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Fliegende Blätter — 24.1856 (Nr. 553-576)

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Nr. 564
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94 Der königliche Kondrath.
(Schluß.)
Der alte Herr in der weißen Halsbinde war nicht der
Letzte gewesen, der aus seinem Eckplätzchen den gemächlichen
Reisebruchstücken seines Vis-ä-Vis mit lebhaftem Antheil zuhörte.
Er hatte sich aber nicht darauf beschrankt, sondern bei ein-
tretenden Pausen durch geschickt angebrachte Fragen und zwar
anderen, als womit der königliche Landrath auf die Lachmuskeln
der Gesellschaft eingewirkt hatte, die Unterhaltung in immer
lebhaftern Gang zu bringen gewußt; daran flocht er an paffenden
Stellen dann seinerseits aus einem fast unerschöpflich scheinenden
Schatze eigener Reiseerfahrungen und Anschauungen mannigfache
Erläuterungen in so einfacher und verständlicher und doch so
ächt klassischer Redeweise, so natürlich und ungesucht und doch
so treffend und meisterhaft, daß sich unvermerkt und wie von
selbst, die ganze ungetheilte Aufmerksamkeit der Gesellschaft, auch
die des Tabakshändlers, ihm zuwendete. Von dem gesteigerten
Jntereffe seiner Zuhörer und von der eigenen sichtlichen Be-
geisterung für das angeschlagene Thema getragen und fortgerissen
ging er dann zu Schilderungen eigener Beobachtungen und
Erlebnisse über und rollte vor den erstaunten Ohren und Augen
seiner Zuhörer ein großartiges Gemälde aus der Tropenwelt
nach dem andern auf. Er führte sie wie ein Zauberer im Fluge
von den nie rastenden Vulkanen der colossalen und unwirth-
lichen Andeskette zu den finstern Gebirgsschluchten des Ural,
von den unnahbaren Gestaden des kaspischen Meeres in die
fast endlosen und unabsehbaren Prairien Amerikas, zeichnete
mit kurzen treffenden Pinselstrichen das Pflanzenleben der
Steppen und das Thierleben in den Urwäldern des Orinoko
und in den Schilfwäldern der Wolga, die wilde Jagd des
Büffels und des Musethieres, das Einfangen der wilden
Pferde auf den Lano's des südlichen Amerika's und auf den
Steppen der Ukraine, schilderte die großartigsten Erdrevolutionen
und die kleinlichen Kämpfe und Eifersüchteleien der Menschen
und Partheien in den südamerikanischen Republiken, die dem
Gedeihen eines gesunden, festen Staatslebcns und der Ent-
wickelung der Civilisation fast unübersteiglichc Hindernisse bereiten,
reißt seine Zuhörer mit sich bald tief hinab in den geheimniß-
vollen Schooß der Erde, den der Menschen Gelddurst nach
Schätzen durchwühlt, bald hoch hinauf zu dem ewigen, dem
Auge so offen liegenden, und dem Geiste doch so verschlossenen
Firmament des Himmels unter die Planeten und Firsterne,
und wohin er seine Zuhörer führt, ist er ein sicherer, zuver-
lässiger, anregender Führer. Bald schweift er ein mühseliger
Wanderer im Kampfe mit Hindernissen und Entbehrungen aller
Art, barfuß mit abgerissenen Kleidern durch unwegsame Ge-
birgsschluchten und unter wilden, aller Gesittung fremden
Menschen umher; bald bewegt er sich mit dem Anstande und
den Ansprüchen eines Mannes von hoher Lebensstellung in den
Cirkeln der höchsten Gesellschaft, verkehrt mit Ministern und
Eintags-Präsidenten ebenso oft als mit den Söhnen der Wildniß.
Seine Lippen sprechen keine Worte, nein, sie malen in kraft-
vollen Pinselstrichen förmliche Bilder und seine Zuhörer wissen
nicht, ob sie mehr mit dem Ohre hören oder mit dem Auge
sehen. So interessant und ergötzlich auch die oft von einem
tüchtigen Gran von Komik und humoristischer Darstellung ge-

würzten Erzählungen des Tabaksfabrikanten gewesen, sie waren
doch nur aus der niedern, ich möchte sagen, aus der Tabaks-
sphäre eines intelligenten Kauf- und Handelsherrn entnommen.
Die Schilderungen des unbekannten Herrn mit der weißen Halsbinde
waren dagegen kostbare Perlen aus der Schale der vollendetsten
Wissenschaft, die er mit freigebiger Hand, als seien es nur
Haselnüsse, ausstreute, und die nur einen Zweifel bei den Zu-
hörern übrig ließen, ob die classische Form der großartigen
Naturanschauung, die er in so treffenden Zügen leicht und wie
spielend entwarf und der tiefe und doch so klar verständliche
fast anschauliche Inhalt seines Vortrags — oder die fast kindlich
unbewußte Bescheidenheit des Darstellenden am meisten Be-
wunderung verdiene. Die Pausen auf den Anhalteplätzen der
verschiedenen Stationen gingen fast unbemerkt an der Gesellschaft
vorüber. Keiner verließ das Coupee; hin und wieder stieg ein
neuer Fahrgast ein, aber kaum bemerkt; denn still und ver-
wundert schloffen sich die Reuankommendcn den klebrigen an
und genoffen schweigend und staunend die wunderbar saftigen,
tropischen Früchte, die der wunderbare Mann mit der hohen
Stirn und dem kindlich anspruchlosen Auge darunter mit so
wohlthucnder Verschwendung aus dem Füllhorn, das er in dem
mit spärlichem Haar bedeckten, ehrwürdigen Haupte zu tragen
schien, auf sie herabschüttete. Selbst der königliche Landrath
Hatte die ganze Front seines interessanten Gesichts dem Redenden
zugekehrt und spitzte, wie man zu sagen pflegt, Maul und
Ohr. Eine Frage schien auf seinen Lippen und verborgen in
der Seele der llebrigen zu liegen, die: „wer und was ist nur
dieser wunderbare Mensch in dem Eckplätzchen des Coupee's mit
dem Riesengeiste und dem Kindesauge? Ist er ein hoher
Staatsbeamter, oder ein Professor der Naturwissenschaften und
der Astronomie, ein Bergwerksbesitzer, ein Diplomat, ein Kam-
merherr oder was sonst?" Nur darüber waltete bei den
Meisten kein Zweifel ob, daß er keine Aehnlichkeit mit dem
königlichen Landrath hatte.
Der grelle Pfiff der Lokomotive kündete plötzlich ebenso
unerwartet als unverhofft der Gesellschaft an, daß sie, am Ziele
ihrer Reise, in Berlin angekommen. „Schon in Berlin!" rief
es aus aller Munde. Schon flogen die Wagenthüren auf.
Ein Bedienter in einfacher Livree wartete des Unbekannten.
Langsam erhob sich dieser, rief und winkte der Gesellschaft ein
freundliches, herzliches Lebewohl zu und wollte eben den Wagen
verlassen, da ergriff der Täbakshändler eine seiner Hände und
sagte: „Sie dürfen wahrhaftig noch nicht scheiden, mein Herr;
Sie müssen noch etwas mitnehmen, unserer Aller lebhaftesten
Dank für die genußreichen Stunden, die Sie uns bereitet,
und" fügte er dann fast zaghaft hinzu, „etwas hier lassen, was
wir gern der Erinnerung an die eben verlebten kostbaren
Stunden anreihen möchten, Ihren Namen!"
„O! Sie sind in der That zu gütig, mein Herr," er-
widerte der Unbekannte fast verlegen; „ich heiße Alexander von
Humboldt. Leben Sie Alle recht herzlich wohl; es würde mir
eine große Freude sein, wieder mit Ihnen zu reisen." Er
winkte noch einmal mit der Hand und mit den lieben, sinnigen
Augen und entfernte sich dann am Arm seines Dieners, und
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