o
Der Verlust
Von Ralph Urban
Lerr Christ schlenderte langsam durch den Park. Er verfügte
über viel freie Zeit, mit der er nichts Rechtes anzufangen wußte,
denn er hatte den Anschluß versäumt und war Junggeselle geblieben.
Obwohl er so ohne Sorgen dahinlebte, plagten ihn meist Mißver-
gnügen und schlechte Laune.
Von der Frage heftig bewegt, ob er am Abend kalt oder
warm essen sollte, strebte er gedankenverloren einer Bank im spär-
lichen Sonnenschein zu, auf der er Platz nahm. Dann lehnte er sich
zurück, nahm den Lut vom Kopf, faltete die Lände über dem Bauch
und betrachtete mißtrauisch die zwei kleinen Zungen, die in einiger
Entfernung von der Bank
standen und ihn anstarrten. Er
mochte Kinder nicht leiden,
weil sie meist durch Lärm oder
Anfug auf seine empfindsamen
Nerven störend zu wirken
pflegten.
Der eine Junge grinste von
einem Ohr bis zum andern,
der zweite blickte trotzig und
schluckte. Da heulte er auch
schon los: „Luuu—"
Lerr Christ zuckte zusammen
und hielt sich die Lände vor
die Ohren. Das Bürschlein
schrie aus Leibeskräften,Augen
und Nase wurden sehr feucht.
Der andre junge Mann stieß
den Kameraden beruhigend in
die Rippen.
„Na/ rief Lerr Christ
säuerlich, „Was ist denn
los?"
„Er hat zehn Pfennige ver-
loren!" antwortete der nicht
heulende Junge.
Lerr Christ kämpfte einen
kurzen aber schweren Kampf
mit sich, dann beschloß er ein
gutes Werk zu tun, obwohl er
fand, daß man den Leichtsinn
der verlotterten Jugend nicht
unterstützen sollte.
„Kommt her," rief er und
griff nach der Geldbörse, „ich
will dir die zehn Pfennige
130
geben, aber dann verschwindet ihr blitzschnell aus meinem Gesichts-
kreis oder Lorizont."
Die Kinder näherten sich der Bank, die Tränen des einen machten
einer zuversichtlicheren Weltanschauung Platz. Der Kleine streckte
schon recht munter die Land aus, nahm den Groschen in Empfang
und bedankte sich.
„Schon gut," meinte Lerr Christ gönnerhaft, „und in Zukunft
sei vorsichtiger."
„Ja!" sagte der Junge feierlich. — „Du hast wohl ein Loch in der
Losentasche?" erkundigte sich Lerr Christ etwas freundlicher. —„Nee!"
„Nicht? Ja, wie hast du
denn das Geld verloren?"
„Er hat mit mir gewettet,
bitte," sagte der andre Junge,
„und er hat die Wette ver-
loren, bitte. And da habe ich
ihm den Groschen wegge-
nommen."
„Ah?" meinte Lerr Christ
gedehnt. „Solch feine Lerren
seid ihr? And was habt ihr
denn gewettet?"
„Ich habe mit ihm gewet-
tet, bitte," sprach der Gewin-
ner, „daß sich einer auf die
frischgestrichene Bank setzen
wird. And er hat gewettet,
daß sich keiner darauf setzen
wird. Er hat gesagt, so Dumme
gibt es gar nicht. And ich
habe gesagt, so Dumme gibt
es immer. And er bat ge-
sagt
Der heisere Schrei des
Lerrn Christ erstarb auf seinen
Lippen, als er noch ungläubig
auf die Bank griff und mit
der Land dort kleben blieb.
Worauf sich die beiden Jungen
einen Vorsprung sicherten,
indem sie sich entfernten, daß
nur so der Sand spritzte.
Mit Windeseile verschwan-
den sie aus dem Gesichtskreis
oder Lorizont des Lerrn
Christ.
Herr Meckermann tadelt
„Wegen des starken Verkehrs werden die meisten Züge heute
Verspätung haben."
„Das sollte aber doch auf dem Fahrplan angezeigt werden!"
Der Verlust
Von Ralph Urban
Lerr Christ schlenderte langsam durch den Park. Er verfügte
über viel freie Zeit, mit der er nichts Rechtes anzufangen wußte,
denn er hatte den Anschluß versäumt und war Junggeselle geblieben.
Obwohl er so ohne Sorgen dahinlebte, plagten ihn meist Mißver-
gnügen und schlechte Laune.
Von der Frage heftig bewegt, ob er am Abend kalt oder
warm essen sollte, strebte er gedankenverloren einer Bank im spär-
lichen Sonnenschein zu, auf der er Platz nahm. Dann lehnte er sich
zurück, nahm den Lut vom Kopf, faltete die Lände über dem Bauch
und betrachtete mißtrauisch die zwei kleinen Zungen, die in einiger
Entfernung von der Bank
standen und ihn anstarrten. Er
mochte Kinder nicht leiden,
weil sie meist durch Lärm oder
Anfug auf seine empfindsamen
Nerven störend zu wirken
pflegten.
Der eine Junge grinste von
einem Ohr bis zum andern,
der zweite blickte trotzig und
schluckte. Da heulte er auch
schon los: „Luuu—"
Lerr Christ zuckte zusammen
und hielt sich die Lände vor
die Ohren. Das Bürschlein
schrie aus Leibeskräften,Augen
und Nase wurden sehr feucht.
Der andre junge Mann stieß
den Kameraden beruhigend in
die Rippen.
„Na/ rief Lerr Christ
säuerlich, „Was ist denn
los?"
„Er hat zehn Pfennige ver-
loren!" antwortete der nicht
heulende Junge.
Lerr Christ kämpfte einen
kurzen aber schweren Kampf
mit sich, dann beschloß er ein
gutes Werk zu tun, obwohl er
fand, daß man den Leichtsinn
der verlotterten Jugend nicht
unterstützen sollte.
„Kommt her," rief er und
griff nach der Geldbörse, „ich
will dir die zehn Pfennige
130
geben, aber dann verschwindet ihr blitzschnell aus meinem Gesichts-
kreis oder Lorizont."
Die Kinder näherten sich der Bank, die Tränen des einen machten
einer zuversichtlicheren Weltanschauung Platz. Der Kleine streckte
schon recht munter die Land aus, nahm den Groschen in Empfang
und bedankte sich.
„Schon gut," meinte Lerr Christ gönnerhaft, „und in Zukunft
sei vorsichtiger."
„Ja!" sagte der Junge feierlich. — „Du hast wohl ein Loch in der
Losentasche?" erkundigte sich Lerr Christ etwas freundlicher. —„Nee!"
„Nicht? Ja, wie hast du
denn das Geld verloren?"
„Er hat mit mir gewettet,
bitte," sagte der andre Junge,
„und er hat die Wette ver-
loren, bitte. And da habe ich
ihm den Groschen wegge-
nommen."
„Ah?" meinte Lerr Christ
gedehnt. „Solch feine Lerren
seid ihr? And was habt ihr
denn gewettet?"
„Ich habe mit ihm gewet-
tet, bitte," sprach der Gewin-
ner, „daß sich einer auf die
frischgestrichene Bank setzen
wird. And er hat gewettet,
daß sich keiner darauf setzen
wird. Er hat gesagt, so Dumme
gibt es gar nicht. And ich
habe gesagt, so Dumme gibt
es immer. And er bat ge-
sagt
Der heisere Schrei des
Lerrn Christ erstarb auf seinen
Lippen, als er noch ungläubig
auf die Bank griff und mit
der Land dort kleben blieb.
Worauf sich die beiden Jungen
einen Vorsprung sicherten,
indem sie sich entfernten, daß
nur so der Sand spritzte.
Mit Windeseile verschwan-
den sie aus dem Gesichtskreis
oder Lorizont des Lerrn
Christ.
Herr Meckermann tadelt
„Wegen des starken Verkehrs werden die meisten Züge heute
Verspätung haben."
„Das sollte aber doch auf dem Fahrplan angezeigt werden!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herr Meckermann tadelt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4909, S. 130
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg