Der Herr im Hause
Es gibt so Tage, an denen uns wie ein Geschenk des
Limmels irgend etwas überraschend in den Schoß fällt: eine
Mietsteigerung, der Besuch einer Tante, ein Schulterrheuma-
tismus. Ich nenne nur das, was am häufigsten vorkommt.
Natürlich gibt es auch amerikanische Erbschaften, Lotteriege-
winne, Gehaltszulagen — aber die Sonntagskinder unter uns
sind dünn gesät.
Schleifenbaum betrachtete es schon als ein Eingreifen
göttlicher Mächte, als er eines Morgens an einer Anschlag-
säule die Ankündigung eines Psychologen las: Beseitigung
von Lemmungen — Charakterbildung und Encrgiestärkung —
Schule des Lebcnsersolgs — Beseitigung von Eheschwierig-
keiten — Institut Nirwana — Erwin Semmelbier, Psychologe.
Was für Schleisenbaum in Betracht kam, das war die
Stärkung der Energie und die Beseitigung von Eheschwierig-
keiten, denn es kann hier nicht verheimlicht werden, daß Agathe
Schleisenbaum, geb. Lerzig, sich im Laufe der Jahre ein Acber
gewicht gesichert hatte, das unerträglich schien. Lille zusammen-
geraffte Seelcnkraft prallte an ihr ab wie an einem Granit-
block. Jeder Versuch, durch Ballung der Energie und kühne
Vorstöße eine Bresche in die Front zu schlagen und die Sieg-
friedstellung der Gattin aufzurollen, führte nur zu Szenen,
an deren Ende Schleifenbaum gewöhnlich nach Lut und Stock
griff und die Korridortüre sachte hinter sich zuklappte.
Schleisenbaum war sich seit langem klar, daß das so nicht
weitergehen könne. In stummen Selbstgesprächen gestand er
sich ein, daß er einer von den vielen geworden sei, auf den
das häßliche Wort Pantoffelheld zutrifft. Mit einem Ruck
änderte er seinen Kurs und ging die Straße links hinaus.
Lerr Semmelbier entwickelte ihm einen Plan. Man müsse
Zusammentreffen »Tag, Onkel L'aver! Kennst mi net mehrt"
„Was — du willst mei Neffe *em?"
„I will net-i muß I"
überhaupt nach Plänen leben, erklärte Lerr Semmelbier; nur
wenn man sich klar sei über Weg und Ziel, könne man Erfolg
erwarten. Schleifenbaum faßte Zutrauen zu diesen Dingen,
weil er instinktiv fühlte, daß in diesem Punkt bei ihm der
Lase im Pfeffer lag. Der Plan des Psychologen war folgender:
Zunächst sollte die Gattin durch Nachgiebigkeit wachsweich und
knetbar gemacht werden, die erhärteten seelischen Massen sollten
sozusagen verflüssigt werden, um überhaupt einer Neuformung
zugänglich zu sein. Lierzu war die Aufgabe jeder Kampfstellung
nötig. Lediglich durch Güte und sanfte Beredsamkeit sollte dies
erste Ziel erreicht werden. Als nächstes war dann die Beein-
flussung durch suggestive Blicke und weich, aber bestimmt vorge-
tragene Meinungen vorgesehen. Es war nur die Aeberleitung
zur dritten Etappe, die ganz plötzlich mit massiver Energie ein-
zusetzen hatte. Kugelte dann die Gattin wie ein im kalten Waffer
abgeschrecktes heißes Ei in den Güssen dieser Energie noch herum,
so sollte die erreichte Lerrschaftsstellung durch überraschende
Bekundungen des wiedergewonnenen Lerrentums schlagartig
gefestigt werden. Semmelbier riet hierzu z. B. eine unangekün-
digte plötzliche Abreise an. Zum Schluß wollte er in ein oder
mehreren hypnotischen Sitzungen das Erreichte seelisch verankern
und einzementieren. Zwischendurch sollte ihm über den Stand
der Dinge berichtet und sein Rat über das weitere Vorgehen
eingeholt werden.
Schleisenbaum schüttelte ihm bewegt die Land. Er schlief
unruhig diese Nacht, denn der Psychologe hatte es ihm zur
(Fortsetzung auf Seile 311)
(Text zu nebenstehendem Bild!
„Ich lege den Schlüssel nicht mehr hinter die Regentonne
am Laus, Emil; da ist er mir zu unsicher. Ich werde ihn jetzt
immer hier oben hineinlegen. Wenn du mal früher da bist, mußt
du eben auf mich warten."
„Aber liebe Bertha-da komme ich ja mit dem Laus-
schlüffel vom Regen in die Traufe."
309
Es gibt so Tage, an denen uns wie ein Geschenk des
Limmels irgend etwas überraschend in den Schoß fällt: eine
Mietsteigerung, der Besuch einer Tante, ein Schulterrheuma-
tismus. Ich nenne nur das, was am häufigsten vorkommt.
Natürlich gibt es auch amerikanische Erbschaften, Lotteriege-
winne, Gehaltszulagen — aber die Sonntagskinder unter uns
sind dünn gesät.
Schleifenbaum betrachtete es schon als ein Eingreifen
göttlicher Mächte, als er eines Morgens an einer Anschlag-
säule die Ankündigung eines Psychologen las: Beseitigung
von Lemmungen — Charakterbildung und Encrgiestärkung —
Schule des Lebcnsersolgs — Beseitigung von Eheschwierig-
keiten — Institut Nirwana — Erwin Semmelbier, Psychologe.
Was für Schleisenbaum in Betracht kam, das war die
Stärkung der Energie und die Beseitigung von Eheschwierig-
keiten, denn es kann hier nicht verheimlicht werden, daß Agathe
Schleisenbaum, geb. Lerzig, sich im Laufe der Jahre ein Acber
gewicht gesichert hatte, das unerträglich schien. Lille zusammen-
geraffte Seelcnkraft prallte an ihr ab wie an einem Granit-
block. Jeder Versuch, durch Ballung der Energie und kühne
Vorstöße eine Bresche in die Front zu schlagen und die Sieg-
friedstellung der Gattin aufzurollen, führte nur zu Szenen,
an deren Ende Schleifenbaum gewöhnlich nach Lut und Stock
griff und die Korridortüre sachte hinter sich zuklappte.
Schleisenbaum war sich seit langem klar, daß das so nicht
weitergehen könne. In stummen Selbstgesprächen gestand er
sich ein, daß er einer von den vielen geworden sei, auf den
das häßliche Wort Pantoffelheld zutrifft. Mit einem Ruck
änderte er seinen Kurs und ging die Straße links hinaus.
Lerr Semmelbier entwickelte ihm einen Plan. Man müsse
Zusammentreffen »Tag, Onkel L'aver! Kennst mi net mehrt"
„Was — du willst mei Neffe *em?"
„I will net-i muß I"
überhaupt nach Plänen leben, erklärte Lerr Semmelbier; nur
wenn man sich klar sei über Weg und Ziel, könne man Erfolg
erwarten. Schleifenbaum faßte Zutrauen zu diesen Dingen,
weil er instinktiv fühlte, daß in diesem Punkt bei ihm der
Lase im Pfeffer lag. Der Plan des Psychologen war folgender:
Zunächst sollte die Gattin durch Nachgiebigkeit wachsweich und
knetbar gemacht werden, die erhärteten seelischen Massen sollten
sozusagen verflüssigt werden, um überhaupt einer Neuformung
zugänglich zu sein. Lierzu war die Aufgabe jeder Kampfstellung
nötig. Lediglich durch Güte und sanfte Beredsamkeit sollte dies
erste Ziel erreicht werden. Als nächstes war dann die Beein-
flussung durch suggestive Blicke und weich, aber bestimmt vorge-
tragene Meinungen vorgesehen. Es war nur die Aeberleitung
zur dritten Etappe, die ganz plötzlich mit massiver Energie ein-
zusetzen hatte. Kugelte dann die Gattin wie ein im kalten Waffer
abgeschrecktes heißes Ei in den Güssen dieser Energie noch herum,
so sollte die erreichte Lerrschaftsstellung durch überraschende
Bekundungen des wiedergewonnenen Lerrentums schlagartig
gefestigt werden. Semmelbier riet hierzu z. B. eine unangekün-
digte plötzliche Abreise an. Zum Schluß wollte er in ein oder
mehreren hypnotischen Sitzungen das Erreichte seelisch verankern
und einzementieren. Zwischendurch sollte ihm über den Stand
der Dinge berichtet und sein Rat über das weitere Vorgehen
eingeholt werden.
Schleisenbaum schüttelte ihm bewegt die Land. Er schlief
unruhig diese Nacht, denn der Psychologe hatte es ihm zur
(Fortsetzung auf Seile 311)
(Text zu nebenstehendem Bild!
„Ich lege den Schlüssel nicht mehr hinter die Regentonne
am Laus, Emil; da ist er mir zu unsicher. Ich werde ihn jetzt
immer hier oben hineinlegen. Wenn du mal früher da bist, mußt
du eben auf mich warten."
„Aber liebe Bertha-da komme ich ja mit dem Laus-
schlüffel vom Regen in die Traufe."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Zusammentreffen" "Ich lege den Schlüssel nicht mehr hinter die Regentonne am Haus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4763, S. 309
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg