o
Eine Verleumdung
Bon Peter Robinson
Der Zug — kein D-Zug, ein simpler Personenzug ohne Ver-
bindung zwischen den Einzelabteilen — hielt in Poggstedt. Der Rei-
sende, der bisher allein gefahren war und sich etwas Gesellschaft
gewünscht hatte, bekam sie jetzt und reichlicher, als ihm lieb war:
eine ganze Familie stieg zu ihm ein, Vater und Mutter, ein Sohn,
in dem ein Tertianer zu vermuten war, und zwei wohl um je ein
Jahr jüngere Töchter. Sie hatten viel Gepäck bei sich, dazu einen
Lund und ein Vogelbauer, dessen Umhüllung sich etwas verschoben
hatte, so daß ein Pärchen von Wellensittichen zu sehen war.
So, nun waren sie glücklich untergebracht, und dann fuhr auch
schon der Zug wieder ab, zum Bahnhof hinaus und dann, aus
sicherlich zwingendem Grunde und nicht, um den Fahrgästen ein
Vergnügen zu bereiten, in einem halben Kreise um Poggstedt herum,
wodurch man noch einige Zeit einen angenehmen Ausblick auf das
Städtchen hatte. Jedes der Familienmitglieder sah noch einmal
hinaus, mit einiger Verdrossenheit, wie es dem nun nicht mehr
einsamen Reisenden schien. Der Vater aber schüttelte eine geballte
Faust gen Poggstedt und brummte: „Geh unter, du infames Nest!"
Dann, als sei er dem frem-
den Reisegefährten eine
Erklärung für solche starke
Verwünschung schuldig,
wandte er sich an diesen:
„Es ist wirklich grauen-
haft dort."
„And doch macht die
Stadt einen so freundlichen
Eindruck," meinte der nicht
mehr einsame Reisende.
„Die Läufer scheinen so
wohlgeborgen im Schutz
der ehrwürdigen Ordens-
burg; sie scharen sich darum
wieKüchlein um dieLenne."
„Run ja, es sieht ja
von ferne ganz hübsch aus,
aber mitten darin zu sein,
das ist was andres. Wir
sind glücklich, daß wir weg-
kommen. Wir ziehen näm-
lich fort."
Aha — jetzt war erklärt,
warum das Bauer mit
den Wellensittichen mitge-
schleppt wurde.
„Ja, ich bin versetzt und
danke dem Limmel dafür
und der Oberpostdirektion. Ich bin nämlich Postsekretär — Schaller
ist mein Name."
„Cornelius!" erwiderte etwas widerwillig der nun nicht mehr ganz
fremde Reisegefährte die Vorstellung.
„Ja, ich bin versetzt. Es war nicht leicht, das zu erreichen, und
so ein Umzug macht ja auch Kosten, nicht wahr? And es ist auch
nicht angenehm für die Kinder, in andere Schulen zu kommen. Aber
es mußte sein; es ging nicht anders, wir hatten dort zu viel zu
leiden. Ich war das Opfer einer Verleumdung geworden, einer so
ungewöhnlichen Art von Verleumdung, daß das Gericht, als ich mich
dagegen wehren wollte, gar nichts davon wissen mochte. Sie werden
das von dem Gericht kaum glauben, nicht wahr?"
„Ich muß mich des Urteils enthalten, da ich ja nicht Bescheid
weiß," meinte Cornelius zurückhaltend.
„Da haben Sie recht," nickte Schaller. „Ich muß Ihnen erst meine
Geschichte erzählen. Dann werden Sie auch verstehen, warum wir
aus Poggstedt fort mußten. Wir hätten sonst auch nie ans Fort-
ziehen gedacht. Fünfzehn Jahre lang haben wir da gelebt — be-
scheiden, aber recht glück-
lich. Nun, wie eben eine
Postsekretärsfamilie lebt!
Ich wünschte mir auch gar
nichts anderes. Mit mei-
nem Gehalt kam ich aus;
zurückzulegen brauchte ich
nichts, denn ich werde ja
einmal meine Pension ha-
ben. Allerdings in der
Lotterie spielte ich doch,
wenn auch nur mit einem
Achtelchen. Aber das tun
ja viele, sehr viele Leute.
In Poggstedt befindet
sich eineLotterie-Einnahme.
Zielke heißt der Inhaber,
ein ordentlicher Mann,
wenn ich ihm auch den
Vorwurf machen muß, daß
er sich mir gegenüber et-
was hilfsbereiter hätte
zeigen müssen. Doch ich
will nicht vorgreifen. Vor
einem halben Jahre nun
fiel in Zielkes Kollekte ein
Lauptgewinn. Großes Er-
eignis für Poggstedt! Die
Ortszeitung, der „Pogg-
Schwätzer „Wissen Sie, Lerr Professor, ich bin ein Mensch, der mit der Zeit geht."
„Das hoffe ich, daß Sie mit der Zeit mal gehen werden."
202
Eine Verleumdung
Bon Peter Robinson
Der Zug — kein D-Zug, ein simpler Personenzug ohne Ver-
bindung zwischen den Einzelabteilen — hielt in Poggstedt. Der Rei-
sende, der bisher allein gefahren war und sich etwas Gesellschaft
gewünscht hatte, bekam sie jetzt und reichlicher, als ihm lieb war:
eine ganze Familie stieg zu ihm ein, Vater und Mutter, ein Sohn,
in dem ein Tertianer zu vermuten war, und zwei wohl um je ein
Jahr jüngere Töchter. Sie hatten viel Gepäck bei sich, dazu einen
Lund und ein Vogelbauer, dessen Umhüllung sich etwas verschoben
hatte, so daß ein Pärchen von Wellensittichen zu sehen war.
So, nun waren sie glücklich untergebracht, und dann fuhr auch
schon der Zug wieder ab, zum Bahnhof hinaus und dann, aus
sicherlich zwingendem Grunde und nicht, um den Fahrgästen ein
Vergnügen zu bereiten, in einem halben Kreise um Poggstedt herum,
wodurch man noch einige Zeit einen angenehmen Ausblick auf das
Städtchen hatte. Jedes der Familienmitglieder sah noch einmal
hinaus, mit einiger Verdrossenheit, wie es dem nun nicht mehr
einsamen Reisenden schien. Der Vater aber schüttelte eine geballte
Faust gen Poggstedt und brummte: „Geh unter, du infames Nest!"
Dann, als sei er dem frem-
den Reisegefährten eine
Erklärung für solche starke
Verwünschung schuldig,
wandte er sich an diesen:
„Es ist wirklich grauen-
haft dort."
„And doch macht die
Stadt einen so freundlichen
Eindruck," meinte der nicht
mehr einsame Reisende.
„Die Läufer scheinen so
wohlgeborgen im Schutz
der ehrwürdigen Ordens-
burg; sie scharen sich darum
wieKüchlein um dieLenne."
„Run ja, es sieht ja
von ferne ganz hübsch aus,
aber mitten darin zu sein,
das ist was andres. Wir
sind glücklich, daß wir weg-
kommen. Wir ziehen näm-
lich fort."
Aha — jetzt war erklärt,
warum das Bauer mit
den Wellensittichen mitge-
schleppt wurde.
„Ja, ich bin versetzt und
danke dem Limmel dafür
und der Oberpostdirektion. Ich bin nämlich Postsekretär — Schaller
ist mein Name."
„Cornelius!" erwiderte etwas widerwillig der nun nicht mehr ganz
fremde Reisegefährte die Vorstellung.
„Ja, ich bin versetzt. Es war nicht leicht, das zu erreichen, und
so ein Umzug macht ja auch Kosten, nicht wahr? And es ist auch
nicht angenehm für die Kinder, in andere Schulen zu kommen. Aber
es mußte sein; es ging nicht anders, wir hatten dort zu viel zu
leiden. Ich war das Opfer einer Verleumdung geworden, einer so
ungewöhnlichen Art von Verleumdung, daß das Gericht, als ich mich
dagegen wehren wollte, gar nichts davon wissen mochte. Sie werden
das von dem Gericht kaum glauben, nicht wahr?"
„Ich muß mich des Urteils enthalten, da ich ja nicht Bescheid
weiß," meinte Cornelius zurückhaltend.
„Da haben Sie recht," nickte Schaller. „Ich muß Ihnen erst meine
Geschichte erzählen. Dann werden Sie auch verstehen, warum wir
aus Poggstedt fort mußten. Wir hätten sonst auch nie ans Fort-
ziehen gedacht. Fünfzehn Jahre lang haben wir da gelebt — be-
scheiden, aber recht glück-
lich. Nun, wie eben eine
Postsekretärsfamilie lebt!
Ich wünschte mir auch gar
nichts anderes. Mit mei-
nem Gehalt kam ich aus;
zurückzulegen brauchte ich
nichts, denn ich werde ja
einmal meine Pension ha-
ben. Allerdings in der
Lotterie spielte ich doch,
wenn auch nur mit einem
Achtelchen. Aber das tun
ja viele, sehr viele Leute.
In Poggstedt befindet
sich eineLotterie-Einnahme.
Zielke heißt der Inhaber,
ein ordentlicher Mann,
wenn ich ihm auch den
Vorwurf machen muß, daß
er sich mir gegenüber et-
was hilfsbereiter hätte
zeigen müssen. Doch ich
will nicht vorgreifen. Vor
einem halben Jahre nun
fiel in Zielkes Kollekte ein
Lauptgewinn. Großes Er-
eignis für Poggstedt! Die
Ortszeitung, der „Pogg-
Schwätzer „Wissen Sie, Lerr Professor, ich bin ein Mensch, der mit der Zeit geht."
„Das hoffe ich, daß Sie mit der Zeit mal gehen werden."
202
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schwätzer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 197.1942, Nr. 5070, S. 202
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg