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Fliegende Blätter — 185.1936 (Nr. 4744-4770) = 92. Jahrg.

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Nr. 4765
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https://doi.org/10.11588/diglit.6350#0343
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Zeichnung von M. Bauer

Klingling! Psfst!

An der Laltestelle der Elektrischen sieht eine Dame. Die Elek-
trische hält, und die Dame steigt ein.

Klingling! Fertig! Die Knorrlustdruckbremse zischt, und der
Wagen setzt sich wieder in Bewegung. Der Schaffner geht nach
vorne, er hat wohl mit dem Führer etwas zu besprechen. Da reißt
die Dame an dem Klingelzug, der von der Hinteren Plattform durch
den ganzen Wagen bis zum Führer geht. Der Wagen steht mit
einem Ruck. Einige stehende Fahrgäste kippen hilflos nach vorn.
Der Schaffner eilt nach hinten.

„Wer hat hier geläutet?"

»Ich," gesteht die Dame mit sanftem Augenaufschlag.

„Sie hat nach einem Griff zum Anhalten gesucht," legt sich ein
Mann ins Mittel,, „aber hier gibt es ja keine, und da hat sie den
Lederriemen gefaßt."

„Nein," sagt die Dame, „ich habe geklingelt, weil noch jemand
mit will."

Alle sehen sich um. Die Seitenstraße heraus kommt ein Lerr
geprescht. Atemlos klettert er auf die Plattform.

„Fertig!" brüllt der Schaffner, und zu der Dame sagt er: „Das
ist verboten. Das dürfen Sie nicht — das ist grober Anfug."

„So," mischt sich ein Lerr ein, „grober Anfug ist das? Ich will
Ihnen mal was sagen: es ist grober Anfug, wenn die Straßenbahn
den Fahrgästen immer vor der Nase wegfährt! Rur hier bei uns
gibts diese Rücksichtslosigkeit. Zn andern Städten sehen sich die
Schaffner erst um, ehe sie abläuten."

„Mit Ihnen rede ich nicht," sagt der Schaffner, „ich rede mit
der Dame. Ich habe meine Vorschriften, und den Fahrplan müssen
wir auch auf die Sekunde einhalten. Wenn Sie Beschwerden haben,
dann wenden Sie sich an die Direktion."

„Die Direktion kann mich gern haben," sagt der Lerr. „Wenn
etwas zu erziehen ist, so sind es die Schaffner, und an die wende
ich mich direkt. Wenn man sich schriftlich beschwert, kriegt man nach
drei Monaten eine Antwort, und da steht dann drin, daß eine Nach-
prüfung keine Mängel ergeben habe."

Zustimmendes Gemurmel begleitet diese Ausführungen. Der
Schaffner zieht es vor, nicht mehr zu antworten.

„Wohin?" fragt er die Dame.

„Rosenstraße."

Der Schaffner zieht den Fahrscheinblock.

„Einen Augenblick," sagt die Dame, „ich habe Fahrscheinheft".

Sie sucht in ihrer Landtasche, aber sie findet das Fahrscheinheft
nicht. Dann durchtastet sie die Taschen und Täschchen ihres Kostüm-
rockes. Sie bekommt ganz große Augen. Darauf öffnet sie den Rock
und kramt in zwei kleinen entzückenden Täschchen, die kokett auf die
Bluse gehaucht sind. Auch im oberen Teil des Rockes vorn ist noch
ein solch kleines Gelaß.

„Dann müssen Sie eben Fahrschein lösen!" sagt der Schaffner
barsch.

„Aber ich habe doch mein Lest, ich weiß es ganz genau!" be-
ginnt sie die Razzia von vorne.

Schon recken einige Leute im Wageninneren die Lälse: die Platt-
formgäste sehen lächelnd und gespannt dem niedlichen Schauspiel zu.

Jetzt schon nervös wühlt die Dame den Inhalt ihrer Land-
tasche durcheinander. Die reizendsten Sachen zeigen sich dabei:
Spiegel, Briefe, eine Puderquaste, ein Lippenstift, noch einer, ein
kleines Püppchen aus bunter Wolle — dann greift sie mit fliegender
Eile wieder in alle Taschen und Täschchen. Der Schaffner geht mit
finsterem Gesicht nach vorn, um die vordere Plattform zu bedienen.
Das dauert mehrere Laltestellen lang. Dann fertigt er die Fahr-
gäste im Inneren ab. Draußen steht die Dame mit ängstlichem Ge-
sicht und pudert sich ratlos und verzweifelt.

Da steht der Lerr auf, der vorhin um die Ecke hetzte. Er ist
inzwischen von einer dicken Frau über alles informiert worden.
Linker dem Schaffner betritt er die Hintere Plattform.

„Wohin, Fräulein?" fragt der Schaffner gespannt, und man
hört dem Klang an, daß er nunmehr rücksichtslos ein Billett ver-
kaufen wird, wenn das Fahrscheinheft nicht erschienen ist.

„Ich muß es ja finden!" fleht die Dame und macht müde ihre
Landtasche wieder auf.

„Darauf kann ich mich nicht einlassen," bemerkt der Schaffner.
„Entweder lösen Sie jetzt einen Fahrschein oder-"

„Warten Sie mal," sagt der Lerr, „ich werde für die Dame
den Fahrschein lösen. Wenn Sie gestalten, meine Gnädige-?"

„Zu liebenswürdig," haucht die Dame mit feuchten Augen.
„Aber warum wollen Sie . . .?"

„Ich muß zu einer wichtigen Besprechung und hätte ohne Ihre
Liebenswürdigkeit zehn Minuten an der Laltestelle warten müssen.
Da darf ich doch . .?"

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Einbrecher: 'Hierher ist Ihr Knöpfchen getrudelt'"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bauer, Max
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4765, S. 343

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