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Der Mann, der die ganze Gans aß Von <?*»* «un.-r
In einer kleinen Stadt bekannt wie ein bunter Lund zu sein,
ist für den Betroffenen meist wenig angenehm. Der Referendar
Gustav Behner genoß den fragwürdigen Ruhm, im Mittelpunkt
einer Geschichte zu stehen, die von Mund zu Mund mit Schmunzeln
und Spott weitererzählt wurde. Er gab keine heldische Figur in
dieser Geschichte ab, eher eine lächerliche; aber er trug das tragische
Schicksal der Lächerlichkeit mit erstaunlicher Gemütsruhe.
Ließ er sich in den Straßen des Städtchens sehen, so konnte
es Vorkommen, daß sich an langen Läuserfronten die Fenster
öffneten. Gesichter grinsten herunter, Fußgänger auf der Straße
blieben stehen; Männer und Frauen schauten sich nach dem jungen
Mann um; die Leute standen in Gruppen beieinander, deuteten auf
ihn und tuschelten: „Das ist der Mann, der die ganze Gans aß."
Jawohl, eine ausgewachsene, runde, fette, wohlgemästete Sieben-
kilogans hatte er ganz allein gegeffen, Rumpf und Stumpf in knapp
zwei Stunden, dieser Mensch, der gar nicht wie ein gewaltiger
Freffer aussah: er war schlank, nur mittelgroß und fast hager. „In
den Mageren kann man sich täuschen," sagte der Amtsrichter am
Stammtisch im,Löwen", „die sind manchmal gefräßiger als die Feisten."
Der dankbare Gesprächsstoff
lieferte immer neue Witze und
billige Scherze. Auch im Amt
war der Bedauernswerte den
ständigen Neckereien ausge-
setzt.
Fräulein Lorn, die erst seit
zwei Monaten als Maschinen-
schreiben» angestellt war, fand
das abscheulich. Lerr Betzner
war ein so freundlicher, sym-
pathischer Mann von guten
Manieren! Man konnte es
kaum glauben, daß er sich auf
eine so dumme Art einmal
unmöglich gemacht hatte. Sie
fühlte sich zu dem kunstsinnigen
und geistig regsamen Mann
sehr hingezogen, besuchte mit
ihm zusammen häufig Theater
und Konzerte. So wurde das
Freundschaftsverhältnis zwi-
schen Erna Lorn und Gustav
Betzner immer enger.
Da stellte sie eines Tages
die unvermeidliche Frage an
ihn, was es mit dem dummen
Stadtgespräch vom Gansessen
auf sich habe.
Z4
Gustav seufzte. „Run werden auch Sie sich von mir abwenden.
Fräulein Erna," sagte er betrübt, „wie die anderen vor Ihnen.
Meine leidenschaftliche Vorliebe für Gänsebraten ist das Verhängnis
meines Lebens. Kann man's den Frauen verdenken, wenn sie nichts
mit einem so rohen und gefräßigen Kerl, wie ich es bin, zu tun
haben wollen?"
„Reden Sie keinen Ansinn!" erwiderte sie stirnrunzelnd, „sondern
erklären Sie mir lieber, wieso die Leute von Ihrem Laster erfuhren
und solch eine Clownerie daraus machten!"
Gustav blickte sie kummervoll an. „Das ist ein Geheimnis," be-
hauptete er ernst, „das ich nur meiner Ehefrau anvertrauen könnte.
Wenn Sie es durchaus erfahren wollen . . ."
„ . . . müßte ich also erst Ihre Ehefrau werden?" ergänzte sie
lachend.
„Ja. Das heißt. Sie müßten sich trotz meines schlechten Rufes
entschließen können, meine Gattin zu werden."
„Lören Sie," sagte Erna in strahlender Laune, „wenn kein an-
derer Linderungsgrund als Ihr schlechter Ruf entgegensteht, so
heirate ich unbesehen auch einen Vielfraß, selbst wenn er wie Lohen-
grin die Bedingung daran knüpfen sollte, daß seine Frau eine ge-
wiffe Frage nicht stellen dürfe." — „Eingeschlagen?" fragte der
junge Mann mit glückver-
klärtem Gesicht und hielt ihr
die Rechte hin. Sie schlug
herzhaft ein. Es war ein
Verlöbnis.
Daraufhin entschloß sich
Gustav Betzner, vorzeitig sein
Geheimnis preiszugeben. „Die
Sache war so," erzählte er,
„eine Tante von mir wohnt
hier im Ort. Eine richtig-
gehende Erbtante, der man
wohl etwas zuliebe tut. Aber
was diese Tante von mir er-
wartete, war etwas zuviel für
mein junges Gemüt. Sie
fühlte sich für mein Lebens-
glllck verantwortlich und hatte
mir ein junges Mädchen aus
guter Familie zur Lebensge-
fährtin erkoren. Martha war
fein erzogen, gebildet und vol-
ler Ideale. Ich aber liebte
Maria und glaubte damit
das bessere Teil erwählt zu
haben."
„Was hat das mit der Gans
zu tun?" fragte Erna da-
zwischen. (Forrseeung SeUe ZS»
„Lerr Meyer, wenn Sie lieber Kreuzworträtsel lösen,
dann übernehme ich den Rebus."
Der Mann, der die ganze Gans aß Von <?*»* «un.-r
In einer kleinen Stadt bekannt wie ein bunter Lund zu sein,
ist für den Betroffenen meist wenig angenehm. Der Referendar
Gustav Behner genoß den fragwürdigen Ruhm, im Mittelpunkt
einer Geschichte zu stehen, die von Mund zu Mund mit Schmunzeln
und Spott weitererzählt wurde. Er gab keine heldische Figur in
dieser Geschichte ab, eher eine lächerliche; aber er trug das tragische
Schicksal der Lächerlichkeit mit erstaunlicher Gemütsruhe.
Ließ er sich in den Straßen des Städtchens sehen, so konnte
es Vorkommen, daß sich an langen Läuserfronten die Fenster
öffneten. Gesichter grinsten herunter, Fußgänger auf der Straße
blieben stehen; Männer und Frauen schauten sich nach dem jungen
Mann um; die Leute standen in Gruppen beieinander, deuteten auf
ihn und tuschelten: „Das ist der Mann, der die ganze Gans aß."
Jawohl, eine ausgewachsene, runde, fette, wohlgemästete Sieben-
kilogans hatte er ganz allein gegeffen, Rumpf und Stumpf in knapp
zwei Stunden, dieser Mensch, der gar nicht wie ein gewaltiger
Freffer aussah: er war schlank, nur mittelgroß und fast hager. „In
den Mageren kann man sich täuschen," sagte der Amtsrichter am
Stammtisch im,Löwen", „die sind manchmal gefräßiger als die Feisten."
Der dankbare Gesprächsstoff
lieferte immer neue Witze und
billige Scherze. Auch im Amt
war der Bedauernswerte den
ständigen Neckereien ausge-
setzt.
Fräulein Lorn, die erst seit
zwei Monaten als Maschinen-
schreiben» angestellt war, fand
das abscheulich. Lerr Betzner
war ein so freundlicher, sym-
pathischer Mann von guten
Manieren! Man konnte es
kaum glauben, daß er sich auf
eine so dumme Art einmal
unmöglich gemacht hatte. Sie
fühlte sich zu dem kunstsinnigen
und geistig regsamen Mann
sehr hingezogen, besuchte mit
ihm zusammen häufig Theater
und Konzerte. So wurde das
Freundschaftsverhältnis zwi-
schen Erna Lorn und Gustav
Betzner immer enger.
Da stellte sie eines Tages
die unvermeidliche Frage an
ihn, was es mit dem dummen
Stadtgespräch vom Gansessen
auf sich habe.
Z4
Gustav seufzte. „Run werden auch Sie sich von mir abwenden.
Fräulein Erna," sagte er betrübt, „wie die anderen vor Ihnen.
Meine leidenschaftliche Vorliebe für Gänsebraten ist das Verhängnis
meines Lebens. Kann man's den Frauen verdenken, wenn sie nichts
mit einem so rohen und gefräßigen Kerl, wie ich es bin, zu tun
haben wollen?"
„Reden Sie keinen Ansinn!" erwiderte sie stirnrunzelnd, „sondern
erklären Sie mir lieber, wieso die Leute von Ihrem Laster erfuhren
und solch eine Clownerie daraus machten!"
Gustav blickte sie kummervoll an. „Das ist ein Geheimnis," be-
hauptete er ernst, „das ich nur meiner Ehefrau anvertrauen könnte.
Wenn Sie es durchaus erfahren wollen . . ."
„ . . . müßte ich also erst Ihre Ehefrau werden?" ergänzte sie
lachend.
„Ja. Das heißt. Sie müßten sich trotz meines schlechten Rufes
entschließen können, meine Gattin zu werden."
„Lören Sie," sagte Erna in strahlender Laune, „wenn kein an-
derer Linderungsgrund als Ihr schlechter Ruf entgegensteht, so
heirate ich unbesehen auch einen Vielfraß, selbst wenn er wie Lohen-
grin die Bedingung daran knüpfen sollte, daß seine Frau eine ge-
wiffe Frage nicht stellen dürfe." — „Eingeschlagen?" fragte der
junge Mann mit glückver-
klärtem Gesicht und hielt ihr
die Rechte hin. Sie schlug
herzhaft ein. Es war ein
Verlöbnis.
Daraufhin entschloß sich
Gustav Betzner, vorzeitig sein
Geheimnis preiszugeben. „Die
Sache war so," erzählte er,
„eine Tante von mir wohnt
hier im Ort. Eine richtig-
gehende Erbtante, der man
wohl etwas zuliebe tut. Aber
was diese Tante von mir er-
wartete, war etwas zuviel für
mein junges Gemüt. Sie
fühlte sich für mein Lebens-
glllck verantwortlich und hatte
mir ein junges Mädchen aus
guter Familie zur Lebensge-
fährtin erkoren. Martha war
fein erzogen, gebildet und vol-
ler Ideale. Ich aber liebte
Maria und glaubte damit
das bessere Teil erwählt zu
haben."
„Was hat das mit der Gans
zu tun?" fragte Erna da-
zwischen. (Forrseeung SeUe ZS»
„Lerr Meyer, wenn Sie lieber Kreuzworträtsel lösen,
dann übernehme ich den Rebus."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herr Meyer, wenn Sie lieber Kreuzworträtsel lösen..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4903, S. 34
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg