164 D c r Schneider von Ulm.
„Tu hast deinem Meister aufgesagt," fuhr sie er-
bleichend fort, „und willst nun vielleicht gar Ulm und
mich verlassen?"
„Ich dich verlassen?" fiel er mit freudestrahlendem
Gesichte schnell ein, „ich komme, um mein ganzes Leben
lang bei dir zu bleiben. Du und die Welt sollen den
Joseph erst kennen lernen. In Kurzem bin ich ein
gemachter Mann, und die Spielleute machen uns lu-
stig zur Hochzeit auf. Sobald wir meine Flügel fer-
tig haben, kannst du das Brautkleid anfangen."
Annamarie sah ihren langen Schneider mit großen
Augen und offenem Munde an, und fürchtete fast, er
sei übergeschnappt. Allein Joseph setzte sich ganz ma-
nierlich neben sie, legte ihre Hand zärtlich in die sei-
nige, und erzählte nun seiner aufmerksamen Zuhörerin
Alles ausführlich, was seit Monden in seinem Kopfe,
und vor einer Stunde in der Werkstatt am Münster-
platze vorgegangen war.
WaS glauben sich Verliebte nicht Alles gegenseisig
gerne! Natürlich, sie leben ja im Reiche der Phantasie,
und da gibt's keine Wunder, und eine schwärmende
Weißnäherin kann auch einen Schneider für einen Hel-
den halten. Wie wohlthuend war ihm gegenüber der
rohen Stumpffinnigkeit des buckeligen Meisters, das
Entgegenkommen, die innige Theilnahme seinesMädchens.
Annamarie fand selbst das Bedenklichste einleuch-
tend, sie schüttelte nicht einmal den Kopf, als Joseph
auf den zarten Punkt seiner glorreichen Erfindung kam.
Wie hätte sie da erst lange zweifeln und fragen kön-
nen? Woher nähme der sonst so stille und bescheidene
Gegenstand ihrer Liebe diese feurige Beredtsamkeit,
diese Bestimmtheit in Ton und Wort, wenn seine
hohe Kunst nicht eine abgemachte Sache wäre?
Die Hand vor die ttäumerischen Blicke haltend,
sah sie ihn schon dahinfliegen als goldenen Wiedehopf.
Durch einen langen Kuß des überschwänglich seligen
Joseph aufgeweckt aus dem wachen Traume berathschlag»
ten sie nun mit einander, wie die gemachte Erfindung
am billigsten in's Werk zu setzen sei. Es ist nichts
erforderlich als ein Paar Flügel. Allein diese müssen
stattlich werden und kosten allerdings viel Geld. Sie
schütten ihr Erspartes zusammen auf den Tisch und
rechnen. Die eisernen Schienen, welche das Gerippe
der Flügel vorzustellen haben, soll ein geschickter Schlosser
machen. Sie beide wollten jene mit Wachstaffet über-
ziehen. Wachstaffet muß deßhalb dazu genommen werden,
damit der Regen den Riesenfittigen nichts anhaben kann.
Annamarie will dann noch etwas Uebriges thun, und
den aufgenähten Taffet mit bunten Gansfedern eigenhän»
' dig verbrämen, damit des kühnen Erfinders so scharfsinnig
erdachte Schwingen Vogelflügeln desto ähnlicher würden.
(Fortsetzung folgt).
Der Pudel in der Pension.
(S ch l u ß.)
Erst fesselt' Staunen mir die Sprach' —
Dann sprach ich: „Caro, guten Tag,
Wie geht's Dir, alter Schlingel, sprich?"
Da sprach der Hund: „Wer duzt da mich?
„Ye wizen’d scawl, ’) que voulez vous? *)
„Ecco la casa, 3) Herr von Du!
„Hades aures? *) Ouvis me dem? 5)
„Vielleicht kommt Ihr da d'rin bequem!
„Man regulirt Euch, 's kann wohl sein,
„Uet beschuitjens en moezelwijn. *)
’) Schottisch: Ihr anSgetrockneter Keifer! Französisch: Was
wollt Ihr? 3) Italienisch: Da ist das Haus. *) Lateinisch: Hast Du
Ohren? 5) Portugiesisch: Hörst du mich wohl? 6) Holländisch: Mit
BiScuit und Moselwein.
„Tu hast deinem Meister aufgesagt," fuhr sie er-
bleichend fort, „und willst nun vielleicht gar Ulm und
mich verlassen?"
„Ich dich verlassen?" fiel er mit freudestrahlendem
Gesichte schnell ein, „ich komme, um mein ganzes Leben
lang bei dir zu bleiben. Du und die Welt sollen den
Joseph erst kennen lernen. In Kurzem bin ich ein
gemachter Mann, und die Spielleute machen uns lu-
stig zur Hochzeit auf. Sobald wir meine Flügel fer-
tig haben, kannst du das Brautkleid anfangen."
Annamarie sah ihren langen Schneider mit großen
Augen und offenem Munde an, und fürchtete fast, er
sei übergeschnappt. Allein Joseph setzte sich ganz ma-
nierlich neben sie, legte ihre Hand zärtlich in die sei-
nige, und erzählte nun seiner aufmerksamen Zuhörerin
Alles ausführlich, was seit Monden in seinem Kopfe,
und vor einer Stunde in der Werkstatt am Münster-
platze vorgegangen war.
WaS glauben sich Verliebte nicht Alles gegenseisig
gerne! Natürlich, sie leben ja im Reiche der Phantasie,
und da gibt's keine Wunder, und eine schwärmende
Weißnäherin kann auch einen Schneider für einen Hel-
den halten. Wie wohlthuend war ihm gegenüber der
rohen Stumpffinnigkeit des buckeligen Meisters, das
Entgegenkommen, die innige Theilnahme seinesMädchens.
Annamarie fand selbst das Bedenklichste einleuch-
tend, sie schüttelte nicht einmal den Kopf, als Joseph
auf den zarten Punkt seiner glorreichen Erfindung kam.
Wie hätte sie da erst lange zweifeln und fragen kön-
nen? Woher nähme der sonst so stille und bescheidene
Gegenstand ihrer Liebe diese feurige Beredtsamkeit,
diese Bestimmtheit in Ton und Wort, wenn seine
hohe Kunst nicht eine abgemachte Sache wäre?
Die Hand vor die ttäumerischen Blicke haltend,
sah sie ihn schon dahinfliegen als goldenen Wiedehopf.
Durch einen langen Kuß des überschwänglich seligen
Joseph aufgeweckt aus dem wachen Traume berathschlag»
ten sie nun mit einander, wie die gemachte Erfindung
am billigsten in's Werk zu setzen sei. Es ist nichts
erforderlich als ein Paar Flügel. Allein diese müssen
stattlich werden und kosten allerdings viel Geld. Sie
schütten ihr Erspartes zusammen auf den Tisch und
rechnen. Die eisernen Schienen, welche das Gerippe
der Flügel vorzustellen haben, soll ein geschickter Schlosser
machen. Sie beide wollten jene mit Wachstaffet über-
ziehen. Wachstaffet muß deßhalb dazu genommen werden,
damit der Regen den Riesenfittigen nichts anhaben kann.
Annamarie will dann noch etwas Uebriges thun, und
den aufgenähten Taffet mit bunten Gansfedern eigenhän»
' dig verbrämen, damit des kühnen Erfinders so scharfsinnig
erdachte Schwingen Vogelflügeln desto ähnlicher würden.
(Fortsetzung folgt).
Der Pudel in der Pension.
(S ch l u ß.)
Erst fesselt' Staunen mir die Sprach' —
Dann sprach ich: „Caro, guten Tag,
Wie geht's Dir, alter Schlingel, sprich?"
Da sprach der Hund: „Wer duzt da mich?
„Ye wizen’d scawl, ’) que voulez vous? *)
„Ecco la casa, 3) Herr von Du!
„Hades aures? *) Ouvis me dem? 5)
„Vielleicht kommt Ihr da d'rin bequem!
„Man regulirt Euch, 's kann wohl sein,
„Uet beschuitjens en moezelwijn. *)
’) Schottisch: Ihr anSgetrockneter Keifer! Französisch: Was
wollt Ihr? 3) Italienisch: Da ist das Haus. *) Lateinisch: Hast Du
Ohren? 5) Portugiesisch: Hörst du mich wohl? 6) Holländisch: Mit
BiScuit und Moselwein.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Pudel in der Pension"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)