Es war zur Zeit des Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand, als
sich die Bauern eines braunschweigischen Dörfchens, Gott weiß
auf welche Ursach hin, gewöhnt hatten, mit derselben Un-
vermeidlichkeit, mit der sie früher in die Kirche wanderten, jetzt
jeden Sonntag Morgen in die Schenke zu ziehen, und sobald,
der letzte Glockenschlag verklungen, konnte man die würdigen
Väter nach Rang und Würden um den Schenktisch sitzen sehen:
den Ehrenplatz aber am Tisch hielt der Schulze. Der arme Pfar-
rer jammerte vergeblich vor leeren Bänken, ein wohlweises Con-
sistorium in Wolfenbüttel hatte auf sein Hilfegesuch mehr als
eine schreckliche Drohung der gottlosen Gemeinde verkünden las-
sen : umsonst! — die Bauern ritt' einmal der Teufel, und da
es ihnen schien, als nähm das Leben auch so seinen leidlichen
Fortgang, ließen sie sonntäglich ruhig'den Mann Gottes links
zur Kirche ziehen, indeffen sie selber ohne viel Gewissenspein
rechts den Weg zur Schenke einschlugen, wo sie ihrer lästerlichen
Freude kein Hehl hatten, den Herren von Wolfenbüttel zeigen zu-
können, ob man einem rechten Bauern befehlen könne oder nicht.
So war's am Pfingsttage, als der Küster den Gottesdienst
einläutete, und ehrbaren ^Schrittes wallten im Sonntagsstaat
und Perrücken, mit Mienen wenigstens, welche die alte Zeit durch
Andacht und fromme Würde nachfeierten, die Hausväter zur
Schenke; da stellte sich ein Fremder, ein hoher starker Mann
in langem blauen Ueberrock, in der Schenkstube ein und setzte
sich nach kurzem Gruß an den Wirth, schweigend an das obere
Ende des Tisches, an welchem einige der pünktlichsten Väter
schon Platz genommen hatten. Die Bauern sahen verwundert
und ärgerlich den eindringlichen Städter den Platz ihres wer-
then Meisters einnehmen, der noch auf sich warten ließ. Der
Fall war allerdings unerhört und der Schulze, der mit dem
dritten Läuten sich cinstellte, nicht wenig erstaunt und entrüstet,
seinen Ehrenplatz von einem Fremdling behauptet zu sehen,
der seinerseits das gleichgiltigste Gesicht von der Welt machte
und nicht die mindeste Ahnung von seinem Eingriff in uralte
Rechte zu haben schien. Indessen ließ der Dorfpotentat sich ruhig
zur Rechten des fremden Mannes nieder: von hier aus mußte
gegen ihn operirt werden. Indessen die deutlichsten und unver-
schämtesten Blicke seiner Nachbarn, in denen eine Welt von Grob-
heit und Bosheit lag, ließ der Fremde, der gänzlich theilnahm-
los seine kurze Stummelpfeife rauchte, ruhig von sich abprallen,
so daß sich der Schulze zu wirksameren Bewegungen genöthigt
sah. Mit lauter Stimme forderte er ein Maaß Schnapps, aus
dem er trank und das er dann dem Bauern zur Rechten mit
den Worten reichte: ,,'Vadder, lat et 'rum gähn!" (Gevatter
laßt es herumgehn!) Der Krug wanderte unter dem landes-
üblichen Aufpochen mit dem Mittelfinger und dem „Wohl be-
komms!" die Reihe durch bis zu dem, der dem Städter zur
Linken saß. Und als er getrunken, war der Zeitpunkt gekom-
men, an dem die Mine springen konnte. Mit einem greulichen
Blick auf den Fremden, der nichts von Allem zu bemerken schien,
rief der Schulze dem Letzten zu: ,,'Vadder lat et wedder sau
'rum gähn!" (Gevatter laßt es wieder so hemmgehn!) und das
Glas machte seinen Weg wieder zurück, ohne dem Fremden an-
geboten zu sein. Aller menschlichen Berechnuüg zufolge mußte
das ein Ungeheuer von Fühllosigkeit sein, der diesen Wink nicht
verstand, denn beim „Wohl bekomms!" ausgelassen zu werden,
galt in jener ehrbaren Zeit für handgreiflichen Schimpf. Allein
der Fremde saß unbeweglich wie zuvor und ertmg den Hohn
Laß es herumgehn!
