Kleiner Vorfall
mit einem Hunde
Von Peter Robinson
Prätzel wohnt im zweiten
Stock eines feinen Laufes. Im
Treppenflur des Erdgeschosses
hält sich seit einer Viertelstunde
ein Lund auf. so eine Art Boxer,
wohl nicht ganz reinrassig, aber
darauf kommt es hier nicht an.
Er ist noch jung, vielleicht ein
halbes Jahr alt, hat noch wenig
Erfahrungen gesammelt und fühlt
sich sehr unglücklich. Wer weiß,
wie er in das Laus hineingeraten
ist, denn es ist ein verschlossenes
Laus. Jemand mag irgendwas
hineinzutragen gehabt haben und
hat dazu die Tür angehängt. Da
ist der Lund, der mit seinem Lerrn
oder seiner Lerrin gerade vor-
überkam, aus Neugier hineinge-
schlüpft; dann ist die Tür zuge-
schlagen, und der Lund war ge-
fangen. Der Lerr oder die Lerrin
hat nicht gewußt, wo der Lund
geblieben war, und sucht ihn nun
vielleicht überall in der Gegend.
Da wird die Laustür geöffnet,
durch Betätigung eines elek-
trischen Apparats vom zweiten
Stock aus, denn dort hat jemand
geläutet. Es ist Ratzmann, der
Prätzel zu besuchen kommt. Er
läßt die Tür gleich wieder zu-
fallen. Der Lund, der noch unbeholfen ist, hat die flüchtige Gelegen-
heit nicht wahrgenommen. Seinen jugendlichen Begriffen und seinem
Mangel an Erfahrungen zufolge sind Menschen dazu da, Lunden zu
„Mann, was machen Sie im Spielfeld?"
„Ick wollte bloß »' Autojramm vom Torwartl"
helfen, womit er eigentlich auch
recht hat. Also kommt er auf
Raymann zu.Ratzmann ist Goethe
in einem einzigen Punkte ähnlich
und zwar in jenem, der bei Goethe
zu beanstanden und auch ge-
hörig gerügt worden ist, nämlich
von Schopenhauer. Ratzmann
kann auch die Lunde nicht leiden.
„Kscht!" macht er. „Wirst Lu
wohl weggeh»!"
Der Lund erschrickt; das hat
er nicht erwartet. Aber sein Ver-
trauen ist noch nicht erschüttert.
O nein, der Mensch hat das nicht
so schlimm gemeint; er wird nett
sein und ihm aus allen Schwie-
rigkeiten Helsen. Demütig folgt
er Ratzmann die Treppe hinauf.
„Vielleicht gehört er in den
ersten Stock," meint Ratzmann.
Wenn der Lund dort an der Tür
stehen bleibt,dann wird er klingeln,
warten, bis geöffnet wird, und
sagen: „Da ist Ihr Köter!" So
häßlich gedenkt Ratzmann sich
auszudrücken.
Aber er kommt nicht dazu.
Der Lund bleibt dort nicht stehen;
er klettert mit Ratzmann in den
zweiten Stock hinaus, und dann
— das Mädchen hält schon die
Tür für den hinaufsteigenden Be-
sucher geöffnet — dann flitzt er
in die Diele der Präyelschen
Wohnung hinein. „Ach herrjeh,
Prätzel hat sich einen Köter angeschafft!" denkt Ratzmann nun. Man
muß zugeben, daß er Grund zu dieser Vermutung hat. Denn da
er nichts von Lunden versteht, hat er nicht gemerkt, daß der Lund
eigentlich etwas ratlos ist; er ist durch die
Prätzelsche Tür nur gelaufen, weil da endlich
eine offene Tür war, auf die er schon lange
gehofft hat.
Prätzel empfängt Ratzmann in seinem Ar-
beitszimmer, das kostbar eingerichtet ist; herr-
liche Teppiche liegen da. Er geht Ratzmann
halbwegs entgegen, und als ihm nun neben
dem zweibeinigen Besucher noch ein vier-
beiniger entgegenkommt, wundert er sich. „So
so — Ratzmann fyat sich einen Lund ange-
schafft," denkt er. „Aber warum muß er ihn
gerade jetzt mitbringen?"
Der Lund rast einmal im Zimmer herum —
wieder findet er keinen Ausgang. Dann geht
er unter den Schreibtisch, der ihm wohl in
dieser aufregenden Amgebung wie ein schützen-
des Asyl vorkommt.
„Aha, da wird er immer liegen!" denkt
Ratzmann. „Vielleicht hält Prätzel den Lund
aus Angst vor Einbrechern. Aber wenn das
mein Lund wäre, da dürfte er hier nicht
'rein. Nee, da müßte er in der Diele bleiben!
And an einer Kette!"
Prätzel ärgert sich jetzt etwas. „Wenn der
Mann seinen Lund mitbringt," meint er bei
sich, „dann soll er wenigstens dafür sorgen,
daß er ihm zur Seite bleibt und sich ruhig
verhält." Er versteht nicht, wie Ratzmann dazu
„Meine Lerrschaften, hier sehen Sie endlich mal einen
Mann, der eine Frau auf den Länden trägt!"
„Aber der Mann kann sich auch für Geld sehen laffen."
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mit einem Hunde
Von Peter Robinson
Prätzel wohnt im zweiten
Stock eines feinen Laufes. Im
Treppenflur des Erdgeschosses
hält sich seit einer Viertelstunde
ein Lund auf. so eine Art Boxer,
wohl nicht ganz reinrassig, aber
darauf kommt es hier nicht an.
Er ist noch jung, vielleicht ein
halbes Jahr alt, hat noch wenig
Erfahrungen gesammelt und fühlt
sich sehr unglücklich. Wer weiß,
wie er in das Laus hineingeraten
ist, denn es ist ein verschlossenes
Laus. Jemand mag irgendwas
hineinzutragen gehabt haben und
hat dazu die Tür angehängt. Da
ist der Lund, der mit seinem Lerrn
oder seiner Lerrin gerade vor-
überkam, aus Neugier hineinge-
schlüpft; dann ist die Tür zuge-
schlagen, und der Lund war ge-
fangen. Der Lerr oder die Lerrin
hat nicht gewußt, wo der Lund
geblieben war, und sucht ihn nun
vielleicht überall in der Gegend.
Da wird die Laustür geöffnet,
durch Betätigung eines elek-
trischen Apparats vom zweiten
Stock aus, denn dort hat jemand
geläutet. Es ist Ratzmann, der
Prätzel zu besuchen kommt. Er
läßt die Tür gleich wieder zu-
fallen. Der Lund, der noch unbeholfen ist, hat die flüchtige Gelegen-
heit nicht wahrgenommen. Seinen jugendlichen Begriffen und seinem
Mangel an Erfahrungen zufolge sind Menschen dazu da, Lunden zu
„Mann, was machen Sie im Spielfeld?"
„Ick wollte bloß »' Autojramm vom Torwartl"
helfen, womit er eigentlich auch
recht hat. Also kommt er auf
Raymann zu.Ratzmann ist Goethe
in einem einzigen Punkte ähnlich
und zwar in jenem, der bei Goethe
zu beanstanden und auch ge-
hörig gerügt worden ist, nämlich
von Schopenhauer. Ratzmann
kann auch die Lunde nicht leiden.
„Kscht!" macht er. „Wirst Lu
wohl weggeh»!"
Der Lund erschrickt; das hat
er nicht erwartet. Aber sein Ver-
trauen ist noch nicht erschüttert.
O nein, der Mensch hat das nicht
so schlimm gemeint; er wird nett
sein und ihm aus allen Schwie-
rigkeiten Helsen. Demütig folgt
er Ratzmann die Treppe hinauf.
„Vielleicht gehört er in den
ersten Stock," meint Ratzmann.
Wenn der Lund dort an der Tür
stehen bleibt,dann wird er klingeln,
warten, bis geöffnet wird, und
sagen: „Da ist Ihr Köter!" So
häßlich gedenkt Ratzmann sich
auszudrücken.
Aber er kommt nicht dazu.
Der Lund bleibt dort nicht stehen;
er klettert mit Ratzmann in den
zweiten Stock hinaus, und dann
— das Mädchen hält schon die
Tür für den hinaufsteigenden Be-
sucher geöffnet — dann flitzt er
in die Diele der Präyelschen
Wohnung hinein. „Ach herrjeh,
Prätzel hat sich einen Köter angeschafft!" denkt Ratzmann nun. Man
muß zugeben, daß er Grund zu dieser Vermutung hat. Denn da
er nichts von Lunden versteht, hat er nicht gemerkt, daß der Lund
eigentlich etwas ratlos ist; er ist durch die
Prätzelsche Tür nur gelaufen, weil da endlich
eine offene Tür war, auf die er schon lange
gehofft hat.
Prätzel empfängt Ratzmann in seinem Ar-
beitszimmer, das kostbar eingerichtet ist; herr-
liche Teppiche liegen da. Er geht Ratzmann
halbwegs entgegen, und als ihm nun neben
dem zweibeinigen Besucher noch ein vier-
beiniger entgegenkommt, wundert er sich. „So
so — Ratzmann fyat sich einen Lund ange-
schafft," denkt er. „Aber warum muß er ihn
gerade jetzt mitbringen?"
Der Lund rast einmal im Zimmer herum —
wieder findet er keinen Ausgang. Dann geht
er unter den Schreibtisch, der ihm wohl in
dieser aufregenden Amgebung wie ein schützen-
des Asyl vorkommt.
„Aha, da wird er immer liegen!" denkt
Ratzmann. „Vielleicht hält Prätzel den Lund
aus Angst vor Einbrechern. Aber wenn das
mein Lund wäre, da dürfte er hier nicht
'rein. Nee, da müßte er in der Diele bleiben!
And an einer Kette!"
Prätzel ärgert sich jetzt etwas. „Wenn der
Mann seinen Lund mitbringt," meint er bei
sich, „dann soll er wenigstens dafür sorgen,
daß er ihm zur Seite bleibt und sich ruhig
verhält." Er versteht nicht, wie Ratzmann dazu
„Meine Lerrschaften, hier sehen Sie endlich mal einen
Mann, der eine Frau auf den Länden trägt!"
„Aber der Mann kann sich auch für Geld sehen laffen."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Meine Herrschaften, hier sehen sie endlich mal einen Mann der eine Frau auf den Händen trägt" "Mann, was machen Sie im Spielfeld"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Schröder
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1936
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4762, S. 292
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg