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Fliegende Blätter — 28.1858 (Nr. 653-678)

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106

Vetter Andres.

Es währte auch gar nicht lange, so hatte sich Vetter
Andres einen ausgebreitcten Wirkungskreis erworben, der seine
Zeit vollständig in Anspruch nahm und sich weit über das
Haus der Frau Muhme, ja über das ganze Dorf erstreckte.
Er zog und pflegte die Blumen, mit denen er das Zimmer
und die Fensterbretter seiner Wohlthäterin schmückte, wichste ihr
die Schuhe, was sie gar nicht von ihm verlangte, er sich
aber nicht nehmen ließ, machte das Holz klein und trug'S zur
Küche oder in der Winterszeit vor die Ocfen, tapezirte die
Zimmer aus, wcnn's nöthig und unnöthig, stellte Mause-
fallen auf und verstopfte die Mauselöcher, wofür ihm die Frau
Muhme sehr dankbar war, da sie zcither von diesem Ungeziefer
arg belästigt wurde; ganz besonders aber besorgte er den großen,
vom Dorfe entfernt liegenden Berggartcn mit Ausdauer, Fleiß
und Geschick. O! dieser Garten, der zcither der Frau Jnspec-
torin so manchen Thaler Tagelohn gekostet und doch nur Sorge,
l Acrger und Verdruß bereitet hatte, weil er für eine einzeln- !
stehende Frau schwer zu beaufsichtige», auch selbst mit Auf-
wendung unverhältnißmäßiger Kosten nicht gehörig im Stande
zu erhalten und den täglichen Naschereien und Diebereien der
Jugend ausgesetzt war, er wurde unter Vetter Andresens fleißigen
Händen ein kleines Paradies für die Frau Muhme, die nun
manche» stillen Sommernachmittag genußreich und vergnügt
darin verbrachte, sich der schönen Blumenbeete und der schwellenden
Früchte erfreute und nicht genug über Vetter Andresens Ge-
schick und Fleiß in Bearbeitung des Gartens und bei der Pflege
des Gemüses und der Pflanzen verwundern konnte. „Hätte
er doch früher nur halb so viel Fleiß und Geschick bei der
Besorgung seiner eigene» Angelegenheiten entwickelt," dachte sie
da oft, „es wäre ja nimmer dahin mit ihm gekommen." Hier
war er so recht in seinem Elemente. Im ersten Frühjahr
war er mit der Sonne auf, grub, säete und pflanzte, steckte
Beete ab, begoß und gätete, wie's grade nöthig war, als ein
getreuer, unverdrosiener Gärtncrsmann; und wenn dann Nach-
mittags die Frau Muhme kam und seinen Fleiß und seine
Thätigkeit mit wohlwollendem Lächeln belobte, o! da hättet ihr
die freudige, selige Genugthuung auf dem gebräunten, gesund-
heitsstrotzcnden Anlitzc des freiwilligen Gärtners sehen sollen.
Bald hatte die Frau Muhme die frühesten jungen Erbsen, die
ergiebigsten Spargelfelder, eine nicht zu bewältigende Fülle von
Erd- und Himbeeren, ja in sonnigen Jahren von schmackhaften,
saftigen Melonen, daß sie gar nicht wußte, wohin mit alle dem
Reichthum, und allwöchentlich ganze Sendungen davon an ihre
Kinder schicken konnte. Aprikosen und Pfirsiche hatte sie in Fülle
und mit dem Obste konnte sie einen förmlichen Handel treiben, ob-
gleich sie die Hälfte davon an Arme und Bedürftige verschenkte.
Das Alles war das Werk unsers Andres. Nur die Naschereien
; und kleinen Diebstähle im Garten wollten Anfangs nicht ab-
nehmen, bis Vetter Andres folgendes sinnreiche Mittel ersann,
mit dem er die jungen Diebe verscheuchte und obendrein die
Frau Muhme höchlichst überraschte. Er hatte nämlich an allen
vier Ecken des mit einer Mauer umzogenen Berggartens auf Stan-
gen große Tafeln mit folgenden Inschriften eigener Erfindung
angebracht. Auf der einen Ecke erhielt die Tafel die Inschrift:

Geh nicht herein!

Es wird Dein Unglück sein.

Auf der nächsten stand:

Allhicr auf diesen Wegen
Seind Fußangeln gelegen.

Die dritte enthielt die Worte:

Hinter dieser Mauer
Steht Andres auf der Lauer.

Die vierte endlich:

Auch in der finster» Mitternacht
Hält Andres in dem Garten Wacht.

Als die Tafeln aufgestellt waren, führte er die Frau
Muhme in Triumph in den Garten und sie kam gar nicht
aus dem Lachen heraus über die närrischen Inschriften. Als
ihr nun Vetter Andres die verborgenen Fußangeln zeigte, da
wollte er der Frau Muhme recht deutlich veranschaulichen, was
das für ein höchst gefährliches Instrument sei. Vorsichtig hielt
er den einen Fuß darüber und sagte mit der Miene eines Sach-
verständigen: „Wenn ich jetzt nur leise die verborgene Eisen-

platte da unten berühre, so schlägt die Angel . . . ." Gerade
in diesem verhängnißvollcn Augenblicke kam ihm unerwartet

Andres zappelte, als wenn er am Spieße steckte. Nun waren

zwar die spitzen Eisen nicht gerade durch das starke Leder seiner
Stiefel geschlagen; aber seine Knöchel waren doch tüchtig ge-
> quescht und die Hose zerrissen. Der Schade» war bald wieder
hergestellt, und obgleich die Frau Muhme heimlich die gefähr-
lichen Fußangeln entfernen ließ, hörten doch die Diebereien bald
gänzlich auf, eine so heilige Scheu hatten die Jungen vor den
fürchterlichen Inschriften auf den Tafeln.

Aber auch gegen die Nachbarsleute, ja gegen alle Leute
im Dorfe war er zu jeder Hülfslcistung bereit. Er flickte wie
ein Sattler kleinere Mängel an den Geschirren aus, besorgte
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schrecken <Motiv>
Spaten
Ältere Frau <Motiv>
Entlarvung
Karikatur
Dieb <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Fußangel

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 666, S. 106

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