sich die Bauern eines braunschweigischen Dörfchens, Gott weiß
auf welche Ursach hin, gewöhnt hatten, mit derselben Un-
vermeidlichkeit, mit der sie früher in die Kirche wanderten, jetzt
jeden Sonntag Morgen in die Schenke zu ziehen, und sobald,
der letzte Glockenschlag verklungen, konnte man die würdigen
Väter nach Rang und Würden um den Schenktisch sitzen sehen:
den Ehrenplatz aber am Tisch hielt der Schulze. Der arme Pfar-
rer jammerte vergeblich vor leeren Bänken, ein wohlweises Con-
sistorium in Wolfenbüttel hatte auf sein Hilfegesuch mehr als
eine schreckliche Drohung der gottlosen Gemeinde verkünden las-
sen : umsonst! — die Bauern ritt' einmal der Teufel, und da
es ihnen schien, als nähm das Leben auch so seinen leidlichen
Fortgang, ließen sie sonntäglich ruhig'den Mann Gottes links
zur Kirche ziehen, indeffen sie selber ohne viel Gewissenspein
rechts den Weg zur Schenke einschlugen, wo sie ihrer lästerlichen
Freude kein Hehl hatten, den Herren von Wolfenbüttel zeigen zu-
können, ob man einem rechten Bauern befehlen könne oder nicht.
So war's am Pfingsttage, als der Küster den Gottesdienst
einläutete, und ehrbaren ^Schrittes wallten im Sonntagsstaat
und Perrücken, mit Mienen wenigstens, welche die alte Zeit durch
Andacht und fromme Würde nachfeierten, die Hausväter zur
Schenke; da stellte sich ein Fremder, ein hoher starker Mann
in langem blauen Ueberrock, in der Schenkstube ein und setzte
sich nach kurzem Gruß an den Wirth, schweigend an das obere
Ende des Tisches, an welchem einige der pünktlichsten Väter
schon Platz genommen hatten. Die Bauern sahen verwundert
und ärgerlich den eindringlichen Städter den Platz ihres wer-
then Meisters einnehmen, der noch auf sich warten ließ. Der
Fall war allerdings unerhört und der Schulze, der mit dem
dritten Läuten sich cinstellte, nicht wenig erstaunt und entrüstet,
seinen Ehrenplatz von einem Fremdling behauptet zu sehen,
der seinerseits das gleichgiltigste Gesicht von der Welt machte
und nicht die mindeste Ahnung von seinem Eingriff in uralte
Rechte zu haben schien. Indessen ließ der Dorfpotentat sich ruhig
zur Rechten des fremden Mannes nieder: von hier aus mußte
gegen ihn operirt werden. Indessen die deutlichsten und unver-
schämtesten Blicke seiner Nachbarn, in denen eine Welt von Grob-
heit und Bosheit lag, ließ der Fremde, der gänzlich theilnahm-
los seine kurze Stummelpfeife rauchte, ruhig von sich abprallen,
so daß sich der Schulze zu wirksameren Bewegungen genöthigt
sah. Mit lauter Stimme forderte er ein Maaß Schnapps, aus
dem er trank und das er dann dem Bauern zur Rechten mit
den Worten reichte: ,,'Vadder, lat et 'rum gähn!" (Gevatter
laßt es herumgehn!) Der Krug wanderte unter dem landes-
üblichen Aufpochen mit dem Mittelfinger und dem „Wohl be-
komms!" die Reihe durch bis zu dem, der dem Städter zur
Linken saß. Und als er getrunken, war der Zeitpunkt gekom-
men, an dem die Mine springen konnte. Mit einem greulichen
Blick auf den Fremden, der nichts von Allem zu bemerken schien,
rief der Schulze dem Letzten zu: ,,'Vadder lat et wedder sau
'rum gähn!" (Gevatter laßt es wieder so hemmgehn!) und das
Glas machte seinen Weg wieder zurück, ohne dem Fremden an-
geboten zu sein. Aller menschlichen Berechnuüg zufolge mußte
das ein Ungeheuer von Fühllosigkeit sein, der diesen Wink nicht
verstand, denn beim „Wohl bekomms!" ausgelassen zu werden,
galt in jener ehrbaren Zeit für handgreiflichen Schimpf. Allein
der Fremde saß unbeweglich wie zuvor und ertmg den Hohn
Laß es herumgehn!
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Laß es herumgehn!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 20.1854, Nr. 458, S. 14
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg