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Zeichnung von I. Mauder

„Kinder, bloß keine Eifersucht, ich liebe euch ja beide!"

Die Lenzsasse

Am 15. September begann das Stadttheater seine neue Spielzeit,
und da stellte sich auch Kanzenell wieder ei», sehr erholt, ja geradezu
verjüngt. Lin dieser Verjüngung lag es wohl, daß er mit großem
Wohlgefallen eine neu aufgetauchte Chorsängerin sah, ein Fräulein
Rosa Barlenka, die ans nicht zu ermittelnden Gründen irgendwoher
aus Mitteldeutschland in die Seestadt verschlagen worden war. Sie
war eine sehr hübsche Person von noch nicht 30 Jahren. Kanzenell
war 50. und das war nun auch ein Mißverhältnis, aber diesmal
konnte er Laus und Geld in die Waagschale werfen. Kurz und gut:
Kanzenell machte einen Leiratsantrag. der zehnmal feuriger war
als jener, mit dem er seine erste Gattin gewonnen hatte. Rosa über-
legte. Kanzenell hatte Laus und Geld von seiner älteren Gattin
geerbt; sie würde vielleicht einmal von ihm erben, ja sogar sicherlich,
wen» ihr höhere Jahre beschieden sein würden. Also sagte sie Ja.
Aber eine Bedingung war dabei: eine andere Wohnung inüßte ge-
nommen werden. Nie und nimmer würde sie in die Gasse mit dem
greulichen Namen ziehen. In ihrer Äeimat wäre sie in der Veilchen-
straße ausgewachsen, und da wäre es ihr nicht zu verübeln, wenn
ihr bei dem Gedanken an die Pestilenzgasse das Gruseln käme.

Eine andere Wohnung zu nehme», während man viel vorteil-
hafter im eigenen Lause wohnen konnte daran war wohl nicht
zu denke». Kanzenell versuchte es mit sanfter Aeberredung. Pestilenz-
gasse wäre doch ein ehrwürdiger Name, ein Name von historischer
Bedeutung, erinnernd an eine in der Chronik der Stadt verzeichnete
Heimsuchung. Das wäre es ja gerade, enkgegnete Rosa; sie wollte
nicht an so etwas Schreckliches erinnert werden, denn damals wären
ja wohl von der Bevölkerung der Stadt zwei Drittel dahingerafft
worden. Nein, der Weg zum Standesamt und der in die Pestilenz-
gasse wären für sie nicht zu vereinen; da wäre jedes weitere Wort
verschwendet. Vielleicht wäre sie nicht so hartnäckig gewesen, wenn
dies nicht ihr erstes Verlangen gewesen wäre; das mußte erfüllt
werden, da durfte sie nicht nachgiebig sein, um nicht einen bedenk-
lichen Präzedenzfall zu schaffen.

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Kanzenell dachte nach. Da er sehr verliebt war, wurden seine
Gedanken dahin gelenkt, Rosas Meinung bezüglich der Abscheulich-
keit des Gassennamens schließlich beizupflichten. Ja, jetzt wurde es
ihm klar: Pestilenzgasse war wirklich ein Name, der sich nicht ge-
hörte; er war mit der Würde einer so altberllhmten Stadt nicht
vereinbar. Das inußte man der Stadtobrigkeit zu verstehen geben.
Kanzenell beschloß, mit keinem Geringeren zu sprechen als mit dem
Äerrn Oberbürgermeister selbst. Er konnte aber nur bis zu einem
jungen Büroassistenten Vordringen, der ihn liebenswürdig empfing
und aufmerksam seinem wohleinstudierten Vortrage lauschte. Diesen
Vortrag begleitete Kanzenell mit jener Art von Gestikulation, die
er sich als Chorführer angewöhnt hatte, abwechselnd den rechten
und dann den linke» Arm vorstreckend. Etwa wie in der Oper „Norma"
bei dem beschwörenden Gesänge: „O, widerrufe die harten Worte,"
(rechter Arm vor) „die unwillkürlich dem Mund entflohen!" (linker Arm
vor). „Sag', daß du rasest, daß du gelogen," (rechter Arm vor) „daß nur
im Wahnsinn die Lippe sprach!" (linker Arm vor). Das machte dem
Assistenten viel Vergnügen, aber Bescheid konnte er dem Supplikanten
nicht geben. Es käme ja nicht auf ihn, den Lerrn Kanzenell, allein
an, erklärte er, sondern auf alle Bewohner der Pestilenzgasse, oder
wenigstens eine überwiegende Mehrzahl. Sie möchten sich doch zu-
sammenschließen und eine Eingabe mache»; dann würde man ja sehen.

Aber mit solcher Eingabe war es nichts. Kanzenell sah voraus,
daß die meisten Leute in der Pestilenzgasse zu träge und gleichgültig
sein würde». Ja, wenn er ihnen allen Freikarten für das Stadt-
theater hätte schenken können, dann hätte er sie wohl herangekriegt,
aber das konnte er nicht; die Mitglieder des Chors bekamen nur
ausnahmsweise einmal eine Karte bewilligt und meist auch nur für
die Galerie. Zudem lehnte der Agent Mitzlaff, den er als einen
prominenten Einwohner der Gasse darüber befragte, den Gedanken
glatt ab. Er war im Gegenteil ganz zufrieden mit der Pestilenz-
gasse; das wäre ein so ausfallender, einprägsamer Name, und des-
halb wäre er ihm bei seinen vielen Korrespondenzen wegen der
Kommissionen und Vermittlungen recht nützlich.
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Kinder, bloß keine Eifersucht, ich liebe euch ja beide!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Mauder, Josef
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>
Roosevelt, Franklin D.
USA
Kapitalismus
Kommunismus
Personifikation

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5163, S. 5163_016

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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