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Herrn Murmlichs Libliotliek

Daß Bücher einzig und allein zum Lesen
dienen, ist ein weitverbreiteter Irrtum. Zum
Lesen dienen sie nur nebenbei. In „besseren"

Däusern fungieren sie vor allem als Schau-
objekte, erfüllen sie zuvörderst einen dekora-
tiven Zweck. Sie verleihen dem Raum, in
dem sie aufgestellt sind, wie dem Besitzer des
Raumes Ernst, Würde, Gewicht. Sie reprä-
sentieren Bildung und Geistigkeit und werfen
einen Abglanz davon auch auf den Eigen-
tümer. Aber auch das ist ein Nebenberuf der
Bücher, in erster Linie dienen sie als Ge-
schenkartikel.

Wußte man in vergangenen Zeiten nicht,
was man zu Geburts- und Namenstagen, zu
Weihnachten und Oster» schenken sollte, so
wählte man ein Buch. And so gelangte Derr
Fridolin Wurmlich zu seiner Bibliothek, das
war sein persönliches Pech. Andere erhielten
Krawatten, Sockenhalter, Freßkörbe und son-
stige lebenswichtige Dinge, Derr Wurmlich
Bücher und immer wieder Bücher. Weil er
früh in den Verruf geistiger Interessen kam,
wurde er mit Klassikern förmlich überschüttet.

So brachte er es im Laufe der Zeit auf zehn
mehr oder minder komplette Goethe, acht
Shakespeare, sieben Schiller, sechs Lessing, fünf
Debbel, vier Ahland usw. Sie wurden von
ihm in einem besonderen Glasschrank aufb;--
wahrt und vor allen hohen Feiertagen sorg-
fältig abgestaubt. Er ließ es, wie man sieht,
an gebührender Verehrung für unsere Klassi-
ker nicht fehlen.

Auch die jeweiligen Modebücher erhielt
er meist in mehreren Exemplaren und, da jedes
Jahr neue Bücher in Move kamen, so brachte
er auch davon eine recht ansehnliche Samm-
lung zusammen. Modebücher mußte man an-
standshalber lesen, um mitreden zu können. Wehe, wer in derlei
Fällen nur zu schweigen wußte. Der war verloren, erledigt, kam
unter denen, die in Betracht kamen, nicht mehr in Betracht. Zu
seiner gesellschaftlichen Selbstbehauptung hat Derr Wurinlich Jahr
für Jahr die Modebücher getreulich gelesen. In einem Exemplar
natürlich, die anderen blieben wie seine Klassiker
unversehrt.

Die dritte Kategorie unter Derrn Wurmlichs
Büchern waren jene, die wohlmeinende Onkels
und Tanten ihm zu seiner äußeren und inneren
Vervollkommnung zudachten. Wie auf geheime
Verabredung bombardierten sie ihn Jahre hin
durch mit immer neuen Ausgaben guten Tones
In der klaren Erkenntnis offenbar, daß ei n An
standsbuch seinem Anstandsbedarf nicht genügte.

So brachte es Derr Wurmlich auf rund zwei
Dutzend Kodizes feinerer Lebensart. Sie standen
sorgsam aneinandergereiht auf einem Regal und
kehrten dem Beschauer den goldgeprägten Rücken
zu. Anstandsbücher haben immer Anstand, wenden
sie jemandem schon die Kehrseite zu, dann ist sie
zumindest vergoldet.

Tante Eulalie begnügte sich nicht damit, ihren
Neffen Fridolin Wurmlich Jahre hindurch mit
Anstandsbüchern zu bedenken. Sie war der Mei-
nung, daß ihn, damit allein nicht geholfen sei und
schenkte ihm überdies allerlei Erziehungsbücher
mit anzüglichen Titeln wie: „Erkenne dich selbst!",

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Miß Dorothy Scanion hat in 10 Minuten
für 48 Dollar Kriegsanleihe-Sparmarken
geleckt.

Die Nachgiebigen

Der Herr des Kreml spricht gedrungen
Von den ihm nöt’gen Forderungen.

Der Yankee und der Brite wagen
Vor fingst nicht, dazu nein zu sagen.

„Ich werde selbstverständlich Polen
Beim Frieden für die Sowjets holen,“
Beansprucht Stalin, und der Brite
Sowie der Yankee sagen: „Bitte!“

„Laßt ihr mir nicht das Baltikum,

So nehm’ ich euch das furchtbar krumm.“
Der Yankee und der Brite meinen.

Das müsse wohl ganz richtig scheinen.

„Ich muß auch auf die Dardanellen
Den allerschärfsten Anspruch stellen."

Der Brite und der Yankee nicken
Dazu, wenn auch nicht mit Entzücken.

„Betreffs des Balkans — nun, ich denke,
Daß man mir freie Hand dort schenke."

Der Yankee und der Brite ducken
Sich gleich und wagen nicht, zu mucken.

• „Im Norden Afrikas, da sollen
Die Sowjetfahnen sich entrollen.“

Der Brite und der Yankee können
Nur sagen, daß sie ihm das gönnen.

Der Stalin will noch dies und das.

Die beiden andern werden blaß;

Die Mienen werden immer länger,

Und ihre Herzen immer bänger.

Die Ahnung mag sie wohl beschleichen:
Dem Teufel einen Finger reichen,

Das soll man nicht, weii’s zu riskant;

Er nimmt dann gleich die ganze Hand.

FfL&Nfr/

„Drei gschlagene Schtund Han i
geschtern an d' Frau Schleeauf na-
g'rcdet, sie hat mers halt net glaube
wolle, daß 's Schwätze ois von de
gröschte Aebcl isch."

„Wie veredle ich meinen Charakter?", „Wie werde ich ein liebens-
würdiger Mensch?", „Wie eigne ich mir eine gediegene Bildung an?",
„Wie setze ich mich im Leben durch?"

Derr Wurmlich legte sie zu den übrigen, zu den Klassikern und
Anstandsbüchern. Man soll seine Bücher schonend behandeln, pflegte
sein alter Professor Bichlmeier zu sagen. Das
hatte er beherzigt und ließ seine Bücher unge-
lesen. Der Lohn blieb nicht aus.

Es kam eine Zeit, eine ganz unerhörte, un-
wahrscheinliche, märchenhafte Zeit: Bücher wur-
den plötzlich knapp, Bücher, die es stets im Aeber-
fluß gegeben hatte. Man konnte nicht einmal
mehr den dringendsten Bedarf an Weihnachts-
geschenken decken. Man, sage ich, das heißt die
Menschen, die Zeitgenossen und -Genossinnen im
allgemeinen. Derr Wurmlich allein ist nicht in
Verlegenheit, wenn er Bücher schenken will.
Sein Lager in besterhaltenen Klassikern reicht
noch auf Jahre hinaus, wenn er haushälterisch
dainit umgeht. Man verschwendet ja heute keinen
zwanzigbändigen Goethe an einen halbwüchsigen
Bengel mehr, Derr Wurmlich rationiert ihn
unter zwanzig Neffen und Nichten. Angesichts
des heutigen Dichtungsmangels erwirbt er sich
um die Verbreitung der Klassiker das größte
Verdienst. Dem nicht genug, durch ihn kommen
auch die Modedichter von 1910 und 20 noch ein-
mal in Mode.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"USA-Rekord" "Drei gschlagene Schtund han i geschtern an d' Frau Schleeauf nag'redet..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Frank, Hugo
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5133, S. 292
 
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