Der „Schutz-befohlene"
Die Verlobung
Marion wendete die Karte und den Umschlag hin und her, nichts,
kein Absender, kein Anzeichen für de» Urheber dieses Scherzes.
Sie, Marion Burg, würde sich also morgen -verloben mit dem
ihr vollkommen unbekannte» Lerbert Weniger, der Empfang würde
zwischen 10 und 12 Uhr bei ihr selbst stattfinden! Marion lachte laut
auf, und es lag eine ungewohnte Heiterkeit in diesem Lachen: „Nun
gut, komm nur, mein Bräutigam, du wirst dich wundern — — —,
zumindest findest du keine vor Ueberraschung stumme und ver-
schüchterte Braut!" —
Und Marion rüstete für den Empfang.
Die guten Tanten und Onkel Eduard, die immer besonders be-
sorgt um Marions Seelenheil waren, das ihrer Ansicht nach im
umgekehrten Verhältnis zu ihren beruflichen Erfolgen stand, erschienen
frühzeitig, um ihrer großen Freude über dieses unerwartete Ereig-
nis, aber auch ihrer Besorgnis über die Plötzlichkeit der Verlobung
Ausdruck zu geben. Mit strahlender Liebenswürdigkeit wehrte Marion
die vielen Fragen der Nengierigen ab: „Ihr werdet ihn ja sehen,
und Ihr wißt ja, die Beschreibung verliebter Bräute trifft niemals
zu, also habt Geduld, bis er kommt."
Es kamen Kollegen und Kolleginnen, entzückt, ehrlich erfreut,
mit kleinem Neid im Lerze», entrüstet über diese Verlobung, von
der niemand etwas gemerkt, auch nicht einmal geahnt habe.
Marion setzte ein kleines, listiges Lächeln auf. Ihr Blick musterte
jeden Neueintretenden unbemerkt. Es waren auch Fremde gekommen,
sie mit Neugierde und Erstaune» betrachtend. Marion lächelte ihr
reizendstes Lächeln, waren es doch Freunde oder vielleicht auch Kom-
plicen ihres zukünftigen Mannes, jenes Lerbert Wenigers.
Gegen 11 Ahr schließlich — es gab schon ein paar lauernde,
schadenfrohe Blicke über das Ausbleiben des Bräutigams und einige
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Scherze über die sitzengebliebene Braut — wurde ein Reuankont»
mender von den Marion fremden Gästen mit „Äallo" und „endlich"
begrüßt. Marion eilte auf den großen, kräftigen Mann zu, schlang
einen Arm um seine» Lals, bog seinen Kopf zu sich herab und küßte
ihn herzhaft auf den Mund. Sie sah lächelnd in ein paar verblüffte
Auge».
„Eigentlich müßte ich mit dir schelten — du ließest unsere Gäste
lange warten ...." Ihr Blick ließ seine Augen nicht los; im Linter-
grund hörte man ein gerührtes Murmeln von „bräutlichem Glück"
— „und dabei waren doch alle so sehr neugierig auf dich, Äerbert, —
und ich auch . . . .," fügte sie leise hinzu.
Es folgte eine lebhafte Stunde, und in dem regen Lin und Ler
der Gäste fiel es nicht auf, daß der Bräutigam und die Braut kaum ein
Wort miteinander wechselten. Wohl konnte man — und man tat
es — beobachten, daß zwischen allen gesellschaftlichen Pflichten sich die
Augen der Verlobten immer wieder trafen und Frage und Antwort
tauschten.
Strahlend ging Marion von Gruppe zu Gruppe, und während
sie scheinbar dem Gespräch der Tanten über die Pflege und Zucht
marokkanischer Kakteen lauschte, fing sie Brocken einer Anterhaltung
auf, die in einer Gruppe ihr fremder Gäste leise, doch lebhaft ge-
führt wurde: „Ich verstehe das Ganze nicht mehr .... er kennt sie
ja doch .... er hat uns alle gründlich hereingelegt .... oder sie
ihn . . . ."
Die Gäste waren gegangen, wohlbefriedigt die einen, in Rätsel
gestürzt die anderen.
Schweigend saßen Braut und Bräutigam sich gegenüber.
Marion erhob sich, sie schenkte ein Glas Weinbrand ein und
schob es dem Manne zu. Er wehrte ab.
„Nein, danke, so schwach bin ich nun doch nicht, — wohl habe
ich eine unsägliche Dummheit, vielleicht eine Gemeinheit begangen_"
„Lalt," unterbrach ihn Marion, „liegtim Ganzen etwas Tragisches ?"
Erstaunt verneinte er.
„Nun, so wollen wir auch nichts Tragisches daraus machen. Soll
ich Ihnen die Beichte abnehmen? Es handelt sich um eine Wette:
Ihre Freunde haben gegen Sie gewettet, ich würde, obwohl ich auf
der Bühne oft heitere Rollen spiele, zu denen nicht selten ein guter
Schuß Lumor nötig ist, im Leben diesen Lumor nicht aufbringen
können, um eine solche Situation zu meistern und zu einem guten
Ende zu führen. Nun, ist es so?" — Marion hatte von ihm abge-
wandt gesprochen und sich bei dieser Frage schnell zu ihm umgedreht
— sie sah in ein offenes, befreites Gesicht, aus dem die Demütigung
und die Bedrückung der letzten Stunde verschwunden war.
„Sie haben Recht und doch nicht," antwortete er, „denn ganz so
einfach war es nicht. Meine Bekannten erklärten, daß Ihnen alle
„Net gnueg, daß i a große Wäsch Hab, no muß i
au no mei'm schimpfende Ma da Kopf wasche."
Die Verlobung
Marion wendete die Karte und den Umschlag hin und her, nichts,
kein Absender, kein Anzeichen für de» Urheber dieses Scherzes.
Sie, Marion Burg, würde sich also morgen -verloben mit dem
ihr vollkommen unbekannte» Lerbert Weniger, der Empfang würde
zwischen 10 und 12 Uhr bei ihr selbst stattfinden! Marion lachte laut
auf, und es lag eine ungewohnte Heiterkeit in diesem Lachen: „Nun
gut, komm nur, mein Bräutigam, du wirst dich wundern — — —,
zumindest findest du keine vor Ueberraschung stumme und ver-
schüchterte Braut!" —
Und Marion rüstete für den Empfang.
Die guten Tanten und Onkel Eduard, die immer besonders be-
sorgt um Marions Seelenheil waren, das ihrer Ansicht nach im
umgekehrten Verhältnis zu ihren beruflichen Erfolgen stand, erschienen
frühzeitig, um ihrer großen Freude über dieses unerwartete Ereig-
nis, aber auch ihrer Besorgnis über die Plötzlichkeit der Verlobung
Ausdruck zu geben. Mit strahlender Liebenswürdigkeit wehrte Marion
die vielen Fragen der Nengierigen ab: „Ihr werdet ihn ja sehen,
und Ihr wißt ja, die Beschreibung verliebter Bräute trifft niemals
zu, also habt Geduld, bis er kommt."
Es kamen Kollegen und Kolleginnen, entzückt, ehrlich erfreut,
mit kleinem Neid im Lerze», entrüstet über diese Verlobung, von
der niemand etwas gemerkt, auch nicht einmal geahnt habe.
Marion setzte ein kleines, listiges Lächeln auf. Ihr Blick musterte
jeden Neueintretenden unbemerkt. Es waren auch Fremde gekommen,
sie mit Neugierde und Erstaune» betrachtend. Marion lächelte ihr
reizendstes Lächeln, waren es doch Freunde oder vielleicht auch Kom-
plicen ihres zukünftigen Mannes, jenes Lerbert Wenigers.
Gegen 11 Ahr schließlich — es gab schon ein paar lauernde,
schadenfrohe Blicke über das Ausbleiben des Bräutigams und einige
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Scherze über die sitzengebliebene Braut — wurde ein Reuankont»
mender von den Marion fremden Gästen mit „Äallo" und „endlich"
begrüßt. Marion eilte auf den großen, kräftigen Mann zu, schlang
einen Arm um seine» Lals, bog seinen Kopf zu sich herab und küßte
ihn herzhaft auf den Mund. Sie sah lächelnd in ein paar verblüffte
Auge».
„Eigentlich müßte ich mit dir schelten — du ließest unsere Gäste
lange warten ...." Ihr Blick ließ seine Augen nicht los; im Linter-
grund hörte man ein gerührtes Murmeln von „bräutlichem Glück"
— „und dabei waren doch alle so sehr neugierig auf dich, Äerbert, —
und ich auch . . . .," fügte sie leise hinzu.
Es folgte eine lebhafte Stunde, und in dem regen Lin und Ler
der Gäste fiel es nicht auf, daß der Bräutigam und die Braut kaum ein
Wort miteinander wechselten. Wohl konnte man — und man tat
es — beobachten, daß zwischen allen gesellschaftlichen Pflichten sich die
Augen der Verlobten immer wieder trafen und Frage und Antwort
tauschten.
Strahlend ging Marion von Gruppe zu Gruppe, und während
sie scheinbar dem Gespräch der Tanten über die Pflege und Zucht
marokkanischer Kakteen lauschte, fing sie Brocken einer Anterhaltung
auf, die in einer Gruppe ihr fremder Gäste leise, doch lebhaft ge-
führt wurde: „Ich verstehe das Ganze nicht mehr .... er kennt sie
ja doch .... er hat uns alle gründlich hereingelegt .... oder sie
ihn . . . ."
Die Gäste waren gegangen, wohlbefriedigt die einen, in Rätsel
gestürzt die anderen.
Schweigend saßen Braut und Bräutigam sich gegenüber.
Marion erhob sich, sie schenkte ein Glas Weinbrand ein und
schob es dem Manne zu. Er wehrte ab.
„Nein, danke, so schwach bin ich nun doch nicht, — wohl habe
ich eine unsägliche Dummheit, vielleicht eine Gemeinheit begangen_"
„Lalt," unterbrach ihn Marion, „liegtim Ganzen etwas Tragisches ?"
Erstaunt verneinte er.
„Nun, so wollen wir auch nichts Tragisches daraus machen. Soll
ich Ihnen die Beichte abnehmen? Es handelt sich um eine Wette:
Ihre Freunde haben gegen Sie gewettet, ich würde, obwohl ich auf
der Bühne oft heitere Rollen spiele, zu denen nicht selten ein guter
Schuß Lumor nötig ist, im Leben diesen Lumor nicht aufbringen
können, um eine solche Situation zu meistern und zu einem guten
Ende zu führen. Nun, ist es so?" — Marion hatte von ihm abge-
wandt gesprochen und sich bei dieser Frage schnell zu ihm umgedreht
— sie sah in ein offenes, befreites Gesicht, aus dem die Demütigung
und die Bedrückung der letzten Stunde verschwunden war.
„Sie haben Recht und doch nicht," antwortete er, „denn ganz so
einfach war es nicht. Meine Bekannten erklärten, daß Ihnen alle
„Net gnueg, daß i a große Wäsch Hab, no muß i
au no mei'm schimpfende Ma da Kopf wasche."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Schutz-befohlene"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5174, S. 5174_148
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg