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Fliegende Blätter — 44.1866 (Nr. 1069-1094)

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Nr. 1080
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https://doi.org/10.11588/diglit.3289#0093
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Vor hundert Jahren.

Director und sein Verein tagten; in höchst dringenden
Fällen war Muhberg auch in der glücklichen Lage ein gut
besetztes CorpS Janitscharen behufs Musizircns aufzutreiben
und „wehe — wenn sie losgelassen —!"

Jetzt weiß der geneigte Leser wie Muhberg war, mit
Ausnahme der Häuser, die vornen nicht verputzt und hinten
mit einer Art Fontanellen der Landwirthschaft versehen waren,
die ihre Tod und Verderben speienden Mündungen gleich
! Armstrongkanonen dem harmlosen Wanderer dräuend ent-
gegenstreckteu; wo aber Muhberg lag, habe ich schon gesagt,
speciell lag es noch auf einem Berg und dieser Berg selbst
in einem Loch, das auf einer großen Hochebene sich befand,
welch' reizende Lage sehr viel zu der beschaulich genügsamen
Lebensweise der Muhberger beizutragen schien.

Auch in geschichtlicher Beziehung hatte Muhberg seine
Glanzperiode: Als nämlich der höchstselige Kaiser von Ruß-
land vor einiger Zeit einmal eine Reise durch Deutschland
machte, kam er auch durch Muhberg und da er gerade einen
Heidendurst zu verspüren geruhte, ließ er an der Post halten,
j um einige Gläser „Reckholder" zu deutsch Wachholderschnapps
zu sich zu nehmen; dabei fragte er den in Ausübung des
! nämlichen Geschäftes gerade anwesenden Stadtschulzen:

„Wie heißt dieser Ort?"

Schulz: „Stadt Muhberg!"

Kaiser: „So! Stadt Muhberg!"

Schulz: „Ja! Stadt Muhberg!"

Kaiser: „So! Schön!"

Schulz: „Ja! Sie ist schön!"

Kaiser: „So? bon!"

Schulz: „ä — ä — b — bum! ja!"

Kaiser: „Ja, ja!"

Schulz: „Ja, ja!"

Kaiser: „Guten Morgen!"

Schulz: „Guten Morgen!"

worauf der Kaiser huldvoll lächelnd weiterfuhr; als der
Schulz aber nachher erfahren mit wem er gesprochen, ließ er
sich ein schönes Gemälde von dieser Unterredung machen,
welches jetzt im Rathhaussaale hängt nnd bei besonderen
Gelegenheiten abgestäubt wird.

Cap. II.

Es war an einem Sonntag Nachmittag und zudem
i Regenwettcr. Wer schon einen Sonntag Nachmittag und am
Ende gar mit Regenwettcr erlebt hat, der weiß, was das
heißt. Nachdem ich Alles versucht, was nur einigermaßen
Achnlichkeit mit einer Zerstreuung vermuten ließ, nachdem ich
sogar die schweinslederne Chronik der ehrsamen Stadt Muh-
berg mehrmals auf und zu gemacht hatte, blieb mir nichts
Anderes mehr übrig, als der heroische Entschluß in die Ge-
sellschaft der heiteren Muhberger zu gehen. Heroisch war
dieser Entschluß, denn so liebe, harmlose, unbefangene, vor-
urtheilsfreie Leute die Muhberger auch waren, so konnte doch
ein Fremder, namentlich wenn er sich erlaubte noch jung zu
sein und demgemäß Ansichten zu haben, mit ihnen nicht

verkehren, weil eben in dem Falle ihre liebenswürdige Be-
scheidenheit und bescheidene Liebenswürdigkeit auSging, anderst
glaubten sie, ließe es sich der Würde ihrer Stadt nach gar
nicht machen.

Ich war aber außer dem vr. Larantius, einem jungen
fidelen Kameraden, der einzige Nichteinheimische. Larantius,
intellectueller Urheber und Dirigent des Gesangvereines, aber
nur zur eigenen Unterhaltung, war eine d. h. die einzige
kostbare Person des Städtchens; voll Witz und guter Laune
wußte er die Situation stets zu seinem persönlichen Ergötzen
auszubcuten und hatte dabei das Glück als einziger Men-
schenarzt von Muhberg und Möglicherweiser Schwiegersohn
einer oder der anderen Honoratiorcnfamilie mit ganz Muh-
berg ungestraft seinen feinen Spott treiben zu dürfen; nur
die Nanni, die blühende Hebe des rothen Löwens und milde
Beherrscherin der Schenke und der Rauchkammer erfreute sich
seiner tieferliegenden Gunst.

Unter die gewaltigen Fittige dieses Mannes, den ich von
meinem Antemuhbcrg'schen Leben ein wenig kannte und der
mir auch mit Vergnügen zu meinen culturhistorischen Studien
des Ortes behülflich zu sein versprach, begab ich mich und
wurde also in die Heiligthümer des gesellschaftlichen Daseins
von Muhberg eingeweiht.

So saß ich denn im Locale der vereinigten Honoratioren
nnd der „Harmonie", welchen Titel der Ur. Larantius seinem
Gesangvereine in einem Anflug bitteren Spottes gegeben
hatte, und begann die Gesellschaft zu mustern, wobei mir
Larantius durch geeignete Randbemerkungen an die Hand
ging. Oben am Tisch saß als Altcrstischpräsident der Herr
Atnaier, eigentlich auch ein Fremder, noch eigentlicher aber
langjähriger naturalisirter Muhberger, Schriftgelehrter und
Pharisäer des Orts. Dieser Mann war so reich, so arg
reich, daß wenn er Abends in Gesellschaft kam, — und er
kam alle Abende — er immer drei Tage lang steife Finger
hatte, vor lauter Couponsabschneidcn, denn er war ein sehr
kluger und geschickter Mann und hatte sein ganzes Vermögen
sebst erworben, theils durch Erbschaft, theils durch Hcirath,
wetzhalb er denn auch auf seinen feinen Kopf noch eingebil-
deter war, als auf sein Geld.

In politischer Hinsicht war er streng conservativ und
hatte dcßhalb auch gegen das Seifendenkmal gestimmt.

Diesem zur Seite saß Herr Bmnier, absolvirter und
licenzirtcr Rasirer des Orts und der benachbarten Höfe,
ein stiller verschwiegener Staatsbürger wie alle Gelehrten
seines Faches, nur war er auf seinen „Kollegen" Larantius
nicht gut zu sprechen; weßhalb? habe ich nicht erfahren
können. Seiner politischen Gesinnung nach, war er noch
unentschlossen, da der Herr Schulze sich über dieses Thema
den Abend noch nicht geäußert hatte.

Nächst an diesem saß der Herr Omaier, erster Kaufmann
der Stadt, Vorsitzender Stadtrath und Besitzer zweier nicht
ganz schöner Töchter, sonst aber ein braver Mann. In
religiöser Beziehung waren ihm unter allen Fastenspeisen die
gebackenen Forellen am liebsten. Der gute Mann hatte
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