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Fliegende Blätter — 34.1861 (Nr. 809-834)

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Nr. 823
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https://doi.org/10.11588/diglit.3268#0119
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114

Der verhexte Hut.

Un weil nu grade mahn Hut is oben gefunden worden, so
soll ich'n aach nahfgcsetzt haben."

Hier hat sich der Lipmann ahne Thren aus den Augen
wischen missen. Dann hat er weiter gesagen:

„Aber den Rosch *) will ich mer lassen abrcißcn, eh ich
bcßahl ahnen rothen Pfenning! Stoßen soll ich mer lassen,
treten, schimpfen, einstcckcn wollen se mer, un davor soll ich
noch beßahlcn? Ich ßahl nir und soll ich sitzen bis an mah-
nes Lebens End."

Dann iS der Lipmann aus purer Verzweiflung in sahn
Goleff eingcschlofen un hat getreimt von de Ungerechtigkeiten
der Welt. Ahn sch anfler Traum aber ahn wahrer Traum!
Wie lang er hat gcschlofen, das hat der Lipmann aach nich
gewitzt, denn in sahn Gefengnis ist es gewesen schwarzfinstre
Nacht ßu alle Szeit. Wie er is ahsgewacht, hat neben ihm
gestanden a' Töppchc mit Wasser un a' Stick Brod, was er
hat essen kennen. Is ahne prächtige Mahlßeit gewesen! Un
das hat er Alles missen ertragen von wegen dem alten
Filßhut!

Nach ä paar Stunden thut sich ahs ahn Mal die Thir
ahs un ahne ganßc Gesellschaft tritt herein mit Lichtern un
grauße Papiere.

„Wai mer," hat Lipmann gedenkt, „itzt geht's ans
Leben. Wer weiß, ob se mer nich wollen am Ende gar »och
den Rosch abschlagcn."

Aber diesmal hat er Fch gctcischt; denn der Gefeugnis-
wcrtcr tritt ganz heflich herßu, nimmt ihm die schweren Ketten
ab un macht dann ahn tiefes Kimpclmcnt. Nu kimmt der
ahne Richter, was hat gestern dem Lipmann sahn Urthcil an-
geßeigt, und sagt:

„Herr Lipmann, vcrßeihn se, man hat Ihnen Unrecht
gethan. Die beiden Taugenirer, was haben unser» gnädigst
verstorbenen gußeisernen Herrn Landesvatcr Ihren alten schau-
feln Filßdeckel ahs'n KoPP gesetzt, haben mer itzt gefangen un
sc haben Alles gestanden: wie se haben Ihren Hut vor Ihrer
Thir gefunden un ihn in der Nacht ahs di Statih gesetzt.
Mer geben Ihnen hiemit Ihre Freiheit un Ihre Onschold
ßurück."

„Hab ich's nich gesogen," schreit itzt Lipmann voller
Frcidcn, „Hab ich's nicht gesogen, daß ich bin onscholdig!

De Freiheit geben sc mer itzt freilich ßurück, aber von wegen

der Onschold, das is 'ne faule Sache, die kennen Se mer
nicht mehr ßurückgebcn. Ich werd machen eine Schadenklag,
das sollen Se erleben. Hier stecken sc mich ein fcr nir und
wieder nir un ßu Hause kommt mahn Geschäft in's Stocken.
Wer wais, was ich Hab Alles eingebüßt fer rare, seine Ge-

schäftcher in die paar Tag, aber ich klag ahs Ersatz, daö sollen

Se erleben!"

Der Richter hat gar nir drahf geantwortet un Lipmann
is mit ahnen Sprung gewesen 'naus in der freien Welt, un
gelahfen is er wie a' Lokimitif, denn er hat gehoben Maure**)
daß se'n kennten noch ahn Mol ßurückholcn. Erst in sahner

Dachkammer hat er ausgeruht und is froh gewesen, wie er
wieder so glicklich is hier angelangt.

Nu hat er aach gleich wollen machen de Schadenklag
gegen de Gerichte, aber wie er sich's so richtig iberlegt, so
sieht er doch ein, daß cs werde ahne schiefe Geschichte, denn
wo Ahner klagt gegen de Gerichte, wer werd behalten Recht,
der Kläger oder die Gerichte? Gewiß nich der Kläger, un so
war Lipmann itzt aach so klug, sich mit seine beschädigte On-
schold ßu begnigen un gar nicht ßu klagen.

Sechstes Kapitel.

De Poleßei kimmt noch ahn Mal, aber un Guten
un bringt den Hut ßurück. Lipmann muß dann

noch beßahlcn wieder drei Tholer mitten in de
Nacht wegen sahnen alten Hut.

Heint hat Lipmann nich mehr Geschäftcher machen wollen
un hat gedenkt, sich ßu legen sofort in's Bett. Ach, wie
hat er sich gestreckt un gedehnt in 's Bewußtsein ßu schlafen
in de Freiheit un nich mehr ßu senn in das dunkle Goleff.

Aber kaum hat er de Aagen ßugemachen, da pumpcrt's
wieder gewaltig an de Thir. Lipman ist hauch in de Höh
gefahren und hat mit Bangigkeit gcsragcn: „Was soll's?
Wer is da?"

„Machen Se ahs, Herr Lipmann, ich bin's," hat's ge-
antwort't.

„Wer is: ich bin's?" fragt Lipmann wieder.

„De Poleßei," schreits draußen.

Aber wie Lipmann hört, daß de Poleßei is wieder da,
is er wieder gckriecht ganz tief unter de Bettdeck. Nu schreit's
aber draußen wieder.

„Ferchten Se sich nich, Herr Lipmann, ich thu Sc nir
Böses, ich bringe Se nur Ihren alten Hut, den sic ahs dem
Gericht nicht mehr brauchen. Machen Sc ahs, ich will Se
'n geben."

„Um den vcrflirten Hut geh ich nich aus'm Bett," hat
Lipmann gcantwort't, „stellen Se 'n nur draußen hin vor de
Thir, ich find'» schon morgen frih aach noch Szeit genug."

Das hat nu aach der Polißeicr gemachen un is fvrt-
gegangcn, wie er den Hut hat hingesctzt. Aber erst hat er
noch a Bissel gcwart't, weil er immer gedenkt hat, er kriegt'
vom Lipmann for sahne Mih ahn Trinkgeld. Da hat er sich aber
gctcischt, denn Lipmann is nicht gewesen ahner von de Trink-
gcldgebcr; worum? de Trinkgelter fihren ßur Unmäßigkeit,
de Unmäßigkeit macht de Menschen taudt un folglich machen
de Trinkgelder de Menschen taudt; aber Lipmann hat nich
wollen sein ä Mörder von sahne Mitmenschen, deßhalb hat
er gar nie ahn Trinkgeld gcgiebcn.

Erst wie der Poleßcisoldat is nich mehr ßu hören ge-
wesen, is Lipmann wieder ruhig geworden. Aber nu hat er
iberlcgt, wie's is doch ahne faule Sach, wenn er den alten
unglicksschweren Filßhut läßt draußen ßu stehen vor de Thire.
Denn konnte nich wieder Ahner kimmcn un den Hut nehmen
un ihn wieder setzen ahf den bronßeeiscrncn hoch>cligen Herrn
Landesvater sahnen bloscn Kopp? Un da nu ahn Mal drinnen

*) Rosch, Kopf.

**) Maure, Furcht.
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