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Fliegende Blätter — 30.1859 (Nr. 705-730)

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Nr. 705
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https://doi.org/10.11588/diglit.3158#0005
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gewicht gegen die Unruhe, die an den andern Tischen herrschte,
gehabt hatte, gleichsam seinen Halt verloren zu haben schien
und selbst auch eine so unsichere schwankende Physiognomie an-
nahm, daß man jeden Augenblick hätte erwarten sollen, die
Wände würden sich sammt dem Fußboden zu drehen anfangcn,
und alles in kreisender Bewegung umhergewirbelt werden.

Was war cs nun, das diesen plötzlichen Wechsel hcrvor-
brachte, unter dessen Gewicht der unruhig auf und abgehende
Gastgeber fast zu erliegen schien? Wie so oft in der Welt,
so entsprach auch dicßmal die Ursache, dem äußeren Anscheine
nach wenigstens, in keiner Weise der furchtbaren Wirkung.
Oben an dem Tische, gerade an dem Ehrenplätze, den der
Oberbeamte einzunehmen pflegte, hatte mit entsetzlicher Naivi-
tät und einer Sicherheit und Ruhe, die den Wirth geradezu
in Verzweiflung brachte, ein frischer junger Geselle Platz ge-
nommen, hatte dem höflichen Bedeuten des Gastgebers, daß
hier eine stehende Gesellschaft ihren Sitz aufgcschlagen habe,
und er dadurch gcnirt werden möchte — daß er selbst geniren
könnte, hatte er nicht zu sagen gewagt — die fröhliche Ant-
wort gegeben, daß nichts in der Welt ihn zu geniren im
Stande sei, und als jener, immer ängstlicher werdend, ihm
entgegncte: „Ja, aber die alten Herrn könnten vielleicht" —
ihn, rasch einfallend, gefragt: „Was könnten die Herrn?"
und ihn dabei mit so klarem, forschendem Auge angcblickt,
daß er sich nicht mehr zu sagen getraut und sich, etwas Un-
verständliches murmelnd und vergebens seine Verwirrung zu
verbergen suchend, zurückgezogen hatte.

Wir unterlassen es, die Gefühle des Erstaunens zu be-
schreiben, die sich aus den Gesichtern der ersten Stammgäste ab-
malten, als sie, einer nach dem andern anlangcnd, den Ein-
dringling sahen, den Ausdruck schlecht verhehlten Unwillens,
mit dem sie sich, statt auf den gewohnten Plätzen, auf den
neuen aufgedrungenen niederließen, die stumme Resignation,
in der sie da saßen, des gewohnten Comforts entbehrend.

Denn wenn gleich dem oberflächlichen Beobachter alle Sitzwerk-
zeuge unter einander so ähnlich vorkamen, wie ein Ei dem
andern, so hatte doch das feine aposteriorische Gefühl der
Stammgäste längst gewisse Unterschiede unter den einzelnen
Stühlen der Herrenstube entdeckt, und dcmgnnäß jeder von
ihnen denjenigen auserwählt, welcher die bequemste Unterlage
für seine individuelle Körperlichkeit bildete.

Wir verzichten auch darauf, das gedrückte Wesen zu schil-
dern, das an diesem Abend die ganze Gesellschaft beherrschte,
die kummervollen Mienen, mit denen die früher Eingetroffenen
vom ungewohnten Platze aus die später Anlangenden bcwill-
kommneten, den kläglichen Ton, mit dem man früher als ge-
wöhnlich aufbrechend, sich gute Nacht wünschte. Nur daS fei
bemerkt, daß der Urheber dieser Mißstimmung von dem allem
rein nichts wahrzunehmen schien, daß die ehrerbietige und doch
selbstbewußte Weise, mit der er die Herrn begrüßte, wenn sie
auch den Unwillen selbst nicht verhinderte, doch keinerlei Aeußer-
ung desselben gestattete, daß, wenn einer oder der andere ihm
einen tadelnden Blick zuzuwerfen wagte, aus dem klaren,
blauen Auge des jungen Mannes ein so unbefangener und
zugleich so durchdringender Blick dem seinigen begegnete, daß er
schnell die Augen Niederschlagen mußte, um die augenblickliche
Verlegenheit zu verbergen. Und so sehr sich die Entrüstung
auf allen Gesichtern malte, als der Fremde sich gar in das
Gespräch mischte, so wenig konnten sie ihm bei der feinen,
bescheidenen und doch sicheren Weise, in der er cs that, wirk-
lich gram werden. Man mußte sich gestehen, daß, wenn an
diesem Abend der Wein nicht gar zu Gift geworden, wenn
der Zustand, in dem man sich befand, wenigstens erträglich
gewesen war, man das einzig und allein dem Störefricd selbst
zu verdanken hatte.

Zwar als am folgenden, am dritten und vierten Tage
der junge Mann sich wieder einfand, als man sah, daß cs sich
nicht um eine vorübergehende Störung des süßen Gewohnheits-
rechts, sondern um einen bleibenden Zustand handelte,
da kochte es in allen Herzen auf gegen den frechen
Eindringling, der offenbar sich vorgcnommcn hatte,
mit den Herrn allesammt seinen Spaß zu treiben
und sie, freilich konnte sich Niemand denken, warum,
durch seine Anwesenheit zu ärgern. Hatte er aber
wirklich diese Absicht, so wußte er sie wenigstens
meisterhaft zu verbergen, das war keine Frage.
Kein Blick, kein Zucken des Munds verrieth auch
nur das Mindeste von böslichem Spott und Hohn.
Er war, wie er es vom Anfang gewesen, immer
ganz Ruhe und Ehrerbietung; in dem Maße, als
er bekannter wurde, grüßte er freundlicher, zutrau-
licher, mit Nennung von Namen und Titel, freute
sich, die Herrn gesund wieder zu sehen, ging bcreit-
j willig auf ihre Licblingsideen ein, erlaubte sich nach
| und nach theilnehmcnde Fragen über ihre amtlichen
! und Privat - Verhältnisse, ließ sich gerne von ihrer
Weisheit und Erfahrung berichten, erzählte mit be-
! scheidener Zurückhaltung Interessantes aus seinen Reise»,
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Opfer"
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Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Werktitel/Werkverzeichnis

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Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

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Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Rauchen <Motiv>
Gaststätte <Motiv>
Eindringling <Motiv>
Stammtisch
Missbilligung
Karikatur
Stammgast
Satirische Zeitschrift

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Fliegende Blätter, 30.1859, Nr. 705, S. 2

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