Fliegende Blätter (199.1943 (Nr. 5109-5135) = 99. Jahrg.)

„Ich schreibe jetzt ein Drama, aber ich weiß nicht,
wie ich den Leiden töten soll."

„Lesen Sie ihm das Stück vor."

Die Taufe

Leymann Notdurft wohnt seit fünf Jahren in
London. Früher ist er in Wien ansäffig gewesen,
und da hat ihn sein Name manchmal verdrossen.
Es ist ja auch kein schöner Name. Er stammt von
einem Vorfahren her, der in Lemberg einen Trödel-
kram betrieb und nur Rüben hieß. Aber dann kam
die Verfügung, daß alle Juden auch Nachnamen
anzunehmen hätten. Sie durften sich die Name»
wählen, aber viele Juden, die nur das Jiddische be-
herrschten, waren ratlos, und dann hängten ihnen
die Lerren Beamten, die sich einen Spaß daraus
machten, allerlei kuriose Namen an, wie Treppen-
geländer, Pulverbestandteil, Kanalgeruch und eben
auch Notdurft.

Leymann Notdurft geht es in London sehr gut.
Vor kurzem hat er einen schon lange erwogenen
Schritt getan, obwohl seine alte Frau Mama da-
rüber entsetzt war: er hat sich laufen lassen. Das
hat der Reverend Pecksniff von der Anglikanischen
Lofkirche besorgt. Dabei ergab sich für Leymann
Notdurft die Gelegenheit, zu einem andern Namen
zu kommen. „Ich werd' mer nennen Loratio Nelson,"
erklärte er.

Der Reverend Pecksniff schlug die Lände über
dem Kopf zusammen. „Aber das geht doch nicht!
Sie können doch unmöglich den Namen von Eng-
lands berühmtesten Seehelden für sich in Anspruch
nehmen. Wie kommen Sie darauf?"

Da hielt ihm Leymann Notdurft die rechte Land
hin. „Sehnse: da Hab' ich so e scheenen Siegelring.
L. N. steht drauf. And da paßt doch Loratio Nelson."

Aber der Reverend Pecksniff wollte das nicht
gelten lassen. „Nennen Sie sich Lugh Newman,"
schlug er vor, und damit war der Täufling denn
schließlich auch zufrieden. —

Leute hat der neugebackene Lugh Newman
wieder einmal einen glänzenden Profit gemacht.
In rosiger Laune sitzt er am Kaminfeuer und wippt
übermütig mit dem Stuhl.

Die alte Mama, die grämlich dabei sitzt, denn sie
hat die Taufe noch nicht verziehen, mag das nicht
ansehen. „Laß das, mein Sohn!" sagt sie. „Du wirst
nach hinten überfallen und dir Schaden tun. Dein
Kreuz ist ja noch sehr schwach." —on.

Lerrn Murmllchs Bibliothek

Tante Eulalia, die inzwischen ihr achtes Jahr-
zehnt erklommen hat, kann längst keine Bücher
mehr schenken. Jetzt ist für Lerrn Wurmlich, den
Neffen, die Zeit gekommen, sich für ihre wohlge-
meinten Geschenke gleich wohlmeinend zu revan-
chieren. Daher hat er ihr dieses Jahr mit
tückischem Ingrimm unter den Weihnachtsbaum
das wertvolle Buch gelegt: „Wie veredle ich
meinen Charakter?"

Loffe» wir, daß es wenigstens bei der alten
Dame noch einige späte Früchte trägt. Dann
wurde es doch nicht umsonst geschrieben. F.

„3ch war neulich bei einem Charakterologen
namens Dippel."

„Ah, von dem habe ich schon gehört. Kann
der Mann etwas?"

„Ich weiß es nicht, er hat von mir Voraus-
zahlung verlangt."

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„Wenn Sie 's riskieren wollen, Fräulein, aber ich fahr ein
gefürchtetes Tempo!"