann berichtet
er nachher: „In der Platanenstraße habe ich gehört-"
Dann weiß jeder, daß die Verwandten Schöller gemeint
sind. Auch in andern Familienkreisen ist das üblich; man
überträgt gern den Namen einer Straße auf darin woh-
nende Leute — wenn es sich nicht gerade um einen Straßen-
namen handelt, der das doch bei einiger Feinfühligkeit ver-
bieten muß, etwa um einen bedeutenden Namen aus der
Weltgeschichte oder gar der Zeitgeschichte.
Bähnkes, gleichfalls ein älteres Ehepaar, gehören zu
der Verwandtschaft. Frau Bähnke ist eine geborene Schöller,
eine Base von Oskar Schöller, also für Lermine Schöller
so eine halbe Schwägerin. Die beiden Damen begegnen
einander nicht immer in Eintracht; sie haben schon manchen
Krach gehabt, dem öfter nicht gleich wieder Frieden, sondern
ein längerer Zustand des Meidens und Böseseins folgte.
Mit Krach ist es ja wie mit einem Gewitter: es kann bald
wieder blauen Limmel geben, es mag sich aber auch ganz
niederträchtig für Wochen einregnen. Nun, sowas muß es
in großen Familien geben. Auch in Völkern, die ja ganz
große Familien sind — — aber das gehört nicht hierher.
Nun ist einmal bei Bähnkes der Vetter Adrian Mittags-
gast. Der Vetter Adrian kommt viel in der Verwandtschaft herum;
man hat ihn gern, denn er ist ein spaßiger Vetter, die lustige Person
der Sippe. Als Nachspeise gibt es diesmal bei Bähnkes Pfannkuchen.
Lalt-Pfannkuchen! Was sind Pfannkuchen? Es wird nicht
überall im Vaterlande das Gleiche darunter verstanden. Damit es
kein Mißverständnis gibt: es handelt sich hier nicht um das bomben-
förmige Kaffeegebäck, das auch zum Punsch als Silvesterpfannkuchen
beliebt ist, sondern um jenes flache, auf der Pfanne gebackene Teig-
gebilde, das in manchen Gegenden Plinse genannt wird.
Die Pfannkuchen sind vorzüglich geraten, ganz dünn und prächtig
braun gebacken. Frau Brigitte Bähnke backt sie selbst und ist stolz da-
rauf. Sie hat eine besondere Kunstfertigkeit dabei: mit einem Schwung
der Pfanne schleudert sie den Pfannkuchen hoch, daß er sich in der Luft
dreht und im Fallen mit der andern, noch blassen Seite aus die Pfanne
niederklatscht. Vielleicht versucht das eine der Damen auch einmal!
Dem Vetter Adrian schmecken die Pfannkuchen ausgezeichnet;
drei Stück ißt er. Beim dritten fällt ihm was ein. Er grinst vor sich
hin. „Pfannkuchen Hab' ich neulich auch mal in der Platanenstraße
gekriegt. Weißt du das, Brigitte: in der Platanenstraße werden
Pfannkuchen nur auf einer Seite gebacken."
Frau Bähnke vernimmt das mit Triumph. „Das ist ja sehr
interessant! Das wußte ich noch nicht."
Lerr Bähnke bemerkt den Triumph, und es ist ihm unangenehm,
denn aus solchen Triumphen können Verdrießlichkeiten werden. Er
sucht abzulenken. „Ach, was verstehst du davon, Adrian! Erzähle
doch nicht solche Geschichten!"
135
Pfannkuchen in der Platanenstraße
„Die Vase tausche ich wieder um — die Form ist scheußlich."
Aber der Vetter Adrian ist bereit, es zu beschwören. „Mein Wort
daraus: tatsächlich werden in der Platanenstraße Pfannkuchen nur
auf einer Seite gebacken."
Nun legt Frau Vähnke los: „Das sieht der Schöllern ähnlich!
Wie die es sich manchmal in der Küche bequem macht! Zum Beispiel
bei den Rouladen-“ And dann wird die Schwägerin Schüller
vieler Unterlassungssünden in ihrem Küchenbetrieb beschuldigt und
schließlich überhaupt als eine ganz unfähige Lausfrau hingestellt.
Lerr Bähnke sitzt verdrossen dabei, der Vetter Adrian aber hört
heiter zu und lacht manchmal ohne ersichtlichen Grund. Er geht dann
auch bald.-
Zwei Wochen später. Brigitte Bähnke ist inzwischen in der ganzen
Verwandtschaft herumgegangen und hat einen auf Pfannkuchen auf-
gebauten Klatsch herumgetragen. Aber natürlich hat die Schwägerin
Schüller davon erfahren, und als nun bei einer Veranstaltung im
Schützenhause die ganze Sippe beisammen ist, platzt die Bombe.
Die beiden Damen geraten aneinander. Erst werden spitze Redens-
arten gewechselt, dann kommt die offene Anklage: „Du hast herum-
erzählt, ich backe Pfannkuchen nur auf einer Seite! Das ist eine
Lüge! Eine ganz niederträchtige Lüge ist das!"
Die Schwägerin Lermine kann sich jetzt nicht allein verteidigen,
sie braucht einen Bundesgenossen. Sie zeigt auf den Vetter
Adrian: „Da — Adrian sagt das auch! Von dem Hab' ich es erst
erfahren!"
„Das glaube ich nicht! — Adrian — hast du das von mir
erzählt?"
Don Peter Robinson
Schöllers wohnen seit vielen Jahren in der Platanen-
straße. Sie wohnen recht angenehm dort, denn sie haben
freien Ausblick auf einen großen Park. Wohnungen in
einer Straße, die wie die Platanenstraße nur auf einer
Seite bebaut ist, haben mancherlei Vorzüge: es gibt
weniger Lärm, weil weniger Leute darin wohnen können,
man hat mehr frische Luft, man kann unbeobachtet am
offenen Fenster Turnübungen und Atemgymnastik machen,
man braucht nicht zu fürchten, daß einem jemand neugieriger
Weise — o, das kommt vor, das gibt es! — mit dem
Opernglas in die Zimmer hineinspäht.
Oskar und Lermine Schöller, ältere Leute, haben eine
Menge Verwandte in der Stadt, für die sie Bruder und
Schwester, Schwager und Schwägerin, Vetter und Base,
Onkel und Tante sind. Wenn jemand aus der Verwandt-
schaft Schöllers einen Besuch machen will, dann sagt er
gewöhnlich: „Ich gehe in die Platanenstraße". Oder wenn
einem was von Schöllers erzählt worden ist, dann berichtet
er nachher: „In der Platanenstraße habe ich gehört-"
Dann weiß jeder, daß die Verwandten Schöller gemeint
sind. Auch in andern Familienkreisen ist das üblich; man
überträgt gern den Namen einer Straße auf darin woh-
nende Leute — wenn es sich nicht gerade um einen Straßen-
namen handelt, der das doch bei einiger Feinfühligkeit ver-
bieten muß, etwa um einen bedeutenden Namen aus der
Weltgeschichte oder gar der Zeitgeschichte.
Bähnkes, gleichfalls ein älteres Ehepaar, gehören zu
der Verwandtschaft. Frau Bähnke ist eine geborene Schöller,
eine Base von Oskar Schöller, also für Lermine Schöller
so eine halbe Schwägerin. Die beiden Damen begegnen
einander nicht immer in Eintracht; sie haben schon manchen
Krach gehabt, dem öfter nicht gleich wieder Frieden, sondern
ein längerer Zustand des Meidens und Böseseins folgte.
Mit Krach ist es ja wie mit einem Gewitter: es kann bald
wieder blauen Limmel geben, es mag sich aber auch ganz
niederträchtig für Wochen einregnen. Nun, sowas muß es
in großen Familien geben. Auch in Völkern, die ja ganz
große Familien sind — — aber das gehört nicht hierher.
Nun ist einmal bei Bähnkes der Vetter Adrian Mittags-
gast. Der Vetter Adrian kommt viel in der Verwandtschaft herum;
man hat ihn gern, denn er ist ein spaßiger Vetter, die lustige Person
der Sippe. Als Nachspeise gibt es diesmal bei Bähnkes Pfannkuchen.
Lalt-Pfannkuchen! Was sind Pfannkuchen? Es wird nicht
überall im Vaterlande das Gleiche darunter verstanden. Damit es
kein Mißverständnis gibt: es handelt sich hier nicht um das bomben-
förmige Kaffeegebäck, das auch zum Punsch als Silvesterpfannkuchen
beliebt ist, sondern um jenes flache, auf der Pfanne gebackene Teig-
gebilde, das in manchen Gegenden Plinse genannt wird.
Die Pfannkuchen sind vorzüglich geraten, ganz dünn und prächtig
braun gebacken. Frau Brigitte Bähnke backt sie selbst und ist stolz da-
rauf. Sie hat eine besondere Kunstfertigkeit dabei: mit einem Schwung
der Pfanne schleudert sie den Pfannkuchen hoch, daß er sich in der Luft
dreht und im Fallen mit der andern, noch blassen Seite aus die Pfanne
niederklatscht. Vielleicht versucht das eine der Damen auch einmal!
Dem Vetter Adrian schmecken die Pfannkuchen ausgezeichnet;
drei Stück ißt er. Beim dritten fällt ihm was ein. Er grinst vor sich
hin. „Pfannkuchen Hab' ich neulich auch mal in der Platanenstraße
gekriegt. Weißt du das, Brigitte: in der Platanenstraße werden
Pfannkuchen nur auf einer Seite gebacken."
Frau Bähnke vernimmt das mit Triumph. „Das ist ja sehr
interessant! Das wußte ich noch nicht."
Lerr Bähnke bemerkt den Triumph, und es ist ihm unangenehm,
denn aus solchen Triumphen können Verdrießlichkeiten werden. Er
sucht abzulenken. „Ach, was verstehst du davon, Adrian! Erzähle
doch nicht solche Geschichten!"
135
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"... Die Form ist scheußlich"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4752, S. 135
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg