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Fliegende Blätter — 30.1859 (Nr. 705-730)

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Nr. 726
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https://doi.org/10.11588/diglit.3158#0174
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Die Hebe

so kann ich mich jetzt nirgends mehr blicken lassen vor den
Leuten, sondern muß mich verstecken unv unter die Erde ver-
kriechen. Denn Jedermann wird's inne werden, Jedermann in
der Stadt und aus vcm Lande, und wird über mich lachcd.
Und auch meine Knechte und Mägde werden's hören, und wenn
ich ihnen den Rücken zudrchc, über mich spotten, und man
wird mit den Fingern ans mich deuten, wo ich gehe und stehe,
und ich muß cs leiden! Und so werde ich mit Schimpf und
Sckande vor der Zeit in die Grube fahren, und nach dem
Tode die Schmach meinen Kindern zurücklassen. Und wer an
dem allem schuld ist, das bist Du, Du, den ich aus Barm-
herzigkeit in mein Hans ausgenommen, den ich als Hungrigen
gespeist und als Zerlumpten gekleidet habe, Du, meines Bruders
Sohn! So hast's mir gcdankl. „Fort," schloß er, „fort ans
meinen Angen! Verflucht sei der Tag, an dem ich Dich zum
ersten Riale gesehen und Erbarmen mit Dir gehabt habe! Fort
aus meinem Hanse, und mach's mit unserem Herrgott anS, wenn
Du kannst!" Der Maler wollte sprechen, aber der Bauer ließ
es nicht zu. „Schweig und geh'," rief er, „Deine Worte sind
umsonst! Du kannst's nicht entschuldigen, nicht verantworten,
weder vor Menschen, noch vor Gott!"

Der Maler mußte gehen, er stieg wieder hinab zu der
> Bäuerin. „Nicht wahr," sagte diese, „der Bauer hat sich nicht
bereden lassen? die Schmach war auch zu groß. Er wird's
| nimmer verwinden. Ich weiß gewiß, 's frißt ihn am Leben,
denn er hat immer viel ans die Ehr' gehalten. Du mußt eben
jetzt fort,' denn der Bauer könnte Dich nicht mehr sehen s
kam' ihm allemal wieder die Galle." So packte der Realer
denn seine Sachen zusammen und die Bäuerin ließ ihn zur
Stadt führen, wo er zunächst bei seinem Freunde sein Snartier
aufschlagen wollte.

Als er dort ankam, empfing ihn der Freund mit der
frohen Nachricht, daß der Kunstverein sein Gemälde, den
! Bauernhof, bereits zum Ankauf ansersehen habe. Unter an-
deren Umständen würde das den Maler hoch beglückt haben.

' 'kder noch ganz erschüttert von dem, was vorgefallen war,
konnte er cs im Augenblicke zu keiner freudigen Stimmung,
Zn keinem frohen Gesichte bringen. „Mensch, was hast Du?"

! klagte der Freund, der jetzt erst, voll Verwunderung, daß der
! Maler so gar keine Freude über die Nachricht bezeugte, ihn
genauer ansah und die Spuren der großen Gemüthsbewegnng
seinen Zügen entdeckte,' „Du machst ja ein Gesicht, als
hättest Du Dein Todcsnrtheil gehört!" „Es i|t auch fast
sprach der Maler, und erzählte ihm, was vorgcfallcn
war. „Ach so!« sagte der Freund lachend, nach dem er gc-
endet hatte, „das war also Dein trefflicher Vetter in höchjt-
^gener Person, der da gestern die Komödie aufgeführt hat,
k'ei der sich freilich das Publikum nicht zum feinsten benom-
I "wn hat,' und jetzt sollst Dn's büßen!" „Es ist nichts zu
lachen", cntgcgncte der Maler. „Wenn Du de» Mann kenn-
! wst, würdest Du ermessen, wie tief er gekränkt ist, und wenn
®u wüßtest, was ich ihm schuldig bin, müßtest Du begreife»,
wie mir zu Rinthe ist, daß ich in seinen Augen so dastehc."
~~ "So überzeuge ihn cineS Bessern!" — „Du siehst ja.

raschung. 171

cs geht nicht. Er hat mich, als ich mich rechfcrtigen wollte,
gar nicht angehört, und wird mich auch nie anhörcn wollen.
Ueberdieß hat er mich aus dem Hanse gewiesen, und ich kann
nicht mehr dahin zurückkehren." Der Freund überlegte sich's
eine Weile und sagte dann: „Ich glaube selbst, daß Reden
im jetzigen Augenblicke nicht viel helfen werden. Aber laß
einige Zeit darüber verstreichen. Wenn er wirklich der Mann
ist, wie Du ihn schilderst, wird er mit der Zeit unter seiner
Linde von selbst aus bessere Gedanken komme». Und über-
dicß wollen wir's ihm gedruckt unter die Nase halten. Was
die Oesfentlichkeit gesündigt hat, das soll sie auch wieder gut
macken." „Ich verstehe nicht, was Du damit sagen willst",
sprach der Maler. „Ist auch nicht nöthig" , cntgcgncte der
Freund. „Uebcrlaß die Sache mir. Ich parire, daß ich Dir
den Mann znrcchtbringe, so daß er Dich selbst wieder zu sich
cntbietctet und froh ist, wenn Du ihm verzeihst. Du bleibst
einstweilen bei mir und wartest ruhig den Verlauf der
Sache ab."

Der Thalbauer hatte in der nächsten Zeit böse Tage. Er
meinte, jedermann müsse es ihm ans der Stirne lesen, wie
er beschimpft worden sei, zitterte, wenn er ein fremdes Gc-
jicht sah, und scheute sich sogar, seinen eigenen Leuten in's
Antlitz zu schauen. Den Platz unter der Linde einzunehmen
hätte er sich vollends geschämt. Mit der Zeit aber fand er
sich selbst wieder und entdeckte mit Verwunderung, daß alles
noch im alten Recht stand. Die Sache war ein paar Tage
Stadtgespräch gewesen und dann der Vergessenheit übergeben
worden. Sic war auch wirklich für andere zu unwichtig, als
daß sie sich längere Zeit im Munde der Leute hätte erhalten
können. Von den Landleuten aber war er der einzige gewe-
sen, der die Ausstellung besucht hatte, und so erfuhr man
auf dem Lande gar nichts davon. Bei seinen Dienstboten
aber hatte der ungemessene Respekt, den sic vor ihm hatten,
die Wirkung, daß sie die Sache ganz nur zum Nachtheil des
Malers anslcgten, und sich unter ihnen die Sage verbreitete
der Maler habe seine Sache so schlecht gemacht, daß der
Bauer sich recht an ihm geschämt und den Nichtskönner aus
dem Hanse gejagt habe. Auch machte cs ihm doch Gedanken,
als ihm die Bäuerin später in einer günstigen Stunde er-
zählte, wie der Maler ihr die Sache berichtet- und hoch und
thencr versichert habe, daß er vermeint habe, dem Herrn
Vetter die größte Ehre anznthun. Anfangs verwarf er diese
Auslegung zwar ganz. Es war ihm rein unfaßlich, wie man
einen so könne ehren wollen. Atlmählig aber, wenn er sich
das ganze Wesen des jungen Mannes, die tiefe Ehrfurcht, die
er ihm bei jeder Gelegenheit bewiesen hatte, den frommen
kindlichen Sinn, den er so vielfach an ihm beobachtet, ver-
gegenwärtigte, wollte cs ihm doch auch wieder wunderbar
Vorkommen, daß derselbe ihm vorsätzlich eine solche schmähliche
Kränkung sollte bereitet haben. Der Anschlag wäre ja ganz
satanisch gewesen, und einem solchen Teufel sah der junge
Mann doch wahrlich nicht gleich.

Da wurde ihm, eben als er zum ersten Rial wieder
unter der Linde Platz genommen hatte, die neueste Nummer '

2a*
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