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Trauerbirke.
Fragliche Bildung.
Das war noch eine frische Zeit,
Voll kecker Knabenfreuden;
Du Birke warst mein einzig Leid,
Dich könnt' ich nimmer leiden.
Denn zog es mächtig mich hinaus,
Mocht' ich nicht länger hocken,
Dann sahst du mir gar grämlich aus
Und schütteltest die Locken.
Ich schlich mich still an dir vorbei,
Fort ging's in wilden Sätzen
Zu tollem Spiel im Walde — hei!
Das war mein größt' Ergötzen!
Vergessen war der ganze Wust,
Das Rechnen, Lesen, Schreiben,
Es war mir eine größ're Lust
Im grünen Wald zu bleiben.
Doch mußt' ich endlich dann nach Haus,
Wie schlich ich da so langsam!
Die Seele voller Angst und Graus,
Das Herz so schwer und bangsam!
Der Vater stand schon vor dem Thor
Und harrte meiner lange,
Er faßte mich sogleich am Ohr:
„Na, warte nur, Du Range!"
„Dich will ich lehren fleißig sein
Und still zu Hause sitzen!
Marsch, augeublicks in's Haus hinein,
Ich will Dir gleich was schnitzen!"
Und von der Birke schnitt im Nu
Er zähe, dünne Reiser —
D'rauf faßt' er mich — „Du Schlingel Du!"
Ich heult' und schrie mich heiser.
Wie hagelte dann Schlag auf Schlag,
Wie fuchtelte die Ruthe! —
Geheilt war ich aus einen Tag
Vom Jugeudübermuthe!
Dahör wird mir so schwül und weh,
So wunderseltsam eigen,
Wenn ich eine Trauerbirke seh'
Mit hängenden, langen Zweigen!
Und weil noch And're außer mir,
Wohl Achnlichcs thatcn erleben,
Hat man gewiß den Namen dir
Der Trauerbirke gegeben!
„Aber, Heinrich! was muß ich denn sehen? Warum
hast Du denn Deine Stiefeln in der Hand?" — „Es war
! — draußen — so schmutzig." — „Also, darum ziehst Du
Stiefeln aus? Das ist mir was Schönes. — Ja, freilich,
es ist besser, daß die Frau, die arme Frau, dem Mann
neue Strümpfe strickt und die Kinder darben, als daß das
Mädchen nasse Stiefeln reine zu machen hat. O, ich kenne
Dich; mich täuschst Du nicht; ich habe Dich längst durch-
schaut, Du Rabenvater, Du Trinker Du." — „Liebe Frau!"
— „Ach was, liebe Frau! Deine liebe Frau bringst Du
noch unter die Erde. Was soll dann aus Deinen Würmern
werden? Du liegst jede Nacht im Wirthshause und kommst
betrunken nach Hause. Vor Gott und der Menschheit solltest
Du Dich schämen, Du —" — „Ich — schäme mich —
ja auch." — „Ja, Du schämst Dich — Du sichst mir
g'rade aus, wie Schämen, so ein Lumpenleben zu führen —
und die arme, arme Frau muß sich indessen todt quälen! o
wäre ich nur erst todt!" — „Aber — liebe Frau —" —
„Neun' mich nicht liebe Frau, Tu hast mich doch nicht lieb,
sonst würdest Du einer gebildeten Frau nicht solchen Kummer
! bereiten." — „Du? Du? - Du willst eine — gebildete
Frau — sein und schämst Dich — nicht, Dich — mitten
in der Nacht — Dich mit — einem ganz — besoffenen
Kerl — zu unterhalten? Das zeigt — noch lange nicht —
von Bildung!"
Trauerbirke.
Fragliche Bildung.
Das war noch eine frische Zeit,
Voll kecker Knabenfreuden;
Du Birke warst mein einzig Leid,
Dich könnt' ich nimmer leiden.
Denn zog es mächtig mich hinaus,
Mocht' ich nicht länger hocken,
Dann sahst du mir gar grämlich aus
Und schütteltest die Locken.
Ich schlich mich still an dir vorbei,
Fort ging's in wilden Sätzen
Zu tollem Spiel im Walde — hei!
Das war mein größt' Ergötzen!
Vergessen war der ganze Wust,
Das Rechnen, Lesen, Schreiben,
Es war mir eine größ're Lust
Im grünen Wald zu bleiben.
Doch mußt' ich endlich dann nach Haus,
Wie schlich ich da so langsam!
Die Seele voller Angst und Graus,
Das Herz so schwer und bangsam!
Der Vater stand schon vor dem Thor
Und harrte meiner lange,
Er faßte mich sogleich am Ohr:
„Na, warte nur, Du Range!"
„Dich will ich lehren fleißig sein
Und still zu Hause sitzen!
Marsch, augeublicks in's Haus hinein,
Ich will Dir gleich was schnitzen!"
Und von der Birke schnitt im Nu
Er zähe, dünne Reiser —
D'rauf faßt' er mich — „Du Schlingel Du!"
Ich heult' und schrie mich heiser.
Wie hagelte dann Schlag auf Schlag,
Wie fuchtelte die Ruthe! —
Geheilt war ich aus einen Tag
Vom Jugeudübermuthe!
Dahör wird mir so schwül und weh,
So wunderseltsam eigen,
Wenn ich eine Trauerbirke seh'
Mit hängenden, langen Zweigen!
Und weil noch And're außer mir,
Wohl Achnlichcs thatcn erleben,
Hat man gewiß den Namen dir
Der Trauerbirke gegeben!
„Aber, Heinrich! was muß ich denn sehen? Warum
hast Du denn Deine Stiefeln in der Hand?" — „Es war
! — draußen — so schmutzig." — „Also, darum ziehst Du
Stiefeln aus? Das ist mir was Schönes. — Ja, freilich,
es ist besser, daß die Frau, die arme Frau, dem Mann
neue Strümpfe strickt und die Kinder darben, als daß das
Mädchen nasse Stiefeln reine zu machen hat. O, ich kenne
Dich; mich täuschst Du nicht; ich habe Dich längst durch-
schaut, Du Rabenvater, Du Trinker Du." — „Liebe Frau!"
— „Ach was, liebe Frau! Deine liebe Frau bringst Du
noch unter die Erde. Was soll dann aus Deinen Würmern
werden? Du liegst jede Nacht im Wirthshause und kommst
betrunken nach Hause. Vor Gott und der Menschheit solltest
Du Dich schämen, Du —" — „Ich — schäme mich —
ja auch." — „Ja, Du schämst Dich — Du sichst mir
g'rade aus, wie Schämen, so ein Lumpenleben zu führen —
und die arme, arme Frau muß sich indessen todt quälen! o
wäre ich nur erst todt!" — „Aber — liebe Frau —" —
„Neun' mich nicht liebe Frau, Tu hast mich doch nicht lieb,
sonst würdest Du einer gebildeten Frau nicht solchen Kummer
! bereiten." — „Du? Du? - Du willst eine — gebildete
Frau — sein und schämst Dich — nicht, Dich — mitten
in der Nacht — Dich mit — einem ganz — besoffenen
Kerl — zu unterhalten? Das zeigt — noch lange nicht —
von Bildung!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fragliche Bildung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 40.1864, Nr. 972, S. 62
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg