Das gerechte Schwein
Die Feuerwehrlotterie in der sogenannten „Verandalokalität"
des Postwirtes hätte jenes Band beinahe zerschnitten. Einer der
Laupttreffer war ein Schwein, und ein Schwein bedeutet für ein
Siedlerherz etwa so viel wie ein motorisches Fahrzeug für die
Wunschwelt des Städlers. Anton und Karl beschlossen also, zwei
Lose zu kaufen. Weil das Spalierobst (17 Stück bei Anton und 14
bei Karl) fast schon reif war, kamen sie überein, daß einer zur Wache
daheimbleiben müsse. So strebte denn der Anton allein zur Veranda-
lokalität. Das erste Los, das er kaufte, sollte Karls Los sein. Es
war Nr. 58, seines 60. Der weitere Verlauf der Geschehnisse ist nicht
schwer zu erraten: Nummer 58 war das Schwein. „Jener!" schrie
Anton und schwang das Los Karls, von dem ja eigentlich niemand
wußse, daß es Karls Los sei, und darum umringten ihn die Gra-
tulanten. And während Anton auf das Podium schritt, verspeiste
bereits der „Böse Feind" Antons „guten Kern" mit bestem Appetit.
„Wir alle," meint der dänische Lumorist Lasse Zetterström, „kämpfen
zeitlebens einen zähen und mutigen Kampf gegen unser besseres Ich,
aus dem wir zumeist als Sieger hervorgehen." So schlug auch Anton
seine innere Stimme schon in der ersten Runde k. o. und war, als
wenig später auf Nr. 60 eine Weckeruhr entfiel, bereits so weit, daß er
rufen konnte: „Na also, hat dem Karl sein Los auch was gewonnen!"
Karl saß indessen auf einem
strategisch wichtigen Puntt seines
Grundstückes, von dem aus die
beiden Spalierbäume eingesehen
werden konnten. Bisher hatte sich
an der Zahl der Früchte gar
nichts und an ihrem Reifezustand
vermutlich nicht sehr viel ver-
ändert.
„Servus, Karl!" rief eine
Stimme über den Zaun, „denk
da, da Tauni hat's Fadl g'wonnen
und für di an Wecka!"
„Das Fadl — an Wecka,"
konnte Karl, aus seinem Wach-
dienst aufgeschreckt, nur murmeln,
da war der andere schon wieder
weitergeradelt.
Anton ttieb währenddessen —
um mit Meister Busch zu sprechen
— „voll guter Ruh sein fettes Schwein der Leimat zu." Fett war es
zwar eigentlich nicht, im Gegenteil: jung -und fröhlich; aber eben die
Jugend des Schweines ließ Anton das Schönste für die Zukunft
erhoffen. Schon sieht er sein Schwein als Laupt einer zahlreichen
Nachkommenschaft, von der er zwei Stück an Karl gratis abzutreten
beabsichtigt. Die kühnsten Selbstversorgungspläne betteffs seines
eigenen Fleischverbrauchs hegt er, und überdies freut er sich schon,
wie er den protzigen Fleischermeister durch konkurrenzlose Angebote
in die Knie zwingen wird. Seine Schweine werden den Markt
überschwemmen. Anbewußt strafft sich seine Laltung, und sein Gang
wird markiger, als schritte er jetzt schon durch die unabsehbaren
Stallungen, in denen tausende Schweine in respettvoller Aufmerksam-
keit vor ihrem Chef verharren. Indessen trabt das Schwein unbe-
schwert von den großen Erwartungen, die an seine zarten Schinken
geknüpft werden, fröhlich des Weges. Aber Anton versinkt immer
tiefer in seinen Schweinetraum. Sein Bild wird auf Millionen
Fettdosen um den Erdball getragen werden. In den Illustrierten
steht er sich, eine Land mit Brillantringen und die andere gestützt
auf das Stammschwein, als den Arheber von Kiefler Antons best-
bekannten Erzeugnissen. — In diesem Augenblick fühlt er einen Ruck.
Er hört quieken, schreien, hupen. Er sieht: 1. das Schwein mit einem
Sttick im Gebüsch hängend und 2. einen Motorradfahrer, der augen-
blicklich zwar kein Fahrer,"sondern ein Lieger ist, weil er nebst Ma-
schine am Boden liegt. Das alles ging mit einer der modernen Ver-
kehrsschnelltgkeit entsprechenden Raschheit vor sich,'so daß Anton kaum
noch völlig aus seinem Schweineluftschloß herabgesttegen ist.
Die „Verschuldensfrage," um mich amtlich auszudrücken, war klar.
Darum wetterte der Motorradfahrer ganz besonders und auch deshalb,
weil das Motorrad, wie ja alle Motorräder, die durch fremdes Ver-
schulden verunglücken, selbstverständlich vollkommen neu war. Einiges
schien tatsächlich durch den Sturz verbogen aber am meisten kränkte
vermutlich den Mann, daß seinen etlichen Pferdekräften von einer
einzigen Schweinekraft so Übel mitgespielt wurde. Das Schwein
hatte in seinem fröhlichen Temperament den Schrecken schon wieder
überwunden und macht« auf den unbeteiligten Zuschauer mit seinen
lustig geschwungenen Mundwinkeln einen überaus sympathischen
Eindruck.
„Reparatur — Schadenersatz!" schrie der erzürnte Sportsmann.
„Schweinerei!" schimpfte er, ohne daß ihm freilich die buchstäbliche
Berechtigung dieses Wortes zum Bewußtsein kam.
„Ich weiß einen Mechaniker," sagte Anton kleinlaut, und so setzte
sich die kümmerliche Karawane in Bewegung: das Schwein, zwei
Männer und ein Motorrad.
Ach, hält' ich nur nicht laut gerufen, daß mir das Schwein und
ihm der Wecker gehört. Wär' nur sein Schwein nicht mehr mein
Schwein, sondern sein Schwein, jammerte innerlich Anton hei sich, und
während er früher als Schweinekönig sich sah, sieht er sich jetzt bis
ans Lebensende gebeugt unter ein Ratenjoch für ein fremdes Motor-
rad, und er gelobt Sühne, wenn
alles gut ginge.
Karl kommt ihnen entgegen-
gelaufen. Seine Glückwünsche
fallen zwar vorerst nicht auf
sehr empfänglichen Boden, aber
da der Motorradfahrer durch
sie gleichzeitig auch die Geschichte
dieses unglückseligenGlücksschwei-
nes erfährt, muß er lächeln, und
versöhnlichere Stimmung beginnt
sich allmählich breitzumachen.
Karl fängt mit Feuereifer die
Antersuchung der Maschine an.
Mit der Inbrunst eines Motor-
radsüchtigen schraubt und klopft
er weit mehr als nötig. Tatsäch-
lich hat das Rad so gut wie keinen
Schaden erlitten. Karl weiß zu-
dem so viel Außerordentliches am
Fahrzeug festzustellen, daß der Besitzer allmählich den unangenehmen
Anlaß vergißt, der ihm einen solchen innigen Bewunderer seines
Eigentums bescherte. Zuletzt schrauben, klopfen, schmieren und drehen
die beiden, obschon es gar nichts mehr zu schrauben und zu drehen
gibt, nur des Schraubens und Drehens willen. Währenddessen steht
Anton, dem die Reparaturleidenschaft fremd ist, in banger Sorge,
daß sich doch noch irgendein Krebsschaden Herausstellen könne. Das
Schwein unterhält sich während dieser langen Zeit auf Schweineart
mit Schnüffeln und Schaben.
Dann braust der Motoradfahrer, von andächtigen Blicken Karls
begleitet, davon.
Nun zeigte es sich, daß der „Böse Feind" doch nicht den ganzen
„guten Kern" Antons verspeist hatte.
„I Hab ka Geld," sagte Anton zu Karl, „da hast das Schwein!"
„Du spinnst wohl? I Hab ja gar nix g'macht. Das bißl
Schraufen I"
„Na, nimm's nur. I hält' eh ka Freud mehr mit dem Luder!"
Er gab nicht nach. Karl war dieser unbegreiflichen Großmut ge-
genüber fassungslos: „Na, das geht net. Da hätt' i ja beide Los
g'wonnen und du gar nix. Nimm wenigstens den Wecka. I Hab
eh an."
„Den Wecka?" meinte Anton. „Alsdann von mir aus, den Wecka
nimm i."
And er nahm ihn und ging leise pfeifend zu seiner Lütte, das
Schwein keines Blickes würdigend, während soeben der Regenwurm
bedächtig durch die Staketen von Karls Garten herüberkroch.
Der Halsspezialist
303
Die Feuerwehrlotterie in der sogenannten „Verandalokalität"
des Postwirtes hätte jenes Band beinahe zerschnitten. Einer der
Laupttreffer war ein Schwein, und ein Schwein bedeutet für ein
Siedlerherz etwa so viel wie ein motorisches Fahrzeug für die
Wunschwelt des Städlers. Anton und Karl beschlossen also, zwei
Lose zu kaufen. Weil das Spalierobst (17 Stück bei Anton und 14
bei Karl) fast schon reif war, kamen sie überein, daß einer zur Wache
daheimbleiben müsse. So strebte denn der Anton allein zur Veranda-
lokalität. Das erste Los, das er kaufte, sollte Karls Los sein. Es
war Nr. 58, seines 60. Der weitere Verlauf der Geschehnisse ist nicht
schwer zu erraten: Nummer 58 war das Schwein. „Jener!" schrie
Anton und schwang das Los Karls, von dem ja eigentlich niemand
wußse, daß es Karls Los sei, und darum umringten ihn die Gra-
tulanten. And während Anton auf das Podium schritt, verspeiste
bereits der „Böse Feind" Antons „guten Kern" mit bestem Appetit.
„Wir alle," meint der dänische Lumorist Lasse Zetterström, „kämpfen
zeitlebens einen zähen und mutigen Kampf gegen unser besseres Ich,
aus dem wir zumeist als Sieger hervorgehen." So schlug auch Anton
seine innere Stimme schon in der ersten Runde k. o. und war, als
wenig später auf Nr. 60 eine Weckeruhr entfiel, bereits so weit, daß er
rufen konnte: „Na also, hat dem Karl sein Los auch was gewonnen!"
Karl saß indessen auf einem
strategisch wichtigen Puntt seines
Grundstückes, von dem aus die
beiden Spalierbäume eingesehen
werden konnten. Bisher hatte sich
an der Zahl der Früchte gar
nichts und an ihrem Reifezustand
vermutlich nicht sehr viel ver-
ändert.
„Servus, Karl!" rief eine
Stimme über den Zaun, „denk
da, da Tauni hat's Fadl g'wonnen
und für di an Wecka!"
„Das Fadl — an Wecka,"
konnte Karl, aus seinem Wach-
dienst aufgeschreckt, nur murmeln,
da war der andere schon wieder
weitergeradelt.
Anton ttieb währenddessen —
um mit Meister Busch zu sprechen
— „voll guter Ruh sein fettes Schwein der Leimat zu." Fett war es
zwar eigentlich nicht, im Gegenteil: jung -und fröhlich; aber eben die
Jugend des Schweines ließ Anton das Schönste für die Zukunft
erhoffen. Schon sieht er sein Schwein als Laupt einer zahlreichen
Nachkommenschaft, von der er zwei Stück an Karl gratis abzutreten
beabsichtigt. Die kühnsten Selbstversorgungspläne betteffs seines
eigenen Fleischverbrauchs hegt er, und überdies freut er sich schon,
wie er den protzigen Fleischermeister durch konkurrenzlose Angebote
in die Knie zwingen wird. Seine Schweine werden den Markt
überschwemmen. Anbewußt strafft sich seine Laltung, und sein Gang
wird markiger, als schritte er jetzt schon durch die unabsehbaren
Stallungen, in denen tausende Schweine in respettvoller Aufmerksam-
keit vor ihrem Chef verharren. Indessen trabt das Schwein unbe-
schwert von den großen Erwartungen, die an seine zarten Schinken
geknüpft werden, fröhlich des Weges. Aber Anton versinkt immer
tiefer in seinen Schweinetraum. Sein Bild wird auf Millionen
Fettdosen um den Erdball getragen werden. In den Illustrierten
steht er sich, eine Land mit Brillantringen und die andere gestützt
auf das Stammschwein, als den Arheber von Kiefler Antons best-
bekannten Erzeugnissen. — In diesem Augenblick fühlt er einen Ruck.
Er hört quieken, schreien, hupen. Er sieht: 1. das Schwein mit einem
Sttick im Gebüsch hängend und 2. einen Motorradfahrer, der augen-
blicklich zwar kein Fahrer,"sondern ein Lieger ist, weil er nebst Ma-
schine am Boden liegt. Das alles ging mit einer der modernen Ver-
kehrsschnelltgkeit entsprechenden Raschheit vor sich,'so daß Anton kaum
noch völlig aus seinem Schweineluftschloß herabgesttegen ist.
Die „Verschuldensfrage," um mich amtlich auszudrücken, war klar.
Darum wetterte der Motorradfahrer ganz besonders und auch deshalb,
weil das Motorrad, wie ja alle Motorräder, die durch fremdes Ver-
schulden verunglücken, selbstverständlich vollkommen neu war. Einiges
schien tatsächlich durch den Sturz verbogen aber am meisten kränkte
vermutlich den Mann, daß seinen etlichen Pferdekräften von einer
einzigen Schweinekraft so Übel mitgespielt wurde. Das Schwein
hatte in seinem fröhlichen Temperament den Schrecken schon wieder
überwunden und macht« auf den unbeteiligten Zuschauer mit seinen
lustig geschwungenen Mundwinkeln einen überaus sympathischen
Eindruck.
„Reparatur — Schadenersatz!" schrie der erzürnte Sportsmann.
„Schweinerei!" schimpfte er, ohne daß ihm freilich die buchstäbliche
Berechtigung dieses Wortes zum Bewußtsein kam.
„Ich weiß einen Mechaniker," sagte Anton kleinlaut, und so setzte
sich die kümmerliche Karawane in Bewegung: das Schwein, zwei
Männer und ein Motorrad.
Ach, hält' ich nur nicht laut gerufen, daß mir das Schwein und
ihm der Wecker gehört. Wär' nur sein Schwein nicht mehr mein
Schwein, sondern sein Schwein, jammerte innerlich Anton hei sich, und
während er früher als Schweinekönig sich sah, sieht er sich jetzt bis
ans Lebensende gebeugt unter ein Ratenjoch für ein fremdes Motor-
rad, und er gelobt Sühne, wenn
alles gut ginge.
Karl kommt ihnen entgegen-
gelaufen. Seine Glückwünsche
fallen zwar vorerst nicht auf
sehr empfänglichen Boden, aber
da der Motorradfahrer durch
sie gleichzeitig auch die Geschichte
dieses unglückseligenGlücksschwei-
nes erfährt, muß er lächeln, und
versöhnlichere Stimmung beginnt
sich allmählich breitzumachen.
Karl fängt mit Feuereifer die
Antersuchung der Maschine an.
Mit der Inbrunst eines Motor-
radsüchtigen schraubt und klopft
er weit mehr als nötig. Tatsäch-
lich hat das Rad so gut wie keinen
Schaden erlitten. Karl weiß zu-
dem so viel Außerordentliches am
Fahrzeug festzustellen, daß der Besitzer allmählich den unangenehmen
Anlaß vergißt, der ihm einen solchen innigen Bewunderer seines
Eigentums bescherte. Zuletzt schrauben, klopfen, schmieren und drehen
die beiden, obschon es gar nichts mehr zu schrauben und zu drehen
gibt, nur des Schraubens und Drehens willen. Währenddessen steht
Anton, dem die Reparaturleidenschaft fremd ist, in banger Sorge,
daß sich doch noch irgendein Krebsschaden Herausstellen könne. Das
Schwein unterhält sich während dieser langen Zeit auf Schweineart
mit Schnüffeln und Schaben.
Dann braust der Motoradfahrer, von andächtigen Blicken Karls
begleitet, davon.
Nun zeigte es sich, daß der „Böse Feind" doch nicht den ganzen
„guten Kern" Antons verspeist hatte.
„I Hab ka Geld," sagte Anton zu Karl, „da hast das Schwein!"
„Du spinnst wohl? I Hab ja gar nix g'macht. Das bißl
Schraufen I"
„Na, nimm's nur. I hält' eh ka Freud mehr mit dem Luder!"
Er gab nicht nach. Karl war dieser unbegreiflichen Großmut ge-
genüber fassungslos: „Na, das geht net. Da hätt' i ja beide Los
g'wonnen und du gar nix. Nimm wenigstens den Wecka. I Hab
eh an."
„Den Wecka?" meinte Anton. „Alsdann von mir aus, den Wecka
nimm i."
And er nahm ihn und ging leise pfeifend zu seiner Lütte, das
Schwein keines Blickes würdigend, während soeben der Regenwurm
bedächtig durch die Staketen von Karls Garten herüberkroch.
Der Halsspezialist
303
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Halsspezialist"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4923, S. 303
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg